Parlamentskorrespondenz Nr. 762 vom 21.06.2017

Neu im Gesundheitsausschuss

S-V-Antrag sieht Einrichtung von 75 Primärversorgungseinheiten bis 2021 vor

Wien (PK) - Ein umfassendes Gesundheitsangebot unter einem Dach, wohnortnah und mit patientenfreundlichen Öffnungszeiten – für das stehen die neuen Primärversorgungseinheiten (PVE), von denen es bis Ende 2021 mindestens 75 an der Zahl in ganz Österreich geben soll. Solche Zentren sollen zumindest aus einem Kernteam aus AllgemeinmedizinerInnen und Gesundheits- und Krankenpflegepersonal bestehen und können in Form einer Gruppenpraxis, eines selbständigen Ambulatoriums oder – bei mehreren Standorten - eines Netzwerks betrieben werden. Je nach Bedarf können auch KinderärztInnen sowie weitere Angehörige von Gesundheits- und Sozialberufen (z.B. Hebammen, PsychologInnen etc.) strukturiert eingebunden werden.

Die Regierung erwartet sich dadurch Vorteile für die PatientInnen im Sinne einer ganzheitlichen und kontinuierlichen Betreuung, eine Entlastung der Spitalsambulanzen sowie eine Aufwertung des Berufsbildes Allgemeinmediziner. Bereits im Rahmen der letzten Finanzausgleichsverhandlungen wurde durch eine Einigung von Ländern und Sozialversicherung auf eine Zweckwidmung von 200 Mio. € die Finanzierung der Primärversorgung sichergestellt. Außerdem können für den Aufbau von neuen Strukturen auch EU-Mittel aus dem Programm für die ländliche Entwicklung lukriert werden, zeigt der Antrag auf.

Die gesetzliche Grundlage dafür liefert das Gesundheitsreformumsetzungsgesetz (GRUG 2017), das nun in Form eines SPÖ-ÖVP-Initiativantrags im Parlament eingebracht wurde (2255/A). Zur Erinnerung: Einen ersten konkreten Plan zur Neugestaltung der Primärversorgung hat die frühere Ministerin Sabine Oberhauser schon vor zwei Jahren vorgelegt. Seit dem Jahr 2015 ist auch das erste Pilotprojekt in Wien ("Medizin Mariahilf") in Betrieb; Anfang 2017 folgte ein weiteres in Enns.

Einführung von multiprofessionellen und interdisziplinären Primärversorgungseinheiten

Generell wird im Antrag darauf hingewiesen, dass die Errichtung und der Betrieb von Primärversorgungseinheiten im öffentlichen Interesse ist, weil damit wichtige Aufgaben erfüllt werden: die bessere zeitliche Verfügbarkeit und Erreichbarkeit für die PatientInnen, ein erweitertes Leistungsangebot, die Sicherstellung einer umfassenden Kontinuität und Koordination durch eine verbindliche integrierte Versorgung, die Wahrung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit sowie die Attraktivierung der beruflichen Rahmenbedingungen der beteiligten Berufsgruppen.

Eine PVE ist laut vorliegendem Antrag eine durch eine verbindliche und strukturierte Zusammenarbeit als Einheit auftretende Erstanlaufstelle im Gesundheitsversorgungssystem. Sie hat als solche Angebote zur Förderung von Gesundheit und Prävention sowie eine umfassende Behandlung von akuten und chronischen Erkrankungen sicherzustellen. Außerdem obliegt ihr die Koordination im Sinne einer gesamtheitlichen und kontinuierlichen Betreuung der PatientInnen. Das bestehende Kernteam (AllgemeinmedizinerInnen und Angehörige des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege) soll orts- und bedarfsabhängig durch KinderfachärztInnen ergänzt werden, VertreterInnen weiterer Gesundheits- und Sozialberufe und Einrichtungen, in denen solche Personen beschäftigt werden, können verbindlich und strukturiert eingebunden werden. Gegebenenfalls soll es auch Kooperationen mit öffentlichen Apotheken geben. Bundesländerweise gliedert sich der geplante Zielwert von 75 Primärversorgungseinheiten wie folgt: Burgenland 3, Kärnten 5, Niederösterreich 14, Oberösterreich 13, Salzburg 5, Steiermark 11, Tirol 6, Vorarlberg 3, Wien 16.

Einheitlicher Auftritt nach außen – verschiedene Organisationsformen möglich

Eine Primärversorgungseinheit muss eine eigene Rechtspersönlichkeit haben und im jeweiligen Regionalen Strukturplan Gesundheit (RSG) abgebildet sein. Grundlage für die Zusammenarbeit mit den Krankenversicherungsträgern ist ein Primärversorgungsvertrag, wobei jedenfalls die örtlich zuständige Gebietskrankenkasse Vertragspartner sein muss. Eine an einem Standort eingerichtete PVE kann nur in der Organisationsform einer Gruppenpraxis (laut Ärztegesetz) oder als selbständiges Ambulatorium (laut Bundesgesetzes über Krankenanstalten- und Kuranstalten) geführt werden. Wird ein Netzwerk gebildet, z.B. in Form eines Vereins, so kann diese nur aus freiberuflich tätigen ÄrztInnen, Gruppenpraxen sowie anderen Angehörigen von Gesundheits- und Sozialberufen oder deren Trägerorganisationen gebildet werden. Die in den Sozialversicherungsgesetzen verankerte "freie Arztwahl" bleibt in der gegebenen Form bestehen, wird betont, zumal die PatientInnen darüber informiert werden müssen, welcher Arzt bzw. welche Ärztin zu welchen Zeiten anwesend ist.

Auf jeden Fall werden an eine Primärversorgungseinheit folgende zentrale Anforderungen gestellt: wohnortnahe Versorgung, eine gute verkehrsmäßige Erreichbarkeit, bedarfsgerechte Öffnungszeiten mit ärztlicher Anwesenheit jedenfalls von Montag bis Freitag (einschließlich der Tagesrandzeiten), Organisation der Erreichbarkeit für Akutfälle außerhalb der Öffnungszeiten (in Absprache und Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitseinrichtungen und gegebenenfalls unter Einbindung von Bereitschaftsdiensten), die Gewährleistung von Hausbesuchen, die Einbindung von vorhandenen telemedizinischen, telefon- und internetbasierten Diensten (z.B. Gesundheitsnummer 1450), die Sicherstellung der Kontinuität in der Behandlung und Betreuung, ein barrierefreier Zugang und bedarfsgerechte Sprachdienstleistungen, das Vorhandensein der notwendigen (medizinisch-)technischen und apparativen Ausstattung sowie die Teilnahme an nationalen Vorsorge- und Screeningprogrammen.   Einer PVE können mit ihrer Zustimmung von dem für die Vollzugsbehörden zuständigen Rechtsträger auch Aufgaben des öffentlichen Gesundheitsdienstes (z.B. amtliche Totenbeschau oder freiheitsbeschränkende Maßnahmen nach dem Heimaufenthaltsgesetz) übertragen werden.

Österreichweiter Gesamtvertrag zwischen Hauptverband und Ärztekammer

Die rechtliche Grundlage bildet ein neuer, bundesweit einheitlicher und eigenständiger Primärversorgungs-Gesamtvertrag, der zwischen dem Hauptverband und der Österreichischen Ärztekammer bis Ende 2018 abzuschließen ist. Darin enthalten sein muss u.a. das Mindestleistungsspektrum, Regelungen über die Grundsätze der Vergütung und die Ausgestaltung der Honorarvereinbarungen. Dieser Vertrag gilt allerdings nicht für jene Primärversorgungseinheiten, die als selbständige Ambulatorien tätig sind, da diese der Wirtschaftskammer angehören. Formale Voraussetzung ist zudem die Abbildung der PVE im jeweiligen Regionalen Strukturplan Gesundheit (RSG).

Durch das Konstrukt der Primärversorgungseinheit sollen keine neuen Organisations- oder Gesellschaftsformen geschaffen werden, sondern die bereits bestehenden Konstruktionen genützt werden, wird im Antrag betont. Als typische Organisationsformen für die Erbringung ärztlicher Hilfe kommen neben der Einzelordination, die Gruppenpraxis und das selbständige Ambulatorium in Betracht. Nach geltender Rechtslage bestehen für die Rechtsträgerschaft von Ambulatorien keine Beschränkungen, das heißt der Rechtsträger kann beispielsweise eine Einzelperson sein, eine Personengesellschaft oder eine GmbH. Für Gruppenpraxen sieht das Ärztegesetz 1998 eine Typenbeschränkung vor, nämlich die OG und die GmbH.

Bei der Zusammenarbeit mehrerer in Einzelordinationen tätiger Ärzte ist es für Zwecke des Vertragsabschlusses und der Ermöglichung einer Abrechnung mit der Sozialversicherung erforderlich, für den Zusammenschluss eine Rechtsform zu wählen, die selbst Rechtspersönlichkeit hat. Vorstellbar wäre durchaus auch die Gründung eines Vereins zum Zwecke der betrieblichen Organisation und Abwicklung der vertraglichen Beziehungen, heißt es in den Erläuterungen.

Die Möglichkeit sich als Gesellschafter an einer Primärversorgungseinheit in Form eines selbständigen Ambulatoriums zu beteiligen, soll auf gemeinnützige Anbieter gesundheitlicher oder sozialer Dienste, gesetzliche Krankenversicherungsträger und Gebietskörperschaften (Gemeinden, Gemeindeverbände) eingeschränkt werden. Es sei nämlich eine zentrale Aufgabe eines modernen Wohlfahrtsstaates, eine soziale Absicherung für alle gesellschaftlichen Gruppen zu garantieren und Dienstleistungen, die durch marktmäßige Prozesse nicht für alle gleichermaßen zugänglich sind, öffentlich und leistbar bereitzustellen. Dieser Grundsatz der Daseinsvorsorge ist ein zentrales Element des österreichischen Gesundheitssystems.

Beim zweistufigen Auswahlverfahren hat die Gebietskrankenkasse vorrangig ihre derzeitigen VertragspartnerInnen, deren Planstellen für die konkrete Primärversorgungseinheit vorgesehen sind, zur Bewerbung einzuladen. Liegt nach sechs Monaten noch immer keine Bewerbung vor, so kann der Bewerberkreis erweitert werden. Um ein vorhandenes regionales Versorgungsdefizit zu beseitigen, soll den Trägern der Krankenversicherung dann beschleunigt ermöglicht werden, eigene Einrichtungen in Form von selbständigen Ambulatorien zu errichten. Für bereits bestehende Zentren gibt es eine flexible Übergangsbestimmung. Generell müsse jedenfalls sichergestellt werden, im Bereich der AnbieterInnen eine gewisse Vielfalt bestehen bleibt und beherrschende Eigentümerstrukturen vermieden.

Im Gesamtvertrag soll als Übergangsmodell zunächst die Honorierung der ärztlichen Leistungen über ein Pauschalsystem zulässig sein. Generell sollen die neuen Honorierungsmodelle auch in Gebieten mit geringerer Frequenz die wirtschaftliche Sicherheit für eine selbständige Tätigkeit sicherstellen. Die Maßnahmen sollen in Summe dazu führen, dass es auch außerhalb der Ballungszentren für AllgemeinmedizinerInnen attraktiv ist, sich niederzulassen.

Weiters kommt es noch zu Änderungen im Gesundheitstelematikgesetz sowie weiteren Gesundheitsgesetzen, wobei es insbesondere um die Anpassung von Berufsausübungsregelungen geht. Die meisten Bestimmungen treten einen Tag nach Kundmachung des Gesetzes in Kraft. (Schluss) sue