Parlamentskorrespondenz Nr. 607 vom 02.06.2016

Grüne und FPÖ kritisieren Pilotprojekt "Gemeinsam Sicher"

Innenminister Sobotka verteidigt im Bundesrat die Einbindung der Bevölkerung in die Polizeiarbeit

Wien (PK) – Innenminister Wolfgang Sobotka sah sich heute im Bundesrat mit einer von den Grünen und den Freiheitlichen initiierten Dringlichen Anfrage konfrontiert, bei der es um das Projekt "Gemeinsam Sicher", das auf eine Einbindung der Bevölkerung in die Polizeiarbeit abzielt, ging. Die Bundesräte David Stögmüller (G/O) und Werner Herbert (F/N) wiesen auf massive Widerstände von Seiten der Bevölkerung, der betroffenen BürgermeisterInnen und der Exekutivgewerkschaft hin und befürchteten eine Bespitzelung der BürgerInnen. Außerdem vermuteten die Grünen, dass das Innenressort damit von der Zusammenlegung der Polizeiposten ablenken wolle.

Eine völlig andere Sicht vertrat der Innenminister, der die damit verbundene Involvierung der BürgerInnen in die allgemeine Sicherheitslage, die Stärkung der Eigenverantwortung und den Präventionsgedanken hervorhob. "Wir müssen von einer Gesellschaft des Wegschauens zu einer Gesellschaft des Hinsehens kommen", betonte er, und genau diesem Ziel diene das Projekt, das wissenschaftlich begleitet wird und sich an internationalen Erfolgsmodellen orientiere. Die ersten Wochen seit dem Start im April hätten gezeigt, dass es eine große Bereitschaft gebe, sich zu engagieren.

Grüne und FPÖ warnen vor Spitzelwesen und sprechen von Ablenkungsaktion

Im April 2016 wurde in den Bezirken Schärding und Mödling sowie in den Städten Graz und Eisenstadt ein Pilotprojekt gestartet, das u.a. die Einrichtung von "Community Polizisten" vorsieht, erklärte Bundesrat David Stögmüller (G/O). Im Rahmen dessen sollen u.a. so genannte "Sicherheitsbürger" ausgebildet werden, die dann als Schnittstelle zwischen Bevölkerung und Polizei fungieren. Stögmüller befürchtete, dass sich davon vor allem Leute angesprochen fühlen, die gerne Spitzel spielen und dann wegen jeder Kleinigkeit zur Exekutive laufen. Auch der ÖVP-Bürgermeister in Schärding, Franz Angerer, halte nichts davon, weil "er kein Freund von Privatsheriffs oder einem Spitzelstaat wie in der früheren DDR" sei. Völlig unklar sei zudem, welche Ausbildung diese Personen erhalten und ob es Ausschlusskriterien gibt. Stögmüller wunderte sich auch darüber, warum gerade Schärding ausgewählt wurde, zumal es dafür keinerlei Anhaltspunkte in irgendeiner Kriminalstatistik gibt. Man habe ihm auch versichert, dass dort die Kommunikation mit den BürgerInnen sehr gut funktioniere; ein Pilotprojekt sei daher nicht notwendig. Kritik übte der Bundesrat auch daran, dass offensichtlich bereits geplant sei, das Projekt auf ganz Österreich auszuweiten.

Es spreche grundsätzlich nichts dagegen, den Dialog mit der Polizei zu fördern und das subjektive Sicherheitsgefühl zu stärken, konstatierte Werner Herbert (F/N). Mit dem vorliegenden Projekt werde man diese Ziele jedoch nicht erreichen, weil es sich dabei nur um ein "politisches Placebo" handle. Die BürgerInnen können sich zwar an die Exekutive wenden, müssen dann aber wohl erkennen, dass vieles nicht umsetzbar ist, weil weiterhin die nötigen Mittel fehlen. Am Schluss sei dann wieder die Polizei der Verlierer. Es gebe sinnvollere Ansätze, wie man die BürgerInnen besser einbinden und die Polizei entlasten könne.

Sobotka: Pilotprojekt soll subjektives Sicherheitsgefühl stärken und Prävention fördern

Innenminister Wolfgang Sobotka war generell der Auffassung, dass das System der polizeilichen Arbeit in Österreich im internationalen Vergleich als exzellent bezeichnet werden kann. Dennoch müsse man zur Kenntnis nehmen, dass trotz positiver Entwicklungen in Bezug auf die Kriminalstatistik das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung oft anders aussieht. Im Burgenland etwa, wo es die höchste Zahl an PolizistInnen und die geringste Verbrechensrate gibt, ist das Sicherheitsgefühl der BürgerInnen am niedrigsten in ganz Österreich. Aus diesem Grund haben sich ExpertInnen seines Hauses verschiedene Modelle angeschaut, um dieser Entwicklung entgegenzusteuern. Das nun angesprochene Pilotprojekt, das von seiner Vorgängerin in Auftrag gegeben wurde und unter dem Titel "Gemeinsam Sicher" läuft, orientiere sich an bereits erprobten Initiativen in Deutschland, den Niederlanden, USA und Kanada, wo sehr gute Erfolge erzielt wurden. Dabei sollen besonders auf Gemeinde- und Bezirksebene Personen motiviert werden, sich aktiv an Sicherheitsmaßnahmen in ihrem Lebensumfeld zu beteiligen. Dies sei aber nicht zu verwechseln mit Spitzelwesen oder Denunziation, unterstrich der Minister. Das Gegenteil sei der Fall – es soll nämlich verhindert werden, dass Gemeinden aufrüsten.

Das Modell, das auf einem "Sicherheitsgemeinderat", "Sicherheitsbürgern" und Ansprechpartnern innerhalb der Polizei basiert, soll ein Netz schaffen, das vor allem der Prävention dient, bekräftigte Sobotka. Alle BürgerInnen ssind herzlich eingeladen, sich daran zu beteiligen. In Graz, wo es ein Vorläuferprojekt gibt, haben sich bereits 500 SicherheitsbürgerInnen gemeldet. Ihnen kommen keine besonderen Rechte und schon gar keine hoheitlichen Befugnisse zu, betonte der Ressortchef. Was die Auswahl der Gemeinden betrifft, so war die jeweilige Sicherheitslage kein Kriterium, informierte der Minister darüber, sondern man wollte einen Querschnitt aus den unterschiedlichen Anforderungsprofilen erhalten. Detaillierte Antworten gab der Minister auch in Bezug auf die Arbeit und Ausbildung von "Community Polizisten", wobei man von den "best practice"-Beispielen aus dem Ausland gelernt habe. Sobotka hob zudem hervor, dass der "Community Referent" nicht der Bezirkskommandant ist. Schließlich appellierte der Minister an alle, sich konstruktiv einzubringen. Er nehme auch die Kritik von Seiten der PersonalvertreterInnen sehr ernst. Ende Juni werde ein Jour fix stattfinden, wo alle Bedenken eingebracht werden können. Ende des Jahres werde das Projekt evaluiert und entschieden, ob es fortgesetzt werden soll.

SPÖ und ÖVP: Dem Pilotprojekt soll eine Chance gegeben werden

Seitens der ÖVP zeigte sich der niederösterreichische Bundesrat Gerhard Schödinger über die Allianz zwischen "blau und grün" verwundert. Eigentlich sei den Ausführungen von Innenminister Sobotka nichts hinzuzufügen, meinte er. Er erhofft sich vom Projekt eine Hebung des Sicherheitsgefühls in der Bevölkerung. Dieses sei im Übrigen lange vorbereitet worden und kein Schnellschuss. Inwieweit das Projekt wirke, werde sich zeigen, sagte Schödinger, schließlich liege es im Wesen eines Pilotprojekts das herauszufinden.

Kritischer beurteilte der steirische SPÖ-Bundesrat Martin Weber das Vorhaben. Man müsse die Bedenken des Bürgermeisters von Schärding, einer der Gemeinden des Pilotprojekts, ernst nehmen, mahnte er. Es müsse klar geregelt werden, was ein "Sicherheitsgemeinderat" und was ein "Sicherheitsbürger" dürfe. Zudem dürfe man Querulanten keine Bühne bieten. Grundsätzlich spricht laut Weber aber nichts gegen einen intensiveren Meinungsaustausch zwischen Polizei und Bevölkerung und ein besseres Feedback, etwa was fehlende Straßenbeleuchtungen oder fehlende Zebrastreifen betrifft. Er will dem Pilotprojekt in diesem Sinn eine Chance geben.

Zum Schluss der Diskussion meldete sich nochmals Innenminister Sobotka zu Wort. Man würde das Pilotprojekt nicht machen, hätten ähnliche Projekte nicht in anderen Ländern Erfolge gezeitigt. Gleichzeitig versicherte er, dass das Innenministerium keine Selbstjustiz wolle. Zuvor hatte Grünen-Bundesrat Stögmüller bekräftigt, dass seine Fraktion das Pilotprojekt genau beobachten werde. (Fortsetzung Bundesrat) sue/gs


Format