Parlamentskorrespondenz Nr. 932 vom 14.09.2016

Diskussion im Nationalrat über Gefahren und Chancen von CETA und TTIP

Nationalratspräsidentin Bures eröffnet Parlamentarische Enquete

Wien (PK) – Der Widerstand in Österreich gegen die Freihandelsabkommen der EU mit Kanada und den USA, CETA und TTIP, ist groß. Unter anderem befürchten KritikerInnen, dass die hohen österreichischen Lebensmittelstandards in Gefahr geraten, der Privatisierungsdruck, vor allem im Bereich der kommunalen Dienstleistungen, erheblich steigen wird und dem österreichischen Staat durch Investitionsschutzklauseln Klagen internationaler Großkonzerne gegen missliebige Gesetze drohen. Zwar ist unwahrscheinlich, dass die TTIP-Verhandlungen, wie ursprünglich von der EU-Kommission erhofft, noch heuer abgeschlossen werden, der CETA-Vertrag liegt aber fertig ausverhandelt auf dem Tisch und könnte zumindest in Teilen schon in Kürze zur Anwendung kommen. Welche möglichen negativen Konsequenzen dadurch drohen, aber auch welche Chancen CETA und TTIP für das Exportland Österreich bieten, damit befasst sich heute eine prominent besetzte Parlamentarische Enquete des Nationalrats. Ausdrücklich für CETA warb dabei der kanadische Botschafter Mark E. Bailey, während sich Bundeskanzler Christian Kern nach wie vor skeptisch zeigte.

Eröffnet wurde die Enquete von Nationalratspräsidentin Doris Bures, die in ihren Einleitungsworten betonte, dass es Aufgabe der Abgeordneten sei, die Chancen und Risiken von TTIP und CETA abzuwägen. Es gehe zudem darum, die Mitwirkungsrechte des Parlaments und die Transparenz des Verhandlungsprozesses sicherzustellen. Die Enquete ist für Bures in diesem Sinn ein weiterer Baustein in einem bereits jahrelang geführten Diskussions- und Meinungsbildungsprozess. Der Nationalrat hat etwa bereits im September 2014 eine Entschließung zu CETA und TTIP gefasst und dabei die Befürchtung geäußert, dass es durch die beiden Abkommen zu einer Absenkung europäischer Standards kommen könne, und die Sinnhaftigkeit eigener Sonderklagsgerichte in Frage gestellt. "Ich wünsche uns eine gute Debatte, viel Erfolg und eine aufschlussreiche Diskussion", so Bures abschließend.

Kern: CETA hat drei gravierende Schwächen

Bundeskanzler Christian Kern stellte die Handelsabkommen CETA und TTIP in einen größeren Zusammenhang. Die "Phase massiv beschleunigter Globalisierung" in den letzten Jahren und Jahrzehnten habe zwar beachtliche Wohlstandseffekte gebracht, die Verteilung dieser Wohlstandseffekte funktioniere in Europa aber nicht so wie erwartet, mahnte er. Die EU sei vor 60 Jahren mit zwei Versprechen angetreten: Sicherheit und Wohlstand. Das zweite Versprechen sei aber brüchig geworden. Kern sieht es als Aufgabe der Politik, darauf entsprechend zu reagieren. Ansonsten würden radikale Kräfte das Projekt Europa von innen zersetzen, warnte er.

Österreich habe unbestritten von Freihandel und offenen Grenzen profitiert, und CETA sei auch das beste Handelsabkommen, das die EU jemals abgeschlossen habe, unterstrich Kern. Nach Meinung des Bundeskanzlers sind aber einige Grundsatzprobleme offen geblieben, vor allem in drei Bereichen sieht er Nachbesserungsbedarf gegeben. Kern fürchtet etwa, dass die vorgesehenen Investitionsschutzgerichte zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse von der Politik zu Gerichten führen werden, auch wenn man mittlerweile von der Idee klassischer Schiedsgerichte Abstand genommen habe. Außerdem erwartet er einen deutlich steigenden Druck auf die Privatisierung und Deregulierung von Leistungen im Bereich der Daseinsvorsorge sowie eine Stärkung internationaler Konzerne zu Lasten der Politik und der Parlamente durch die besondere Betonung ökonomischer Standards.

Mitterlehner will CETA nicht mehr aufschnüren

Anders als Kern wandte sich Vizekanzler und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner allerdings dagegen, CETA noch einmal aufzuschnüren. CETA sei ein fertig ausverhandeltes Abkommen, von dem nicht nur die Industrie, sondern vor allem auch kleine und mittlere Betriebe sowie die Landwirtschaft profitieren werden, unterstrich er. Mitterlehner wies in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass die Exportwirtschaft einen Anteil von 60% am BIP habe und damit auch zehntausende Arbeitsplätze betroffen seien.

Die von Kern geäußerten Bedenken teilt Mitterlehner nicht. Er machte geltend, dass im Bereich des Investitionsschutzes nun internationale Handelsgerichtsverfahren mit professionellen Richtern und Berufungsmöglichkeiten vorgesehen seien. Auch seien keine Standards in Gefahr, da das "right to regulate" ausdrücklich im Abkommen verankert wurde. Es werde auch niemand gezwungen, Leistungen im Bereich der Daseinsvorsorge zu privatisieren, etwa was die Wasserversorgung, Pensionen oder Spitäler betrifft. Um den Bedenken der KritikerInnen Rechnung zu tragen, kann sich Mitterlehner eine gemeinsame Erklärung über die Intention einzelner Punkte des Abkommens vorstellen.

Bei TTIP sprach sich Mitterlehner allerdings für einen Neustart der Verhandlungen aus. Der Verhandlungsprozess sei nicht transparent genug aufgesetzt gewesen, kritisierte er, etliches sei schief gelaufen. Man solle daher das Verhandlungsgefüge neu aufsetzen und neu durchstarten, um dem entstandenen Misstrauen zu begegnen. Mitterlehner betonte aber, dass er nach wie vor zu einem gut verhandelten fairen Abkommen mit den USA stehe.  

Bailey: CETA ist keine Hintertür für TTIP

Grußworte kamen von der Botschafterin der USA in Österreich, Alexa L. Wesner, und vom kanadischen Botschafter Mark E. Bailey. Bailey betonte dabei ausdrücklich, dass CETA und TTIP nicht miteinander vergleichbar seien und CETA nicht als Vorhut oder Hintertür für TTIP gesehen werden könne. Es gebe massive Unterschiede zwischen den USA und Kanada, etwa was Arbeitsgesetze oder das Sozialsystem betrifft, bekräftigte er. Durch das Abkommen blieben die hohen europäischen und kanadischen Standards in Bereichen wie Lebensmittelsicherheit, Umweltschutz und Arbeitnehmerrechte vollständig gewahrt. Etliche auch für KanadierInnen wichtige Bereiche wie das Gesundheitswesen, das öffentliche Bildungswesen und andere soziale Dienstleistungen seien von CETA ausgenommen. Man habe zudem sichergestellt, dass ausschließlich KanadierInnen und EuropäerInnen von CETA profitieren können, erklärte Bailey, wollten die AmerikanerInnen ähnliche Vorteile, bräuchten sie ein eigenes Abkommen.

Generell betone Bailey, dass CETA nicht einfach irgendein weiteres Handelsabkommen sei, sondern ein neuer Maßstab gesetzt werde. Durch das Abkommen würden die langjährigen Beziehungen zwischen Kanada und der EU vertieft und dieses werde dazu beitragen, dringend notwendiges Wachstum und Jobs zu schaffen. Baileys warnte auch davor, immer lauter werdenden Rufen nach Protektionismus im Handelsbereich nachzugeben, dadurch werde man gesellschaftliche Spannungen nicht lindern, sondern weiter verschlimmern.

Wesner: Mit vereinten Kräften globale Standards definieren

US-Botschafterin Wesner stellte die gemeinsamen Werte Europas und der USA in den Vordergrund ihrer Rede. Diese Werte seien nicht global, sondern laufend in Gefahr, mahnte sie. Deshalb sei es unbedingt notwendig, eine gemeinsame Vision von der Zukunft zu haben. Um die Handelsbeziehungen zwischen den USA und Europa, schon jetzt die größten in der Welt, weiter auszubauen, braucht es ihrer Meinung nach geeignete Verträge.

Wesner wies darauf hin, dass bereits seit drei Jahren über TTIP verhandelt werde. In dieser Zeit habe man essentielle Verhandlungsfortschritte erzielt. Trotz noch bestehender Auffassungsunterschiede in einzelnen Bereichen sollte man ihr zufolge rasch zu einem Abschluss der Verhandlungen kommen. Die USA seien offen für Diskussionen, betonte Wesner, man solle das Abkommen nicht an Differenzen im Ein-Prozent-Bereich scheitern lassen.

Vorläufige Anwendung von CETA nur in Teilbereichen möglich

Die rechtlichen Grundlagen für die beiden Freihandelsabkommen erläuterten Andreas Kumin vom Außenministerium und Gerlinde Wagner von der Parlamentsdirektion. Beide ExpertInnen betonten, dass es sich bei CETA und TTIP um gemischte Abkommen handelt, für die zwar in weiten Bereichen ausschließlich die EU, in Teilbereichen aber auch die EU-Mitgliedstaaten zuständig sind. Ihrer Einschätzung nach können in diesem Sinn Teile des bereits ausverhandelten CETA-Abkommens erst nach einer Ratifikation durch das österreichische Parlament in Österreich angewendet werden. Insbesondere geht es dabei um Verkehrsdienstleistungen, Investitionsschutzbestimmungen und Steuerfragen. Gänzlich geklärt ist der Umfang der nationalen Zuständigkeiten aber nicht, derzeit läuft, im Zusammenhang mit dem Freihandelsabkommen der EU mit Singapur, zu dieser Frage ein Gutachtenverfahren beim Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Eine Unterzeichnung von CETA durch die EU kann Österreich allerdings nicht verhindern. Dafür reicht eine qualifizierte Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten im Europäischen Rat.

Nach einer allgemeinen Generaldebatte heute Vormittag sind am Nachmittag zwei Spezial-Panels geplant. Auf der einen Seite wird es um die Themen Investitionsschutz, regulatorische Zusammenarbeit, Abbau von Zöllen und öffentliche Dienstleistungen gehen, auf der anderen Seite stehen die Themen Lebensmittelsicherheit, Landwirtschaft, Konsumentenschutz, Umweltschutz und Arbeitnehmerschutz zur Diskussion. Zu Wort kommen neben WirtschaftsexpertInnen, Sozialpartner-VertreterInnen und NGOs auch Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter und der Kanadische Chefverhandler für CETA Steve Verheul. Zum Abschluss ist eine Debatte mit der zuständigen EU-Kommissarin Cecilia Malmström vorgesehen, sie wird um ca. 17 Uhr im Hohen Haus erwartet. (Fortsetzung Enquete) gs

HINWEIS: Fotos von der Enquete finden Sie auf der Website des Parlaments unter www.parlament.gv.at/aktuelles/mediathek/fotos.