Parlamentskorrespondenz Nr. 534 vom 19.05.2016

Nationalrat: Bundeskanzler Kern mit hohen Erwartungen, Skepsis und Ablehnung konfrontiert

Ein Gemisch der Gefühle in der Runde der Klubobleute zur Regierungserklärung

Wien (PK) Der neue Regierungschef Christian Kern wurde von der Opposition im Nationalrat abwartend positiv, teilweise mit leichter Skepsis begrüßt, bei den Freiheitlichen stand harte Kritik im Vordergrund. Von Seite der Regierungsparteien war uneingeschränkte Zustimmung und das Bekenntnis zur Zusammenarbeit zu hören. Von den Freiheitlichen und den NEOS kam der Ruf nach Neuwahlen. Die Klubobleute, die in einer ersten Runde auf die Regierungserklärung reagierten, richteten auch einige Wünsche an die zukünftige Reformpolitik.

Strache fordert Neuwahlen

Mit schweren Geschützen fuhr gleich FPÖ-Klubobmann Christian Strache gegen den neuen Kanzler und die Regierungspolitik auf. Den von Kern präsentierten Plan zu einem "New Deal" hält er in weiten Bereichen für eine "Luftblase", eine nachhaltige Kursänderung ist für ihn nicht in Sicht. Die Regierung trage seit 3 Jahren Verantwortung und habe massiven Schaden angerichtet – angefangen von der hohen Arbeitslosigkeit und Steuerbelastung bis hin zur falsch verstandenen Willkommenskultur, vollzogen durch einen Rechtsbruch. Es sei daher höchst an der Zeit, so Strache, Fehlentwicklungen einzugestehen und Neuwahlen auszuschreiben, forderte er. Strache ortete weniger Politikverdrossenheit in der Bevölkerung als vielmehr Ärger gegen die Koalition, die nicht bereit sei, Lösungen anzugehen. Die FPÖ erwarte sich von einer zukunftsorientierten Politik die Absicherung des Wirtschaftsstandorts, die Senkung der Lohnnebenkosten und Maßnahmen zur Beendigung der Kreditklemme.

Strache griff Kern auch insofern an, als er darauf hinwies, dass sich der neue Bundeskanzler noch keiner demokratischen Wahl gestellt hat. Auch sei der öffentliche Zuschuss zur ÖBB unter Kerns Leitung gestiegen. Die nunmehrige Zusammensetzung der Regierung bewertet die FPÖ als "neue Mannschaft mit altem Programm". Besonders kritisch äußerte sich Strache gegenüber der neuen Staatssekretärin Muna Duzdar, der er als palästinensisches Einwandererkind eine einseitige Position in Bezug auf die israelisch-arabische Politik vorwarf und sie in die Ecke des linken Antisemitismus rückte.

Schieder: Verunsicherung und Ängste in Hoffnung umwandeln

"Das war old school", reagierte SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder verärgert auf die Ausführungen Straches. Dieser habe offensichtlich den neuen Geist nicht verstanden, sagte Schieder. In aller Deutlichkeit wies er die "Anschüttungen" in Richtung Muna Duzdar als falsch zurück. Nicht die Religion zähle, sondern der Inhalt.

In Anlehnung an die Regierungserklärung rief Schieder ebenfalls zu einer neuen Diskussionskultur auf. Am Ende einer sachlichen Auseinandersetzung könne auch der Kompromiss stehen, und das sei kein Umfaller, sondern ein Ringen darum, dass im Land etwas weitergeht, hielt er fest.

Laut Schieder geht es nun darum, Verunsicherung und Ängste in Hoffnung und in ein zukunftsorientiertes Leitbild umzuwandeln. Die SPÖ trage noch immer die "globale Mega-Idee" im Herzen, dass es eine soziale und faire Gesellschaft geben kann. Für entscheidende Punkte des neuen Politikverständnisses hält er die Arbeit an und für die Gesellschaft. Essentiell seien Beschäftigung, Wachstum und Wirtschaftsstandort genauso wie innere, äußere aber auch soziale Sicherheit. Bildung, Wissenschaft und Forschung bezeichnete Schieder als Treibstoff für die wirtschaftliche Entwicklung, der Klimawandel stelle sowohl eine ökologische als auch eine wirtschaftspolitische Herausforderung dar.  

Glawischnig-Piesczek: Kern der Reform sind Arbeitswelt und Bildung

Die Forderung nach einem neuen politischen Stil hält auch die Klubobfrau der Grünen Eva Glawischnig-Piesczek für mehr als angebracht. Umso mehr bedauerte auch sie die Rede von Heinz Christian Strache als "unglaublich respektlos." Als einen zentralen Reformpunkt bezeichnete die Grüne Klubchefin die sozialpolitischen Herausforderungen, die über den Arbeitsmarkt hinausgehen. Die geänderte Arbeitswelt erfordere es, den Menschen mehr Sicherheit aber auch mehr Freiheit zu geben, zumal es heute viel mehr Brüche im Lebenslauf gebe. Dazu komme der gesamte Bereich der Pflege. Als unbefriedigend bezeichnete Glawischnig-Piesczek besonders die Situation der Frauen, die weitgehend im prekären Bereich arbeiten.

Ein großes Anliegen ist den Grünen der Bildungsbereich, wobei Glawischnig-Piesczek darauf drängte, nicht wieder zurück zum Start zu gehen, sondern Lösungen im Sinne der besten individuellen Förderung zu suchen. Sie hoffe auch auf ein neues Verständnis für die Situation der Universitäten und für die Grundlagenforschung. Die Grüne Klubobfrau warnte einmal mehr vor den negativen Auswirkungen von TTIP, denn dieses Abkommen würde eine Nivellierung nach unten bringen und die wirtschaftliche Handlungsfreiheit einschränken. Deshalb brachte sie seitens ihrer Fraktion einen Entschließungsantrag ein, in dem die Regierung aufgefordert wird, CETA abzulehnen, sich gegen eine vorläufige Anwendung des Abkommens auszusprechen und die TTIP-Verhandlungen unverzüglich zu stoppen.

Lopatka schlägt Einrichtung eines "Standort-Konvents" vor

Der Wille der ÖVP-Fraktion zur Zusammenarbeit wurde auch von Klubobmann Reinhold Lopatka bekräftigt. Eine Entschuldigung für seine kritischen Äußerungen gegenüber Kern war insofern herauszuhören, als Lopatka meinte, diese seien in die Vergangenheit gerichtet gewesen, er wolle sich jetzt der Zukunft widmen. In dem Bestreben um gute Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parlament will er auch die Opposition einbinden und beispielsweise für eine transparente Wahl des neuen Rechnungshofpräsidenten sorgen.

Da für Lopatka keine Zeit zu verlieren ist, schlug der ÖVP-Klubobmann in seiner Rede gleich inhaltliche Pflöcke ein. Er zeigte sich froh darüber, dass Kern den eingeschlagenen Kurs in der Flüchtlingsfrage unterstützt, da die Willkommenskultur ohne Grenzsicherung nicht funktioniere. Toleranz gegen Intolerante sei nicht möglich, sagte er und wiederholte die Position der ÖVP zum Thema Mindestsicherung. Wenn wir das Gesundheits- und Sozialsystem sichern wollen, dann müssen wir jetzt handeln, sagte Lopatka, und in diesem Zusammenhang auch darüber diskutieren ob man jene, die noch keinen Beitrag zum System geleistet haben, nicht anders behandeln soll als jene, die seit Jahren ihren Beitrag leisten. Vor allem sollten sich jene Menschen, die in ihrer Erwerbsarbeit nicht viel verdienen, gerecht behandelt fühlen. Lopatka bekräftigte die Forderungen nach Entbürokratisierung und Senkung der Steuerlast im Interesse der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik und schlug die Einrichtung eines "Standort-Konvents" vor, um daraus ein Standortpaket entwickeln zu können. Österreich ist stabil und stark und wird es auch bleiben, wenn die Bereitschaft zur Reform da ist, zeigte sich Lopatka abschließend überzeugt; wenn Mut vorhanden ist, dort Grenzen zu setzen, wo sie notwendig sind, und wenn man mit dem notwendigen Weitblick an die Aufgaben herangeht.

Strolz: Konstellation der Großen Koalition ist falsch für Österreich

Respekt für seine Regierungserklärung zollte eingangs NEOS-Klubobmann Matthias Strolz dem neuen Bundeskanzler. Darin habe viel Zuversicht gesteckt und viel Entschlossenheit sei mitgeschwungen. Trotz dieses positiven Zugangs verhehlte Strolz nicht seine Skepsis, da am Ende das Erreichte zählt. Kern habe die richtige Analyse getroffen, und das sei auch notwendig, weil man einen Blick auf den Status Quo brauche. Die Analyse sei aber zu wenig, sagte Strolz und begründete seinen Zweifel am Gelingen der Pläne mit der Feststellung, dass die Konstellation der großen Koalition für Österreich falsch ist. Es habe schon zu viele Versuche für Neustarts gegeben, und man spüre, dass ÖVP und SPÖ miteinander nicht mehr können und wollen. Strolz sprach sich daher auch für einen Neuanfang und damit für Neuwahlen aus, er räumte jedoch ein, dass er sich gerne eines Besseren belehren lassen wolle.

Ein dringendes inhaltliches Anliegen ist den NEOS die Bildung, da heute ca. ein Drittel der SchulabgängerInnen gleich in Richtung AMS gehen und damit zu einer verlorenen Generation werden. Als einen Ausweg aus der Krise sieht Strolz, den Schulen mehr Verantwortung und Autonomie zuzugestehen. Als notwendig erachtet er zudem eine Arbeitszeitflexibilisierung, da die gesetzliche Situation mit der heutigen Realität nichts mehr zu tun habe und eine falsche Bevormundung darstelle. Auch Strolz unterstützte die Bekenntnisse zu einem neuen politischen Stil und hatte dabei besonders die Sozialpartnerschaft und die Landeshauptleute im Visier, weil diese als "rot-schwarzes Machtkartell" das Parlament blockieren. Er appellierte zudem, wie auch bereits Grünen Chefin Eva Glawischnig-Piesczek, nicht alle Oppositionsanträge von vornherein zu vertagen oder abzulehnen.

Lugar drängt auf Lösung der Flüchtlingsproblematik

Auch Team Stronach Klubobmann Robert Lugar stimmte vollinhaltlich mit der Analyse von Bundeskanzler Kern überein, das Problem zu kennen sei aber nur die halbe Miete. Ihm hat das Bekenntnis zu gemeinsamen Lösungen gefehlt und er ortete innerhalb der Regierung noch immer ein riesiges Spannungsfeld. Dennoch unterstrich Lugar, er wünsche sich im Interesse Österreichs, dass die Regierung erfolgreich ist.

Das könne sie vor allem in Bezug auf die Flüchtlingsproblematik zeigen, denn die bisherige Politik sei vom Streit über einen Zaun geprägt gewesen. Die Regierung sei nicht in der Lage gewesen, für Recht und Ordnung zu sorgen. Sollte diese widerhergestellt werden, dann komme auch das Vertrauen wieder zurück, zeigte sich Lugar überzeugt. (Fortsetzung Nationalrat) jan