Parlamentskorrespondenz Nr. 604 vom 02.06.2016

Neue Regierung: Hoffnung und Skepsis im Bundesrat

Neue Regierungsmitglieder stellen sich vor, Debatte über die Regierungserklärung von Bundeskanzler und Vizekanzler

Wien (PK) – Auch die neuen Regierungsmitglieder stellten sich heute dem Bundesrat vor und präsentierten kurz ihre Schwerpunkte.

Hammerschmid: Maßnahmen sollen in den Klassenzimmern ankommen

So will Bildungsministerin Sonja Hammerschmid die Kinder in den Mittelpunkt stellen und alle Kraft dafür einsetzen, dass die Maßnahmen auch im Klassenzimmer ankommen. Prioritäten setzt sie vor allem bei der Sprachförderung und bei der Schnittstelle zwischen Kindergarten und Volksschule. Ein besonderes Anliegen ist ihr die Autonomie, die auch die Universitäten vorwärts gebracht habe. Die LehrerInnen wüssten genau, was notwendig ist, sagte Hammerschmid, deshalb gehöre die Verantwortung an die Schule, wo Gestaltung stattfindet. Der Ministerin schwebt nicht nur pädagogische, organisatorische und personelle Autonomie vor, sie will auch finanzielle Spielräume zulassen.

Hammerschmid bekräftigte, ein Bildungssystem im Auge zu haben, das jedem Kind die beste Bildung und Chancengerechtigkeit ermöglicht, denn Bildung schützt vor dem Präkariat. Sie wolle eine faktenbasierte Bildungspolitik betreiben, der kürzlich vorgelegte nationale Bildungsbericht stelle eine wichtige Grundlage dafür dar.

Drozda: Eine funktionierende Medienlandschaft ist fundamental für eine demokratische Gesellschaft

Ihm liegen sowohl Bundestheater und Bundesmuseen wie auch kleinere Kulturinstitutionen und –initiativen am Herzen, stellte der neue Kanzleramtsminister Thomas Drozda – zuständig für Verfassung, Medien, Kunst und Kultur – fest. Eine funktionierende Medienlandschaft sei fundamental für eine demokratische Gesellschaft, weshalb er die internationale Entwicklung auf dem Printmedienmarkt mit Sorge betrachtet.

Drozda betonte zudem, die Arbeiten zum Informationsfreiheitsgesetz beschleunigen zu wollen. Hinsichtlich des Finanzausgleichs meinte er, man bringe nur etwas gemeinsam zustande.

Leichtfried: Ziel sind null Verkehrstote

Umweltfreundlichkeit und Sicherheit stehen im Mittelpunkt der verkehrspolitischen Aufgaben von Verkehrs- und Infrastrukturminister Jörg Leichtfried. Unter Hinweis auf das Vorbild Schweiz plant er weitere Schritte zur Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene. Der öffentliche Verkehr müsste attraktiver und leistbarer sein, die Politik habe die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass dieses Angebot auch angenommen wird. Sein Ziel ist es auch, die Zahl der Verkehrstoten zu senken. Irgendwann sollte man hier bei Null anlangen.

Leichtfried bezeichnete Innovation und Technik als Zukunftschancen für die österreichische Wirtschaft. Im Zusammenhang mit der digitalen Revolution will er alles daran setzen, dass Österreich vorne bleibt.

Duzdar will "Kulturvermittlerin" sein

Der neuen Staatssekretärin Muna Duzdar ist die Diskussionskultur ein besonderes Anliegen. Sie sieht Österreich nach der Bundespräsidentenwahl nicht als gespaltenes Land, vielmehr ortet sie eine positive Phase der Politisierung. Duzdar versteht sich in ihrer Position auch als "Kulturvermittlerin", die sich besonders für die Diversität einsetzen will.

Die Staatssekretärin ist zudem zuständig für den öffentlichen Dienst und die Digitalisierung. Als ehemalige Bundesrätin weiß sie daher besonders das Grünbuch des Bundesrats zum digitalen Wandel als wichtigen Impulsgeber zu schätzen.

SPÖ: Pessimismus in Optimismus umwandeln, respektvoll miteinander umgehen

Auch in der Diskussion über die Regierungserklärung des Bundeskanzlers und des Vizekanzlers und der Präsentationen der neuen MinisterInnen standen die Themen Flüchtlingsbewegung, Arbeitsmarkt und Innovation im Vordergrund. So bezeichnete Bundesrat Reinhard Todt (S/W) die Bereiche Arbeit, Beschäftigung, Wachstum, Investitionen und Standortsicherheit als wesentliche Aspekte für die Zukunftssicherung; Bildung, Forschung und Entwicklung nannte er den Treibstoff für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung. Den Sicherheitsbegriff will er umfassend verstanden wissen, nämlich als materielle, soziale und innere Sicherheit. Besonderes Augenmerk müsse die Politik im Hinblick auf Wirtschafts- und Arbeitsplätze auch dem Klimawandel schenken und dabei das Übereinkommen von Paris umsetzen. Auf nationaler Ebene allein sei dies nicht möglich. Grundsätzlich gilt es laut Todt, den latenten Pessimismus in Optimismus und die Ängste in Hoffnung umzuwandeln.

Dem stimmte auch seine Fraktionskollegin Inge Posch-Gruska (S/B) zu. Die größte Herausforderung sieht sie darin, jenen Ängsten entgegenzutreten, die nicht greifbar sind. Hetze, Neid und Hass zu sehen, seien leicht, bemerkte sie. Sie appellierte daher, einander zuzuhören und respektvoll miteinander umzugehen. Die burgenländische Bundesrätin sprach aber auch Ängste in Bezug auf Nahversorgung und Einsamkeit an und machte sich stark dafür, das Problem der Teilzeitarbeit für Frauen anzugehen. Die Menschen machen sich auch Sorgen um die Gesundheitsversorgung, fügte sie hinzu.

ÖVP: Regierung muss mit einer Sprache sprechen

Für eine konstruktive Zusammenarbeit sprach sich auch Edgar Mayer (V/V) aus und meinte, die Länder würden die Hand dazu reichen. Für ihn stellt der Föderalismus das beste Angebot an die BürgerInnen dar. Mayer lobte die konstruktive Atmosphäre in der Bundesregierung und ersuchte mit Nachdruck, die genannten Prioritäten auch umzusetzen. Er appellierte, vor allem in der Flüchtlingsproblematik mit einer Sprache zu sprechen. Die Menschen wollen klare Botschaften, sagte er, das Asylgesetz biete keine Spielräume für Interpretationen. Mayer hob im Zusammenhang mit den Flüchtlingsbewegungen die Herausforderungen für Länder und Gemeinden hervor, denen diese bei der Bereitstellung von Quartieren gegenüberstehen.

Martin Preineder (V/N) hielt die Prioritätensetzung Arbeitsmarkt, Bildung und Verwaltung für richtig, denn Österreich brauche mehr unternehmerisches Denken, was selbstverständlich nicht Sozialabbau heißen dürfe, wie er unterstrich. Im Vordergrund sollte stehen: "Leistung nicht für jene, die sie wollen, sondern Leistung für jene, die sie brauchen". Preineder will auch in der Diskussion um die Mindestsicherung nicht locker lassen. Man sollte darüber reden, ob man nicht auch in der öffentlichen Verwaltung gemeinnützige Tätigkeiten zulassen sollte.

FPÖ skeptisch, ob neuer Regierungsstil lange anhält

Weniger konsensual hörten sich die Debattenbeiträge der freiheitlichen MandatarInnen an. So zeigte sich Monika Mühlwerth (F/W) skeptisch, ob der neue Regierungsstil tatsächlich anhalten wird, und nahm als Beispiel dafür die jüngste Debatte über die Obergrenzen. Sie verwehrte sich gegen den Vorwurf an die FPÖ zu hetzen, denn ihr und ihren KollegInnen gehe es darum, auf die Gefahren des politischen Islam hinzuweisen. Die Politik müsse sich auch den Problemen widmen, die die Menschen tagtäglich erleben, sei es die Sicherheitslage am Praterstern oder auch die selbstgewählten Ghettos in Wien. Ins selbe Horn stieß Hans-Jörg Jenewein (F/W), der die Anerkennungsquote im Asylbereich von 55% kritisch betrachtete und hinterfragte, was mit den 45% jener Menschen geschieht, deren Antrag abgelehnt wurde. Zudem merkte er kritisch an, dass der Bundeskanzler mit keinem Wort auf die Frage der Repatriierung eingegangen ist. Jenewein lehnte es strikt ab, AsylwerberInnen am österreichischen Arbeitsmarkt zuzulassen. Darauf würden nur die Großkonzerne drängen, die billige Arbeitskräfte einstellen wollen. Diese Form von Neoliberalismus wolle die FPÖ keinesfalls, stellte Jenewein fest.

Eine besondere Herausforderung sieht Mühlwerth im Bildungsbereich, wo es nicht nur um die Organisation gehe, sondern vor allem auch um die Vermittlung, dass es eine gewisse Leistungsbereitschaft und einen Leistungswillen geben muss. In wirtschaftlicher Hinsicht plädierte Mühlwerth für den Abbau bürokratischer Hürden, um ein Klima zu schaffen, wo sich wieder junge Menschen selbstständig machen wollen.

Grüne drängen auf gegenwartbezogene Handlungsfähigkeit

Ganz andere Aspekte prägten die Wortmeldungen der Grünen. So bat Heidelinde Reiter (G/S), bei der Bewältigung der Aufgaben echte Subsidiarität walten zu lassen und die Last zu teilen und zu verteilen. Es gebe nämlich viel Potenzial, das es zu wecken gilt, sagte sie und drängte darauf, von einer Kultur des Misstrauens zu einer Kultur des Vertrauens zu kommen und Selbstregulierung in kleinen Einheiten unter höchster Transparenz zuzulassen. Was man brauche, das sei nicht die Wahrung schwerfälliger Strukturen, sondern eine gegenwartsbezogene Handlungsfähigkeit. Das bedeute keineswegs die Zerstörung des Althergebrachten, sondern Evolution, machte die gelernte Biologin klar. Als Beispiel für eine derartige Änderung nannte sie den viel zu komplizierten Finanzausgleich, durch den vier Milliarden Euro auf der Strecke blieben.

Ihr Fraktionskollege David Stögmüller (G/O) widmete sich der Kulturpolitik und plädierte dafür, nicht nur auf die großen Bundesinstitutionen zu schauen, sondern auch die kleineren Institutionen und Initiativen entsprechend zu fördern. Kritik übte der am geplanten Haus der Geschichte und wünschte sich ein politisch unabhängig geführtes Haus, das auch kostengünstiger errichtet wird. Handlungsbedarf sieht er beim Urhebervertragsrecht und beim Medienrecht. Er urgierte auch eine Bildungsreform, die den Namen verdient, und bedauerte, dass es kein eigenes Frauenministerium gibt. (Fortsetzung Bundesrat, Ende Regierungserklärung) jan    

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