Parlamentskorrespondenz Nr. 67 vom 30.01.2017

40 Jahre Volksanwaltschaft: Schutz der Bürger- und Menschenrechte wichtiger denn je

Mehr als eine halbe Million Beschwerden; Dank von Bundespräsident Van der Bellen

Wien (PK) – Seit 1977 ist die Volksanwaltschaft dort zur Stelle, wo sich Menschen von österreichischen Behörden ungerecht behandelt fühlen. Seit 2012 schützt sie Menschenrechte, überprüft Justizanstalten, die Exekutive, spricht mit Menschen in Pflegeheimen und psychiatrischen Einrichtungen; ist dort, wo Menschen abgeschoben werden oder sich nicht frei bewegen dürfen. Heute feierte die Volksanwaltschaft im Parlament ihren 40. Geburtstag. Neben den drei VolksanwältInnen Günther Kräuter, Gertrude Brinek und Peter Fichtenbauer unterstrich auch der polnische Ombudsmann und Menschenrechtsaktivist Adam Bodnar die Bedeutung einer unabhängigen Ombudsstelle. Geht es um Herausforderungen in der Zukunft, sehen sich die VolksanwältInnen u.a. besonders im Schutz von Bürger- und Menschenrechten gefragt. Bundespräsident Alexander Van der Bellen sprach von einer unverzichtbaren Rolle der Volksanwaltschaft für Österreich.

Kräuter: Präventiver Schutz von Menschenrechten gewinnt an Bedeutung

Die Missstände und Mängel hätten sich in den späten 1970igern in Österreich rasch gezeigt, die Wurzeln einer unabhängigen Bürgervertretung würden jedoch in Schweden liegen, erzählte der Vorsitzende der Volksanwaltschaft Günther Kräuter über den Beginn der Institution in seiner Rede. Als Kontrollinstrument mache sich die Volksanwaltschaft bei der Regierung von Natur aus nicht beliebt, für Kräuter stützt sich die Institution aber auf das Vertrauen der BürgerInnen, die Kompetenzen ihrer VolksanwältInnen und MitarbeiterInnen sowie auf den Respekt seitens Politik und Verwaltung. "Der Einsatz der Volksanwälte und Mitarbeiter haben die Institution geprägt", so Kräuter.

Einen Paradigmenwechsel sieht er im Bereich der Menschenrechte, die von individuellen institutionellen Bemühungen hin zu einem breiten Anliegen der gesamten Bevölkerung wandern würden. Auch das sei eine Mission der Volksanwaltschaft, so Kräuter. Für ihn wird mit Blick auf politische Entwicklungen etwa in den USA der präventive Schutz von Menschenrechten zunehmend an Bedeutung gewinnen.

Brinek: Die Qualität der Volksanwaltschaft liegt in ihrer Unabhängigkeit

Einen Dank richtete Volksanwältin Gertrude Brinek an die BürgerInnen für ihr Vertrauen in die Volksanwaltschaft. In den letzten 40 Jahren haben sich mehr als eine halbe Million Menschen an die Institution gewandt, 5609 Gespräche wurden persönlich geführt. "Ich weiß, wie es der österreichischen Seele geht", so Brinek. Für sie ist die größte und weitreichendste Kompetenzerweiterung der letzten Jahre das verfassungsmäßige Mandat zum Schutz der Menschenrechte. Mit diesem Auftrag seien nämlich weitere Kooperationen verbunden – mit Bildungseinrichtungen, der Demokratiewerkstatt des Parlaments, mit der Wissenschaft und der Öffentlichkeit, um das Bewusstsein vom Menschenrechtsschutz zu verstärken und zu vertiefen.

Die besondere Qualität der österreichischen Volksanwaltschaft liegt für Brinek in ihrer Unabhängigkeit und der soliden ressourcenmäßigen Ausstattung. Politik und Verwaltung könnten nicht im Facebook-Tempo und in Speeddating-Methoden arbeiten. Eine der Herausforderungen für die Zukunft sieht Brinek darin, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen. 

Fichtenbauer will für Volksanwaltschaft gleiche Prüfkompetenzen wie im Rechnungshof

"Wir tun das Werk von Menschen für Menschen", sagte Volksanwalt Peter Fichtenbauer. Dennoch gibt es für ihn nach wie vor "weiße Flecken" in der Rechtsstaatlichkeit, die aus seiner Sicht beseitigt werden müssen. Handlungsbedarf für den Gesetzgeber sieht er etwa in der Polizeiausbildung. Demnach sollte gesetzlich abgesichert werden, dass die Volksanwaltschaft als Institution samt ihren gesetzlichen Zuständigkeiten entgegen der geltenden Praxis Teil der Polizeiausbildung wird.

Fichtenbauer appellierte außerdem an das Parlament, die Prüfkompetenzen der Volksanwaltschaft weiter auszubauen. Geht es nach ihm, soll diese – analog zum Rechnungshof – auf ausgegliederte Gesellschaften, an denen die öffentliche Hand zu mindestens 50% beteiligt ist, ausgeweitet werden. Die Kontrolllücke sei evident, bei der Forderung handle es sich um einen "bescheidenen Geburtstagswunsch der Volksanwaltschaft". 

Die Augen dürften außerdem nicht vor dem Problem der chronisch kranken Kinder im Schulsystem verschlossen werden. Auf gesetzlicher Ebene hält er die Einführung von medizinischen Ausbildungsmodulen in den Pädagogischen Akademien, eine Amtshaftung für LehrerInnen im Fall von Hilfeleistungen für die Kinder sowie das in anderen Ländern bekannte Systems des "school nursing" für sinnvoll.

Polnischer Ombudsmann Bodnar ruft zum Wiener Kongress der Bürgerrechte auf

"Zum Glück sind wir in Wien, wo der Geist der europäischen Idee greifbar ist", sagte der polnische Ombudsmann Adam Bodnar in seiner Festrede. Als ein Bürger Europas sei Wien heute der beste Ort, wo man Veränderungsprozesse in Gang setzen könne. Es brauche einen neuen Wiener Kongress, der nicht die Rolle des Staates im künftigen Europa bestimmen, sondern die Bürgerrechte aufs Neue definieren soll.

Zuvor hatte Bodnar auf aktuelle Menschenrechtsprobleme aufmerksam gemacht. Für ihn schien es etwa lange unvorstellbar, dass die Idee des Rechtsstaates und die Rolle der Verfassung angezweifelt werden, oder, dass sich die flüchtlingsfeindliche Stimmung so rasant ausbreiten könne. Ombudsmänner würden sich inmitten dieses "Wirbels" befinden, zwischen dem Druck der Regierenden sowie ihren Befürchtungen vor Terroranschlägen einerseits und den Erwartungen der MitbürgerInnen, staatlichen Eingriffen in das Privatleben entgegenzuwirken, andererseits. Seine Schlussfolgerung: Die Rolle des Ombudsmanns als Vermittler zwischen Staatsgewalt und den BürgerInnen gewinne an Bedeutung. Es brauche gemeinsame Lösungen, die Krise sei zu groß, als dass sie ein Land oder eine Institution alleine meistern könnte. "Wir müssen aktiv sein", so Bodnars Appell.

Bodnar unterstrich auch die "besten Beziehungen" zwischen Polen und Österreich. Symbolcharakter habe u.a. die Unterstützung Kräuters samt KollegInnen vom International Ombudsman Institute, als im letzten Jahr die Befürchtung aufkam, dass die Unabhängigkeit des polnischen Ombudsmanns beschnitten werden könnte.

Van der Bellen: Volksanwaltschaft hat unverzichtbare Rolle im Staatswesen

Sowohl für BeschwerdeführerInnen, als auch für den Ausbau des Rechtsstaats habe die Volksanwaltschaft eine unverzichtbare Rolle im Staatswesen, sagte der seit wenigen Tagen amtierende Bundespräsident Alexander Van der Bellen in seinen Grußworten. Jede einzelne Bürgerin und jeder einzelne Bürger habe mit der Volksanwaltschaft auch außerhalb der Gerichte die Möglichkeit, sich zu beschweren und sich im Einzelfall gegen Behördenwillkür zu wehren. Die Garantie und Förderung der Menschenrechte sei nicht immer selbstverständlich, daher sei auch die präventive Menschrechtskontrolle eine wichtige Sache. Die Volksanwaltschaft hat sich über Jahrzehnte bewährt und sei - auch durch die mediale Präsenz - einem Großteil der BürgerInnen bekannt.

Ein Baustein in der außenpolitischen Bedeutung Österreichs sei auch, dass das Generalsekretariat des IOI seinen Sitz in der Volksanwaltschaft in Wien hat. Bedauerlich sei es, wenn auf der Welt Ombusmann-Institutionen in Bedrängnis kommen, so Van der Bellen. Deren Unabhängigkeit sei jedenfalls zu unterstützen. Die Arbeit der Volksanwaltschaft sei sehr ernst zu nehmen, denn es sind Institutionen, von denen Bürgernähe durchgesetzt und garantiert werden kann. Dies sei eine wertvolle Errungenschaft über Jahre, unterstrich der neue Bundespräsident.

Zur Geschichte der Volksanwaltschaft

1977 als Provisorium auf Initiative von Bruno Kreisky eingerichtet, verzeichnet die Volksanwaltschaft mittlerweile rund 20.000 Beschwerden von BürgerInnen im Jahr.

1981 wurde die Institution dann in der Verfassung verankert und damit auch ihre Aufgabe, Missstände in der österreichischen Verwaltung aufzuzeigen. Das Generalsekretariat des International Ombudsman Institute (IOI), der globalen Organisation für die Vernetzung unabhängiger Verwaltungskontrollorgane, hat ihren Sitz seit 2009 in der Volksanwaltschaft.

Mit Juli 2012 wurde die Volksanwaltschaft zum Menschenrechtshaus in Österreich. Seitdem ist sie verfassungsrechtlich für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte zuständig. Beraten und begleitet wird sie vom Menschenrechtsbeirat, sechs regionale Menschenrechts-Kommissionen leisten außerdem in den Bundesländern präventive Arbeit zum Schutz der Menschenrechte. Grundlage für ihren Menschenrechts-Auftrag sind UN-Menschenrechtsverträge, durch die sich die Republik Österreich zu bestimmten menschenrechtlichen Garantien und internationalen Standards verpflichtet hat. Konkret wurde mit der Kompetenzerweiterung der Volksanwaltschaft das Zusatzprotokoll zur UN-Anti-Folter-Konvention (OPCAT) und den darin geforderten "Nationalen Präventionsmechanismus" (NPM) sowie Regelungen der UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt.

Der Prüfungsauftrag umfasst alle Einrichtungen, in denen Menschen mit und ohne Behinderungen besonders stark Gefahr laufen, Misshandlung, unmenschlicher Behandlung und freiheitsentziehenden Maßnahmen wehrlos ausgesetzt zu sein. (Schluss) keg/mbu

HINWEIS: Fotos von der Festveranstaltung finden Sie auf der Website des Parlaments unter www.parlament.gv.at/aktuelles/mediathek/fotos.