Parlamentskorrespondenz Nr. 543 vom 09.05.2017

Vorabprüfung von Staatsverträgen durch VfGH: Kanzleramt ist skeptisch

Drozda legt Abgeordneten vom Nationalrat angeforderten Bericht vor

Wien (PK) – Die derzeitige Rechtslage ist klar. Anders als in Deutschland hat das Verfassungsgericht in Österreich nicht die Möglichkeit, Staatsverträge auf ihre Verfassungskonformität zu prüfen, bevor sie ratifiziert und kundgemacht sind. Das könnte sich eines Tages als Problem erweisen. Qualifiziert der Verfassungsgerichtshof (VfGH) einen Staatsvertrag bzw. Teile davon als verfassungswidrig, sind die entsprechenden Bestimmungen innerstaatlich nicht mehr anzuwenden, völkerrechtlich bleibt der Vertrag hingegen verbindlich. Der Nationalrat hat den Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts daher im März 2016 ersucht, diese Problematik genauer zu untersuchen. Der entsprechende Bericht von Kanzleramtsminister Thomas Drozda liegt nun vor (III-386 d.B.).

Drozda gibt zwar keine Empfehlung ab, geht es nach dem vorgelegten Papier, soll sich in Zukunft jedoch nicht viel ändern. Zwar will der Verfassungsdienst nicht ausschließen, dass es einmal in Folge der Aufhebung eines Staatsvertrags durch den VfGH zu völkerrechtlichen Problemen kommen könnte, er sieht aber keinen wirklichen Handlungsbedarf. Schließlich habe es in den vergangenen 50 Jahren – der VfGH kann Staatsverträge erst seit 1964 prüfen – keinen einzigen derartigen Fall in der Praxis gegeben. Zudem sei die Vorabprüfung von Staatsverträgen durch ein Verfassungsgericht aus rechtsvergleichender Sicht eher unüblich und vor allem in jenen Ländern möglich, die generell eine präventive Normenkontrolle vorsehen, also auch die Vorabprüfung von Gesetzen, wird im Bericht festgehalten. Auch die so genannte Venedig-Kommission des Europarats empfehle die Einführung einer präventiven Normenkontrolle nicht.

Der Verfassungsdienst gibt darüber hinaus zu bedenken, dass durch die Einführung einer Vorabprüfung von Staatsverträgen die Gefahr drohe, dass der VfGH verstärkt in tagespolitische Auseinandersetzungen hineingezogen wird. Zudem würde sich das Verhältnis der obersten Staatsorgane zueinander wesentlich ändern und sich die Kräfte tendenziell vom – demokratisch legitimierten – Bundespräsidenten, der den Staatsvertrag abschließt, und vom – ebenfalls demokratisch legitimierten – Nationalrat zum Verfassungsgerichtshof verschieben.

Sollte sich die Mehrheit der Abgeordneten dennoch für präventive Staatsvertragsprüfungen durch den VfGH entscheiden, gibt das Bundeskanzleramt einige Empfehlungen ab. Demnach soll die Prüfung, allein schon aus zeitökonomischen Gründen, auf vorgebrachte Bedenken beschränkt werden. Damit würde man auch vermeiden, dass der betreffende Vertrag zur Gänze "immunisiert" wird, der Verfassungsgerichtshof also keine Möglichkeit einer nachträglichen Kontrolle mehr hat. Schließlich zeige sich oft erst in der Praxis, wie ein Staatsvertrag angewendet wird. Es sei nahezu unmöglich, schon vorab sämtliche Fallkonstellationen zu antizipieren, so der Bericht.

Unabdingbar ist es für den Verfassungsdienst überdies, dass vor einer Vorabprüfung ein ausverhandelter Text vorliegt. Anfechtungsbefugt sollen nur Abgeordnete und BundesrätInnen (jeweils ein Drittel der Mitglieder des Nationalrats bzw. des Bundesrats) sowie Landesregierungen sei, jedoch keine Einzelpersonen. Um eine Verzögerung beim Abschluss von Staatsverträgen zu vermeiden, rät der Verfassungsdienst zu legistischen Vorkehrungen, etwa in Form von Fristen.

Rechtsunsicherheiten zur Gänze ausschließen lassen sich laut Bericht jedenfalls auch bei einer Vorabprüfung von Staatsverträgen durch den Verfassungsgerichtshof nicht. Schließlich könnten Verfassungswidrigkeiten erst durch die konkrete Anwendung einzelner Bestimmungen offensichtlich werden und zur nachträglichen Aufhebung von Teilen des Staatsvertrags führen, die ursprünglich allgemein als unproblematisch gesehen wurden.

Im Bericht ausführlich dargestellt ist auch die rechtliche Situation in Deutschland und in verschiedenen anderen EU-Ländern. Demnach gibt es etwa in Frankreich, Irland und in etlichen zentral- und osteuropäischen Staaten "ex-ante-Modelle" bei der Normenprüfung. Auch auf Europäischer Ebene existiert mit der Gutachtenkompetenz des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ein Instrument vorbeugender Rechtsklärung. Spanien, Portugal, Polen, Estland und Ungarn haben Mischmodelle. (Schluss) gs