Parlamentskorrespondenz Nr. 59 vom 26.01.2017

Nationalratspräsidentin Bures: Was lange währt, wird heute gut - Österreich hat wieder ein Staatsoberhaupt

Bures bei Angelobung: Vielfalt Österreichs wertschätzen und Einheit stärken, das ist Herausforderung für Bundespräsidenten

Wien (PK) – "Was lange währt, wird heute gut: Nach 202 Tagen ohne Bundespräsidenten hat Österreich wieder ein Staatsoberhaupt." Mit diesen Worten begann Nationalratspräsidentin Doris Bures ihre Festrede bei der Angelobung von Alexander Van der Bellen als 9. Bundespräsidenten der Zweiten Republik. Bures war seit 8. Juli 2016 Vorsitzende des Nationalratspräsidiums, das als Kollegium bis heute die Amtsgeschäfte des Bundespräsidenten ausübte. In ihrer Rede betonte die Nationalratspräsidentin die bedeutende Rolle des Bundespräsidenten und ging auf die Erwartungen und Herausforderungen ein, die mit dem Amt verbunden sind.

"Wenn die gesamte Welt in Bewegung ist, wächst die Sehnsucht der Menschen nach Stabilität und Sicherheit", so Bures, "und die richtige Antwort auf diese Sehnsucht findet sich nicht in der Rückkehr zu Nationalismen, sondern in einer engen und solidarischen Zusammenarbeit in Europa und in weltweiten Allianzen für den Frieden". In diesem Sinn sei es sehr gut zu wissen, sagte die Nationalratspräsidentin, dass Bundespräsident Van der Bellen "sich der Rolle Österreichs als selbstbewusstes und verlässliches Mitglied der europäischen und internationalen Staatengemeinschaft verpflichtet" sehe.

Bures: Niemand soll ausgeschlossen oder zurückgelassen werden

"Der Wunsch und das Recht der Menschen, in Sicherheit zu leben, verpflichte die Politik, für ein sozial gerechtes Europa einzutreten", sagte Bures dazu weiter, und ergänzte: "Wir müssen die rasanten Entwicklungen unserer Zeit – vorangetrieben durch Globalisierung, Digitalisierung und Automatisierung – zum größtmöglichen Wohl aller in unserer Gesellschaft nutzen. Niemand soll ausgeschlossen oder zurückgelassen werden."

Zur künftigen Zusammenarbeit zwischen dem Parlament und Van der Bellen betonte die Nationalratspräsidentin, sie habe keinen Zweifel daran, dass sich diese positiv gestalten werde – habe das neue Staatsoberhaupt doch dem Nationalrat angehört und die parlamentarische Arbeit überdies als Klubobmann mitgeprägt. Daher wisse Van der Bellen "die Vielfalt und den Kompromiss zu schätzen", denn "beides gehört zum Wesen der parlamentarischen Demokratie"; es sei möglich, sich in der Mitte zu treffen, auch wenn man aus entgegengesetzten Richtungen komme, so Bures. Und die Nationalratspräsidentin fügte hinzu: "Die Vielfalt Österreichs wertzuschätzen und gleichzeitig seine Einheit zu stärken – das gehört nun zu den ganz großen Herausforderungen, die vor Ihnen liegen."

Als Ehrengäste lud Bures übrigens drei ehemalige Heimkinder, denen in ihrer Jugend schlimmstes Unrecht zuteil wurde, in ihre Loge. Außerdem saßen dort drei Lehrlinge, die am Lehrlingsparlament der Demokratiewerkstatt teilgenommen haben. Und darüber hinaus Spitzenrepräsentanten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, nämlich Präsident Anton Zeilinger, Vizepräsident Michael Alram und Georg Brasseur, Leiter der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse.  

Die Rede von Nationalratspräsidentin Doris Bures im Wortlaut:

– es gilt das gesprochene Wort -

Hohe Bundesversammlung!

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Was lange währt, wird heute gut: Nach 202 Tagen ohne Bundespräsidenten hat Österreich wieder ein Staatsoberhaupt.

Sehr geehrter Herr Bundespräsident Van der Bellen!

Eine klare Mehrheit der Wählerinnen und Wähler hat Sie mit dem Vertrauen ausgestattet, das höchste politische Amt in unserem Staat zu übernehmen. Vor wenigen Minuten haben Sie vor der Bundesversammlung feierlich Ihr Gelöbnis abgelegt. Ab jetzt werden Sie das Amt des Bundespräsidenten mit Leben erfüllen. Sie tragen damit eine große Verantwortung. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten nun von Ihnen, dass Sie ein überparteilicher Anwalt der Rechte und Interessen unseres Landes sind.

Das Amt des Bundespräsidenten hat großes Gewicht. Es resultiert zum einen aus den vielfältigen Aufgaben und Kompetenzen, die die Verfassung vorgibt: Alle ihre Vorgänger der Zweiten Republik – und im besonderen Ausmaß Dr. Heinz Fischer – haben bewusst die gute Tradition geprägt, mit diesen weitreichenden Kompetenzen sorgsam und besonnen umzugehen.

Zum anderen verleihen die Hoffnungen und Erwartungen der Bevölkerung diesem Amt seine hohe Bedeutung: Der Bundespräsident soll Denkanstöße und Orientierung in einer immer komplexer werdenden Welt geben. Er soll vermitteln, neue Wege aufzeigen und in verfahrenen Situationen nach Lösungen suchen. Wenn er Grundsätze der Humanität und unserer solidarischen Gesellschaft gefährdet sieht, soll er ein Mahner sein. Kurzum: Der Bundespräsident muss eine moralische Instanz sein! All das sind hohe Ansprüche an das Amt und an den, der es ausübt.

Sie werden die Republik Österreich auch nach außen vertreten – in einer Zeit, die von großen Veränderungen und Umbrüchen gekennzeichnet ist: in der Europäischen Union, an den Toren Europas, im Nahen Osten und nicht zuletzt in den USA.

Wenn die gesamte Welt in Bewegung ist, wächst die Sehnsucht der Menschen nach Stabilität und Sicherheit. Ich bin zutiefst überzeugt: Die richtige Antwort auf diese Sehnsucht findet sich nicht in der Rückkehr zu Nationalismen, sondern in einer engen und solidarischen Zusammenarbeit in Europa und in weltweiten Allianzen für den Frieden. Es ist gut zu wissen, sehr geehrter Herr Bundespräsident, dass Sie sich der Rolle Österreichs, als selbstbewusstes und verlässliches Mitglied der europäischen und internationalen Staatengemeinschaft verpflichtet sehen.

Der Wunsch und das Recht der Menschen, in Sicherheit zu leben, verpflichtet uns auch, für ein sozial gerechtes Europa einzutreten. Wir müssen die rasanten Entwicklungen unserer Zeit –  vorangetrieben durch Globalisierung, Digitalisierung und Automatisierung – zum größtmöglichen Wohl Aller in unserer Gesellschaft nutzen. Niemand soll ausgeschlossen oder zurückgelassen werden!

Die österreichische Bundesverfassung schreibt ein fein ausbalanciertes Machtgefüge zwischen Bundespräsidenten, Bundesregierung und Parlament fest. Das konstruktive Miteinander dieser drei Institutionen ist die stabile Grundlage unseres demokratischen Systems. Das Zusammenspiel des direkt gewählten Bundespräsidenten mit dem Parlament hat dabei zentrale Bedeutung. Dass sich Ihre Zusammenarbeit mit dem Parlament positiv gestalten wird, daran habe ich keinen Zweifel. Haben Sie dem Nationalrat doch über lange Zeit angehört und die parlamentarische Arbeit auch als Klubobmann mitgeprägt. Daher wissen Sie die Vielfalt und den Kompromiss zu schätzen. Beides gehört zum Wesen der parlamentarischen Demokratie. Es ist möglich, sich in der Mitte zu treffen, auch wenn man aus entgegengesetzten Richtungen kommt. Die Vielfalt Österreichs wertzuschätzen und gleichzeitig seine Einheit zu stärken – das gehört nun zu den ganz großen Herausforderungen, die vor Ihnen liegen.

Am 8. Juli des Vorjahres hat die österreichische Bundesverfassung die Amtsgeschäfte des Staatsoberhauptes in die Hände des Präsidiums des Nationalrates gelegt.

Als Vorsitzende des Kollegiums kann ich Ihnen versichern: Wir haben diese Verantwortung nach bestem Wissen und Gewissen wahrgenommen. Ich freue mich, dass ich heute diese Aufgaben in Ihre Hände, in die Hände eines direkt vom Volk gewählten Bundespräsidenten legen kann.

Im Namen des österreichischen Nationalrates und auch ganz persönlich wünsche ich Ihnen Kraft, Energie und Leidenschaft für Ihre verantwortungsvolle Arbeit  – für Ihren Dienst an den Menschen in unserem Land!  Es lebe die Republik Österreich! (Fortsetzung Bundesversammlung) wz

HINWEIS:

Fotos von der 18. Bundesversammlung zur Angelobung von Alexander Van der Bellen finden Sie im Fotoalbum unter www.parlament.gv.at/aktuelles/mediathek/fotos.