Parlamentskorrespondenz Nr. 810 vom 28.06.2017

Südtirol-Autonomie als Vorzeigemodell für Lösung von Minderheitenkonflikten

Aktuelle Stunde im Nationalrat anlässlich 25 Jahre Streitbeilegung Südtirol

Wien (PK) – Südtirol ist und bleibt Herzensangelegenheit für Österreichs Abgeordnete. Von diesem Grundtenor war heute im Nationalrat eine Aktuelle Stunde anlässlich 25 Jahre Streitbeilegung Südtirol getragen, zu der sich auch zahlreiche Gäste aus Südtirol, allen voran Landeshauptmann a.D. Luis Durnwalder im Parlament einfanden. Die Südtirol-Autonomie sei heute weltweit ein Vorzeigemodell für die friedliche Lösung von Minderheitenkonflikten, bekräftigte Außenminister Sebastian Kurz im Einklang mit dem Obmann des Südtirol-Unterausschusses, ÖVP-Mandatar  Hermann Gahr. Vorbildcharakter hat die Lösung auch für SPÖ, NEOS und Grüne, wobei die beiden Oppositionsparteien aber vor neuen Grenzbalken am Brenner warnten. Zu Wachsamkeit riefen hingegen FPÖ und Team Stronach auf, die von einem zunehmenden Druck auf die Autonomie seitens des italienischen Staates sprachen. Dass Österreich auch in Zukunft seine Schutzmachtfunktion gegenüber Südtirol wahrnehmen wird, stand in der Debatte für alle Fraktionen außer Streit.  

Kurz: Österreich wird immer an der Seite Südtirols stehen

Nach einem langen und zähen Ringen ist die Südtirol-Autonomie heute ein Vorzeigemodell für die Lösung von Minderheitenkonflikten in aller Welt, unterstrich Außenminister Sebastian Kurz, der in diesem Zusammenhang auch dem jüngst verstorbenen Alois Mock für dessen Beitrag am Zustandekommen der Streitbeilegungserklärung im Jahr 1992 dankte. "Südtirol ist uns eine Herzensangelegenheit", stellte er mit Nachdruck fest und versicherte, Österreich werde immer an der Seite Südtirols stehen. Neben der Streitbeilegung habe aber auch der EU-Beitritt Österreichs zu einer weiteren Entspannung und Verbesserung der Situation geführt, zumal gerade durch die Möglichkeit der offenen Grenze zwischen Österreich und Italien die Europa-Region Tirol-Trentino-Südtirol gestärkt worden sei. Kurz sieht allerdings nach wie vor bestehende Gefahren und sprach in diesem Zusammenhang die Flüchtlingskrise an. Diese habe gezeigt, dass offene Grenzen in Europa wieder sehr schnell Geschichte werden können, wenn es keinen effektiven Schutz der Außengrenzen gibt. Ohne Außengrenze gibt es kein Europa ohne Grenzen nach innen, steht dabei für den Außenminister fest.

ÖVP unterstreicht Vorbildcharakter Südtirols

ÖVP-Abgeordneter Hermann Gahr ließ als Obmann des Südtirol-Unterausschusses die leidvolle und wechselhafte Geschichte Südtirols Revue passieren und rief die Leistungen jener in Erinnerung, die sich für eine politische Lösung eingesetzt hatten – von Ludwig Steiner über Bruno Kreisky bis hin zu Luis Durnwalder und Alois Mock. Die Südtirol—Autonomie sei heute ein Vorbild für das Zusammenleben von Minderheiten in Europa und weltweit, pflichtete er Außenminister Sebastian Kurz bei. Das Jubiläum ist für Gahr aber auch Anlass, den Blick auf die Zukunft zu richten. Die Autonomie müsse dynamisch weiterentwickelt und an die neuen Erfordernisse angepasst werden. Auch gehe es darum, die Europaregion Tirol-Trentino-Südtirol noch stärker auszubauen, wobei sich Gahr vor allem vom Brenner-Basistunnel große Chancen erwartet. Wichtig ist es seiner Meinung nach aber auch, die Grenzen in den Köpfen abzubauen. Zudem bekräftigte er die Forderung nach eine Begnadigung der heute noch im Exil lebenden Freiheitskämpfer. "Wir müssen alles tun, dass in Zukunft keine Grenzbalken mehr die Region Tirol trennen, mahnte ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka und forderte eine Sicherung der EU-Außengrenzen. Mit Nachdruck appellierte er dabei an Brüssel, die Mittelmeerroute zu schließen. Das Beispiel Südtirols könne Mut machen, zeige es doch, dass eine friedliche Konfliktlösung möglich ist, wenn die Menschen bereit sind, die Rechte von Minderheiten anzuerkennen, betonte Lopatkas Fraktionskollegin Elisabeth Pfurtscheller.

SPÖ: Südtirol ist Loblied auf die europäische Integration

Auch Andreas Schieder erinnerte an die bewegte Geschichte Südtirols und die damit verbundenen dunklen Seiten und meinte, heute sei die Region eine Insel des Wohlstands und der Prosperität, aber auch ein Loblied für die europäische Integration. Im vereinten Europa sei der Brenner keine Grenze mehr, sondern nur noch ein Gebirgspass. Die Europäische Union zeigt für Schieder aber auch, dass es möglich ist, eine Heimat Tirol, ein Vaterland Österreich, eine italienische Staatsbürgerschaft und eine europäische Identität gleichzeitig zu haben. Mit der Streitbeilegung haben Österreich, Italien und Südtirol der Welt bewiesen, dass man Konflikte auch friedlich bereinigen kann, sprach Hermann Krist den Vorbildcharakter der Lösung an und erinnerte an Bruno Kreisky, der das Südtirol-Problem 1960 vor die UNO gebracht hatte. Klar ist für Krist, dass das österreichische Parlament auch weiterhin an der Seite Südtirols stehen werde.

FPÖ und Team Stronach sehen Südtirol-Autonomie in Gefahr

Für Heinz-Christian Strache stellt die Streitbeilegung noch kein Ende der Geschichte dar, zumal die Autonomie trotz der positiven Entwicklung Südtirols noch immer nicht international abgesichert sei. Besorgt zeigte sich der FPÖ-Klubobmann in diesem Zusammenhang über italienische Politiker, die die Autonomie in Frage stellen und Südtirol als rein innerstaatliches italienisches Problem sehen. Zudem sei durch die Streitbeilegung die Selbstbestimmung Südtirols nach wie vor nicht verwirklicht. Auch Werner Neubauer sieht die Autonomie heute zunehmend unter Druck durch den italienischen Staat und mahnt Österreich als Schutzmacht zu besonderer Achtsamkeit. Irritiert zeigt er sich vor allem über den Umstand, dass immer wieder gegen Minderheitengesetze Einspruch vor dem italienischen Verfassungsgericht erhoben werde. Gemeinsam mit Strache pocht Neubauer auf die Forderungen nach Begnadigung der Südtiroler Freiheitskämpfer und Ermöglichung einer Doppelstaatsbürgerschaft für alle SüdtirolerInnen. Auch Christoph Hagen (T) rief die Abgeordneten auf, das Ziel der Doppelstaatsbürgerschaft für alle SüdtirolerInnen weiter zu verfolgen, um damit ein Signal an Südtirol und Italien zu setzen, dass Österreich seine Schutzmachtfunktion auch weiter ausüben wird.

Grüne: Südtirol Beispiel für friedliches Zusammenleben verschiedener Sprachgruppen

Wenn Südtirol heute eine der erfolgreichsten Regionen Europas ist, dann sei dies auch eine Folge der friedlichen Einigung im Minderheitenkonflikt, meinte Georg Willi, der die Mehrsprachigkeit und das Aufeinandertreffen der alpenländischen mit der italienischen Kultur als Reichtum bezeichnete. Toleranz und Offenheit seien jedenfalls der Nährboden, auf dem die Region weiter wachsen und ihre Vorbildfunktion ausüben kann, ist der Tiroler Mandatar überzeugt. Dass die Autonomie Südtirols ein Beispiel für das friedvolle Zusammenleben verschiedener Sprachgruppen ist, bestätigte auch Tanja Windbüchler-Souschill. Anlässlich der Diskussionen über neue Grenzbalken in Europa sieht sie Österreich und Südtirol allerdings aufgefordert, gemeinsam darauf zu achten, dass es nicht wieder zu einer neuerlichen Trennung kommt.

NEOS: Südtirol als Leuchtturm für gelungenes Miteinander

"Südtirol ist ein Leuchtturm für gelungenes Miteinander, der weltweit strahlt", unterstrich NEOS-Klubobmann Matthias Strolz. Die Streitbeilegung sei aber auch eine Verpflichtung zu Gemeinsamkeit, meinte er unter Hinweis auf die Herausforderung im Zuge des Flüchtlingsproblems. Karin Doppelbauer (N) wiederum sah ebenso wie der fraktionslose Abgeordnete Rupert Doppler Südtirol als Modell für Europa. Die friedliche Konfliktlösung führte sie auf die Kompromissbereitschaft des Partners Italien sowie auf große Europäer wie Alois Mock und Franz Vranitzky zurück, die nationalistisches Denken in den Hintergrund und vielmehr das Gemeinsame vor das Trennende gestellt hatten. Das Rad der Zeit könne man heute nicht mehr zurückdrehen, fügte sie an und drückte ihre Hoffnung aus, dass sich Südtiroler und Tiroler eines Tages als Bürger Europas sehen. (Fortsetzung Nationalrat) hof