Parlamentskorrespondenz Nr. 866 vom 06.07.2017

Rendi-Wagner: Primärversorgungsgesetz als Rahmen moderner, neuer Versorgungsformen

Aktuelle Stunde im Bundesrat mit Gesundheitsministerin

Wien (PK) – Zu Beginn des heutigen Plenums in der Länderkammer, die zum letzten Mal im Sitzungsaal des Bundesrates stattfand, informierte Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner über das Primärversorgungsgesetz und weitere geplante Maßnahmen. Sie erläuterte auch den Aktionsplan Frauengesundheit und bekräftigte einmal mehr die Relevanz der Gendermedizin. In der Aktuellen Stunde mit dem Thema "Gesundheitsreform 2017: Stärkung der ambulanten medizinischen Versorgung" wies sie zudem auf die Schieflage im Gesundheitsbereich hin, der mit der gezielten Umsetzen der Primärversorgung und der telefonischen Gesundheitsberatung 1450 entgegengewirkt werde, so Rendi-Wagner. Die Opposition kritisierte die Themenwahl der Aktuellen Stunde, im Gesundheitsbereich gebe es viele andere offene Baustellen.

Rendi-Wagner: Wer krank ist, muss sich auf die Politik verlassen können

Krank oder pflegebedürftig zu sein, darf nie eine Schuldfrage beinhalten, das Wort Eigenverantwortung solle daher nur sehr vorsichtig in den Mund genommen werden, gab Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner zu bedenken. Eine Stärkung der ambulanten medizinischen Versorgung sei aufgrund mehrerer Faktoren notwendig: Das Rad der Zeit mache auch vor der demographischen Entwicklung in Österreich keinen Halt, die steigende Altersstruktur zeige, dass die ÖsterreicherInnen zwar älter werden, die gesunde Lebenszeit verlängere sich aber nicht im gleichen Ausmaß. Bis 2025 werden zudem 50% der ÄrztInnen das Pensionsalter erreichen. Diese Faktoren und der Anstieg an chronischen Erkrankungen und Pflegebedürftigkeit erfordern ein langfristiges Konzept wie jenes der Primärversorgung.

Eine "Abschaffung" von HausärztInnen sei keineswegs das Ziel, bekräftigte die Ministerin, vielmehr gehe es um die Attraktivierung des Berufsfeldes durch Adaptierungen der Rahmenbedingungen. Im internationalen Vergleich sei der ÄrztInnen-Schnitt in Österreich sehr hoch, das Thema könne aber nicht nur quantitativ gelöst werden, so Rendi-Wagner. ÄrztInnen wollen vermehrt im Team und multiprofessionell arbeiten, voneinander lernen. PatientInnen brauchen besser erreichbare Ärzte und Ärztinnen, längere Ordinationsöffnungszeiten, und gezielte Behandlungen. Das Primärversorgungsgesetz stellt den rechtlichen Rahmen, um von modernen und neuen Versorgungsformen zu profitieren, unterstrich die Bundesministerin.

Leben Menschen länger und bleiben länger gesund, profitieren nicht nur sie sondern auch die Wirtschaft, das Sozial-, Pensions- und Arbeitssystems in Österreich davon. Nur die Sicherstellung von guter Versorgung reicht laut Rendi-Wagner nicht aus. Menschen müssten auch zum richtigen Zeitpunkt zum richtigen Versorgungsort kommen können – dem best point of service. Sie verwies diesbezüglich auf das Pilotprojekt der telefonischen Gesundheitsberatung in Wien, Niederösterreich und Vorarlberg. Unter der Nummer 1450 werde nun telefonisch erstmals Unterstützung bei der Einschätzung im Akutfall gegeben. Die ersten Evaluierungen zeigen ihr zufolge positive Ergebnisse, werden Menschen nun gezielt dorthin geleitet, wo es für sie und das System am sinnvollsten ist.

Der " Aktionsplan Frauengesundheit ", an dem über zwei Jahre gearbeitet wurde, zeigt Wirkungsfelder im Bereich der Frauengesundheit auf, die es anzugehen gilt, hielt die Bundesministerin fest. Die zwei Lehrstühle für Gendermedizin in Wien und Innsbruck sind Ausflüsse daraus. Rendi-Wagner erläuterte außerdem, dass das neu aufgesetzte, breite Mammographie-Screeningprogramm mehr Qualität und erstmals eine begleitende Evaluierung gebracht hat. Dies war nötig, um auch möglichen Schaden von Patientinnen durch zu intensive Strahlenbelastungen abzuwenden. Sie betonte jedoch, dass im Verdachtsfall eine Mammographie mit Zuweisung jederzeit möglich sei. Zur Verbesserung der Frauengesundheit soll auch die eingeführte HPV-Impfung als wirksame Maßnahme gegen Gebärmutterhalskarzinome und anderer Karzinome beitragen.

SPÖ: Primärversorgung bringt besseres Angebot und Qualität für PatientInnen, Entlastung und neue Rahmenbedingungen für wertvolle ÄrztInnenarbeit

Ziel der Gesundheitsreform sei eine Stärkung der ambulanten medizinischen Versorgung und die Gewährleistung der optimalen Versorgung in Wohnortnähe, unterstrich Daniela Gruber-Pruner (S/W). Benötigte medizinische Hilfe soll bei PatientInnen ankommen. Da HausärztInnen aber nicht rund um die Uhr zur Verfügung stehen, werden Primärversorgungseinheiten benötigt. Eine Vernetzung von ÄrztInnen innerhalb einer Region werde dadurch möglich, im städtischen Bereich bedeute das beispielsweise die Errichtung von Gemeinschaftsordinationen. Beide Fälle seien etwa durch längere und flexiblere Öffnungszeiten auch im Sinne der PatientInnen. Gruber-Pruner informierte zudem, dass die Vernetzungen über lose Kooperationen hinausgehen werde, gibt es doch bundesweit einheitliche Anforderungen für diese Kooperation. Die positiven Folgen dieser Zusammenarbeit schätzen vor allem auch junge ÄrztInnen, der interdisziplinäre Austausch und die Möglichkeit der flexibleren Arbeitsgestaltung sind auch als Qualitätsaspekte zu sehen. Die Wiener Bundesrätin merkte zudem an, dass 75 Primärversorgungseinheiten für Österreich geplant sind.

Betrachtet man die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum, sind vor allem weite Wege, lange Wartezeiten, zu kurze Ordinationszeiten Kritikpunkte von PatientInnen, informierte Adelheid Ebner (S/N). Durch die Teamarbeit von AllgemeinmedizinerInnen mit FachärztInnen und anderen medizinischen Berufen in Primärversorgungseinheiten werde die Sicherung der Gesundheit in Österreich durch die öffentliche Hand sichergestellt, prognostizierte Ebner. Diese moderne und zukunftsorientierte Versorgung von PatientInnen könne nur unterstützt werden.

Sicherstellung der ärztlichen Versorgung am Land für ÖVP primär

Als "großes Ziel in der ambulanten medizinischen Versorgung" bezeichnete Angela Stöckl-Wolkerstorfer (V/N) die benötigte Entlastung der Ambulanzen. Diese werde mit der Einrichtung von Primärversorgungszentren im urbanen wie ländlichen Bereich erreicht. Die erleichterte Zusammenarbeit in Teams soll eine Alternative zur Spitalsambulanz darstellen und sich positiv auf den interdisziplinären Austausch auswirken, zeigte sie sich zuversichtlich. Diese Maßnahmen tragen demnach auch zur Attraktivierung des Ärzteberufs bei, da sie neue Formen der Versorgung zulassen. Der Arztberuf werde immer weiblicher, gab sie zu bedenken, mit den Neuerungen könne auch eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie erreicht werden. Auch Stöckl-Wolkerstorfer machte auf ein weiteres Service im Gesundheitsbereich aufmerksam: Durch die telefonische Gesundheitsberatung 1450 konnte bereits eine signifikante Reduktion der Rettungsfahrten erreicht werden. Sie appellierte zudem an die Eigenverantwortung jeder und jedes einzelnen und forderte eine bedarfsgerechte Anzahl der Ausbildungsplätze, die gesicherte Finanzierung von Lehrpraxen und eine bessere Entlohnung sowie mehr und flexiblere Kassenverträge.

Die Primärversorgung beschäftigt Ferdinand Tiefnig (V/O) schon seit 2008, wie er sagte. Das bekannte System aus Skandinavien werde von der ÖVP begrüßt und stelle eine Entlastung des Krankenhausbereichs dar. Die Vernetzung der MedizinerInnen untereinander hält er für notwendig. Tiefing unterstrich, dass die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum sichergestellt werden muss.

FPÖ, Grüne und Team Stronach: Kritik an Themenwahl, Nachdruck bei Attraktivierung des Medizinerberufs

Die FraktionskollegInnen Gerd Krusche (F/St) und Monika Mühlwerth (F/W) kritisierten vorrangig die Themenwahl der Aktuellen Stunde, dringlichere Themen wären ihnen zufolge die Wartezeiten bei MRT- und CT-Untersuchungen, eine Unterversorgung im Vergleich zu Skandinavien, fehlende Linearbeschleuniger in der Strahlentherapie sowie der Bereich der Gendermedizin. Ärztemangel und überfüllte Ambulanzen seien ebenfalls aktuelle Problemfelder. Monika Mühlwerth (F/W) wies außerdem auf eine mögliche Gefahr des "Aussterbens" der klassischen HausärztInnen hin.

Auch Nicole Schreyer (G/T) übte Kritik an der Themenwahl und rügte den Bund, der ihrer Einschätzung nach seine Gestalterrolle nicht wahrnehme. Bei gleicher Qualität sollte Geld gespart werden, der Benefit einer Reform sollte bei PatientInnen liegen, warf sie ein. Sie wies auf den drohenden Mangel an AllgemeinmedizinierInnen aufgrund einer Pensionierungsswelle hin, dem mit der Attraktivierung der Allgemeinmedizin entgegengewirkt werden könnte. Bei der Ausbildung müsse angesetzt werden, ein Lehrstuhl für Allgemeinmedizin fehle beispielsweise, hielt sie fest. Geht es nach den Grünen, müsste die Finanzierung der verpflichtenden Lehrpraxis längst abgeschlossen sein und die Geldtöpfe im Gesundheitssystem tiefgreifend reformiert werden. Sie unterstrich ebenfalls die Verbesserungen im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch Gemeinschaftspraxen.

Geht es Gerald Zelina vom Team Stronach Niederösterreich, müssen die "gewaltigen Kosten" im stationären Bereich gesenkt werden. Er plädierte für eine Reduktion der Aufnahmen nach ambulanten Behandlungen und Spitalseinweisungen. Dem "Akutbettenmissbrauch durch PflegepatientInnen" müsse durch eine Behandlung in Pflegeeinrichtungen entgegengewirkt werden. Pflegefälle sollten in Pflegeheimen und nicht in Spitälern behandeln werden, so Zelina. Die Ablehnung von "Banalitätsfällen" in Spitälern und eine Einführung von Ambulanzgebühren würde das Kostenbewusstsein von Menschen stärken. Zelina pochte zudem auf die Reduzierung der Macht der Ärztekammer sowie einer Liberalisierung des Marktes. (Fortsetzung Bundesrat) wat


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