Parlamentskorrespondenz Nr. 585 vom 31.05.2016

EU-Unterausschuss: Vorbehalte gegen Anti-Lohndumping-Initiative der Kommission

Sozialminister Stöger sieht Vorschlag für neue Entsenderichtlinie als Schritt zu fairem Wettbewerb

Wien (PK) - Die Entsenderichtlinie der EU soll überarbeitet werden; diese Meinung vertritt nicht nur die heimische Politik, auch die Europäische Kommission hat inzwischen einen Vorschlag dazu präsentiert. Demnach sollen die ursprünglichen Vorgaben aus 1996, die einen EU-weit verpflichtenden Rahmen für Entsendungen vorsehen, verschärft werden, insbesondere hinsichtlich Entlohnung und Sozialstandards. Außerdem sollen effektivere Kontrollen nicht angemeldete Erwerbstätigkeit verhindern. Grundsätzlich betrachtet die Kommission Entsendungen im Unionsraum – unter Beachtung der Arbeitnehmerrechte - als wichtigen Beitrag zum Wirtschaftswachstum in Europa, da sie einen unverfälschten Wettbewerb sicherstellen würden. "Es geht um fairen Wettbewerb", tritt auch Sozialminister Alois Stöger für EU-weite Bestimmungen ein, die Lohndumping unterbinden. Der Binnenmarkt sei gerechter zu gestalten. Den Grundsatz "gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort" bezeichnete der Minister als entscheidend für die nachhaltige Weiterentwicklung der Europäischen Union.

Im EU-Unterausschuss des Nationalrats stieß der Kommissionsvorschlag dagegen auf einige Vorbehalte – und bei der FPÖ auf klare Ablehnung. Angesichts der steigenden Arbeitslosenzahlen müsse die Bundesregierung sich auf EU-Ebene für eine sektorale Schließung des Arbeitsmarkts einsetzen, beantragten die Freiheitlichen, erhielten dafür aber nur vom Team Stronach vollinhaltliche Unterstützung. Die übrigen Fraktionen erklärten den Vorstoß mit unterschiedlichen Argumenten als nicht praktikabel.

Betrug bei Entsendungen Riegel vorschieben

Aus Sicht der Gewerkschaft konnte Josef Muchitsch (S) die Einwendungen von Johannes Hübner (F) gegen die Richtlinie zwar bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen. Wie Hübner betonte auch der Sozialdemokrat, die Regelungen aus den 90er Jahren entsprächen nicht mehr dem heutigen Binnenmarkt, in dem seit der Ostöffnung das Lohngefälle zugenommen hat. Anders aber als der Freiheitliche, für den der Kommissionsvorschlag nur vermehrten Kontroll- und Verwaltungsaufwand sowie neuerlichen Druck auf das Lohnniveau bringt, stellt der Entwurf für den Sozialdemokraten einen guten Anfang für die Verhandlungen auf EU-Ebene dar. Schutzklauseln, wie von der FPÖ gefordert, seien im Binnenmarkt nicht möglich, Österreich habe zuletzt mit dem Lohn- und Sozialdumpinggesetz die Grenzen des nationalstaatlich Möglichen ausgereizt.

Schon bisher sollten EU-Bestimmungen für Entsendungen gleiche Ausgangsbedingungen für gebietsansässige und gebietsfremde Wirtschaftsteilnehmer schaffen, indem die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des Aufnahmemitgliedstaates für ausländische Dienstleistungserbringer als verbindlich vorgegeben wurden. Das betrifft beispielsweise Höchstarbeits- und Mindestruhezeiten, Mindestlohn einschließlich der Überstundensätze, bezahlten Mindestjahresurlaub und Sicherheit am Arbeitsplatz. Mit der Durchsetzungsrichtlinie versuchte man 2014 erneut, Missbrauch und Betrug bei Entsendungen entgegenzuwirken; die Umsetzungsfrist läuft noch bis zum 18. Juni 2016. Vorgesehen werden hier Maßnahmen gegen sogenannte Briefkastenfirmen und eine stärkere Überwachung der Arbeitsbedingungen durch die Nationalstaaten. Außerdem soll die Durchsetzungsrichtlinie die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedsländer verbessern; so müssen die zuständigen Stellen bei Ersuchen um Amtshilfe aus einem anderen Mitgliedstaat unverzüglich reagieren.

Kosten-Nutzen-Rechnung für die Wirtschaft

Mit Verweis auf die Durchsetzungsrichtlinie warnte Angelika Winzig (V) davor, heimischen Betrieben nun noch mehr Kontrollen aufzubürden, zumal österreichische Firmen viel häufiger kontrolliert würden als ausländische, wie Waltraud Dietrich (T) ergänzte. Vielmehr sei darauf zu achten, so Winzig, dass die Strafverfolgung wegen Verstößen gegen die Bestimmungen im Ausland funktioniert. Anhand eines "risikobasierten Kontrollplans" wolle man lediglich jene Betriebe verstärkt in Augenschein nehmen, bei denen erhöhte Gefahr von Lohn- und Sozialdumping zu vermuten ist, suchte Minister Stöger daraufhin die Zweifel zu zerstreuen.

Aus Sicht der NEOS überwiegen in der österreichischen Gesetzeslage und im Vorschlag der Kommission dennoch die Nachteile für die Wirtschaft. Die Überlegungen stünden im "diametralen Widerspruch" zum gemeinsamen Wirtschaftsraum, schon jetzt klagten 30% der grenzüberschreitend tätigen Unternehmen über bürokratische Hemmnisse, kritisierte Gerald Loacker. Die eigentliche Ursache für Wettbewerbsverzerrung erkennt er in den nach seinem Dafürhalten überhöhten Sozialversicherungsgebühren Österreichs und nannte explizit Beiträge für Kammern oder die Wohnbauförderung. Die niedrigeren Sozialabgaben in den meisten Entsenderländern sind auch für Bruno Rossmann von den Grünen Hauptgrund des Problems. Anzusetzen ist aus seiner Sicht daher in der europäischen Sozialpolitik. Solange nicht Änderungen im Sozialversicherungssystem angegangen werden, bleibe die Lohndifferenz zwischen den Mitgliedsstaaten bestehen, auch die Finanzpolizei als Kontrollorgan für die Einhaltung von Anti-Dumping-Bestimmungen sei hier de facto machtlos.

Kollektivvertrag soll für alle gelten

Im aktuellen Richtlinienvorschlag schlägt die EU-Kommission als Ergänzung zur vorhandenen Rechtsmaterie nun Regelungen vor, die dem Grundsatz gleiches Entgelt für gleiche Arbeit am gleichen Ort stärker Rechnung tragen sollen. Allgemein verbindliche Tarifverträge würden sowohl für lokale als auch für entsandte ArbeitnehmerInnen sowie LeiharbeiterInnen aller Branchen gelten. Bislang stellen die Vorschriften ja – außer im Baugewerbe - nur auf den Mindestlohn ab, ohne Kollektivverträge zu beachten. Bei Untervergabeketten erhalten die EU-Länder dem Entwurf zufolge ebenfalls die Möglichkeit, für entsandte ArbeitnehmerInnen die Vergütungsvorschriften vorzusehen, die für den Hauptauftragnehmer gelten.

Weiters sollen entsandte ArbeitnehmerInnen arbeitsschutzrechtlich genauso behandelt werden wie lokale MitarbeiterInnen – und zwar ab dem ersten Tag, wenn abzusehen ist, dass der oder die ArbeitnehmerIn für länger als 24 Monate entsandt wird. In allen anderen Fällen kommt die Regel zur Anwendung, sobald die Entsendungsdauer 24 Monate überschreitet. Dann nämlich gilt der Beschäftigerstaat als gewöhnlicher Arbeitsort des entsandten Arbeitnehmers. An dieser Frist stießen sich nicht nur die Abgeordneten Muchitsch und Rossmann, auch Sozialminister Stöger will weiter auf eine Verkürzung drängen. Die Kommission habe diesen Zeitraum ohne Sachzusammenhang aus dem Sozialversicherungsrecht entnommen. Besonders erbost zeigte sich Muchitsch allerdings über den Protest gegen den Richtlinienvorschlag, den ein Drittel der Mitgliedsländer erhoben hat; Staaten die offenbar weiterhin Billig-Arbeitskräfte in den Unionsraum schicken wollten, folgerte der SPÖ-Sozialsprecher.

Stöger: Lohndumping bremst Freizügigkeit

Kritische Stimmen kamen der Kommission zufolge vor allem aus osteuropäischen und baltischen Ländern. Die Ratsarbeitsgruppe Sozialfragen befasse sich derzeit mit dem Vorschlag der Kommission, die Diskussionen dabei seien äußerst kontrovers, bestätigte Sozialminister Stöger. Er bleibt aber auf dem Standpunkt, ein gemeinsames Vorgehen gegen Lohn- und Sozialdumping sei unumgänglich im Sinne der Freizügigkeit, einem der Grundprinzipien der Union. Letztlich stärke man dadurch den sozialen Fortschritt in Europa.

Mit einer gemeinsamen Plattform will Brüssel erreichen, dass die Durchsetzungsbehörden aller Mitgliedstaaten stärker bei der Bekämpfung illegaler Arbeitsverhältnisse zusammenarbeiten. Erleichtert werden soll unter anderem der Austausch bewährter Verfahren sowie der Aufbau von Fachwissen als Grundlage der grenzüberschreitenden Kooperation. Als Beispiele von zu bekämpfenden Praktiken nennt die Kommission die Scheinselbständigkeit und das Überreichen von "Schwarzgeldumschlägen" bzw. die "Barauszahlung des Lohns", wodurch nur ein Teil des Arbeitsentgelts offiziell ausbezahlt wird und der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin den Rest inoffiziell erhält. Als Argument für einen "modernisierten Rechtsrahmen für die Arbeitnehmerentsendung" werden seitens der Kommission schließlich auch aktuelle Probleme wie administrative und dokumentarische Auflagen, Gebühren und Registrierungspflichten für ArbeitenehmerInnen beziehungsweise Unternehmen angeführt. Unklare Arbeitsmarktvorschriften in den Zielländern stellten besonders für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) ein großes Hindernis bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen dar.

Unionsrechtlich geregelt sind derzeit drei Entsendungsarten: Unternehmen können entweder über einen Dienstleistungsvertrag direkt in einem anderen EU-Land ihre Services anbieten, ihre MitarbeiterInnen im Rahmen einer unternehmensinternen Entsendung in einer Niederlassung tätig werden lassen oder die ArbeitnehmerInnen werden über ein Leiharbeitsunternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat sesshaft ist, zur Verfügung gestellt. (Schluss EU-Unterausschuss) rei