Parlamentskorrespondenz Nr. 262 vom 14.03.2018

Armut in Kindheit und Alter: Bundesrat sucht Lösungen

Bundesrats-Enquete zum Thema Älter, Jünger, Ärmer?

Wien (PK) – Armut schmerzt, besonders wenn sie Personen trifft, die sich selbst nicht helfen können. Über 300.000 Kinder und 200.000 PensionistInnen sind in Österreich derzeit armutsgefährdet. Zukunftsstrategien gegen Kinder- und Altersarmut erörterten heute daher die BundesrätInnen im Parlament bei einer Enquete mit ExpertInnen aus Politik und Gesellschaft. Aus den zahlreichen Vorschlägen zur Armutsprävention kristallisierte sich heraus, dass Armut umfassend gesehen werden muss, da es alle Lebensbereiche betrifft.

Todt: Politik darf Armut Schutzbedürftiger nicht hinnehmen

Bundesratspräsident Reinhard Todt betonte in seiner Begrüßung, die Politik habe jetzt zu handeln: "Ganz besonders müssen wir uns um diejenigen in unserer Gesellschaft kümmern, die schutzbedürftig sind." Die Politik müsse Rahmenbedingen zu schaffen, in denen jeder Mensch in Würde altern kann und eine Kindheit mit guter Bildung für alle möglich ist. Zwar sei der Anteil der armutsgefährdeten Älteren in Österreich in den letzten Jahren gesunken, worin Todt den Erfolg des umlagefinanzierten staatlichen Pensionssystems sieht; dennoch bestehe für viele weiterhin die Gefahr, im Alter zu verarmen. Gründe dafür seien Teilzeitarbeit, Arbeitslosigkeit, Kindererziehungszeiten und Krankheit - "Damit wird bereits deutlich, dass Frauen im Alter einem höheren Risiko ausgesetzt sind, in Armut zu geraten".

Der Kampf gegen Kinderarmut müsse das gesamte familiäre Umfeld im Fokus haben, erklärte Todt weiter. "Ein Kind kann nicht beeinflussen ob es in Armut lebt oder nicht", ob das Haushaltseinkommen für angemessene Wohnverhältnisse, gesunde Ernährung und hochwertige Bildung reicht. Vor allem sozial schwache Familien bedürften somit der Förderung durch eine verantwortungsvolle Politik, die Armut mit den richtigen Maßnahmen bekämpft und besiegt. Obwohl Österreich als Sozialstaat im internationalen Vergleich relativ gut liege, sei jeder von Armut -betroffene Mensch einer zu viel.

So sei es auch inakzeptabel, dass eine ungarische Erntehelferin in Österreich einen Stundenlohn von gerade einmal drei Euro erhält, legte Todt angesichts der Einkommensunterschiede zwischen den EU-Mitgliedsstaaten auch ein Bekenntnis gegen Lohn- und Sozialdumping in der Europäischen Union ab. In diesem Zusammenhang sei es wichtig, "den Kampf gegen die Armut international zu führen".

Armutsprävention am Arbeitsmarkt und im Bildungssystem

Konkrete politische Vorschläge zur Armutsbekämpfung in Österreich lieferten Arbeits- und Sozialministerin Beate Hartinger-Klein, Frauen- und Familienministerin Juliane Bogner-Strauß, die Wiener Landtagsabgeordnete Tanja Wehsely sowie die Vorarlberger Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker.

Eine Mindestpension von 1200 € für Personen mit 40 Beitragsjahren nannte Sozialministerin Hartinger-Klein als eine der ersten Maßnahmen der neuen Bundesregierung bei der Bekämpfung von Altersarmut. "Wer ein Leben lang gearbeitet und soziale Beiträge geleistet hat, soll eine Altersversorgung erhalten, die wertgesichert ist." Die Leistungen würden auf Vorschläge der Pensionskommission hin jährlich angepasst, denn das bestehende öffentliche Pensionssystem mit Ausgleichszulage reiche als Sicherheitsnetz bei den steigenden Lebenserhaltungskosten nicht immer aus. Letztendlich spiegle sich im Alter das vorangegangene Erwerbsleben wider, plädierte Hartinger-Klein dafür, die Erwerbsquote älterer ArbeitnehmerInnen weiter zu erhöhen, nicht zuletzt um deren Erfahrungen effektiv einzusetzen. Hauptbetroffen von der Armutsgefährdung seien alleinerziehende Mütter.

Niedrige Einkommen im Elternhaus haben häufig Kinderarmut zur Folge, besonders bei AlleinerzieherInnen, spannte Familienministerin Bogner-Strauß den Bogen weiter. Geld- und Sachleistungen wie die Familienbeihilfe, die Schülerfreifahrt oder der Familienhärteausgleich würden bereits jetzt Familien finanziell sehr helfen. Österreich brauche aber mehr Kinderbetreuungseinrichtungen, die den Erziehungsberechtigten flexible und adäquate Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten bieten, und wo die Kinder entsprechende Bildung erhalten. "Kinder sollen keine von Armut vorgezeichnete Zukunft haben". Aus diesem Grund wolle die Regierung auch mit der Einführung des Familienbonus insgesamt 1,6 Mio. Kinder unterstützen. Wichtig sei bei sämtlichen Leistungen des Staats, diese treffsicher zu gestalten, unterstrich die Ministerin.

"Gerechtigkeit durch Angebote" habe der Staat im Kampf gegen die Armut herzustellen, sagte Landtagsabgeordnete Wehsely, gerade bei der Arbeitsmarktpolitik. Budgetkürzungen seien hier jedenfalls der falsche Weg, richtete sie der Bundesregierung aus. Die Stadt Wien investiere deswegen in die Ausbildung Jugendlicher sowie in Weiter- und Umbildungsmöglichkeiten, etwa mit dem Qualifikationsplan 2030, rief die Abgeordnete dazu auf, arbeitslose Menschen verstärkt zu beraten und zu unterstützen. "Armut ist eine Schande für eine Gesellschaft, nicht für den armen Menschen", also ein gesellschaftliches und kein individuelles Versagen, hob Wehsely hervor. Die Mindestsicherung stelle dabei die letzte Absicherung dar, Kürzungen in diesem Bereich würden den Erhalt einer demokratischen Gesellschaft gefährden.

Armutsprävention müsse bei den strukturellen Gegebenheiten ansetzen, so Soziallandesrätin Wiesflecker, besonders hinsichtlich des Bildungsbereichs. Vorarlberg gehe mit sozial gestaffelten Kindergartenbeiträgen als gutes Beispiel voran, auch Personen mit geringem Einkommen eine qualitätvolle elementarpädagogische Bildung für ihre Kinder zu ermöglichen. In den ersten beiden Volksschulklassen habe Vorarlberg zudem aus Landesmitteln den Standorten mehr Ressourcen zugeteilt, etwa für Sprachkurse, empfahl Wiesflecker der Regierung eine ähnliche Herangehensweise bei den kommenden Budgetverhandlungen. Als weiteren wichtigen Punkt der Armutsprävention im Bildungssystem sieht sie den Ausbau von ganztägigen Schulformen.

Fenninger: Verteilung von oben nach unten und eigene Grundsicherung für Kinder

Armut ist weit mehr als Mangel an Geld, gab der Geschäftsführer der Volkshilfe Österreich Erich Fenninger zu bedenken, denn sie manifestiere sich in allen Lebenslagen. Eine gemeinsame Definition von Armut sei die Voraussetzung dafür, um wirksame Gegenmaßnahmen zu entwickeln. So müsse etwa klar festgelegt werden, dass Armut keine Eigenschaft ist, mit der eine bestimmte Personengruppe "markiert" wird. Armut sei vielmehr Ausdruck sozialer Ungerechtigkeit und einer ungleichen Gesellschaft. Armutsbetroffene Menschen erleben zugleich sehr oft, dass die Politik letztlich nicht wirkt. Schon jetzt sehe man, dass in ärmeren Wohnvierteln viele nicht mehr wählen gehen. Wenn Menschen aber aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, dann werden sie anfällig für Faschismen. Das lehrt die Geschichte, so Fenninger.

Ein besonderes Anliegen war ihm der Kampf gegen die Kinderarmut. Diese zeige nämlich deutlich, dass es eben nicht um persönliche Schuldhaftigkeit geht, sondern um Strukturen. Zahlreiche Studien belegen, dass Kinder, die in Armut aufwachsen, die Betroffenen von morgen sind. Auch das Schulsystem ändere wenig daran, zeigte Fenninger auf, nur drei von zehn armutsbetroffenen Kindern schaffen es überhaupt ans Gymnasium. Eine seiner zentralen Forderungen war daher der Erhalt eines sozialen Wohlfahrtsstaats, "wo das Mindeste das Mindeste bleibt". Die Mindestsicherung dürfe nicht gekürzt, sondern müsse erhöht werden. Und statt eines Familienbonus brauche es eine eigene Kindergrundsicherung. "Verteilen wir von oben nach unten", denn Österreich ist ein wirklich reiches Land, appellierte Fenninger.

Kern-Stoiber: Gemeinsam dafür eintreten, dass die benachteiligten jungen Menschen von heute nicht die Armen von morgen werden

Kinder und Jugendliche haben ein Recht darauf, ein Leben zu führen, in dem sie sich frei entwickeln, mitgestalten und Teilhabe erfahren dürfen, war Daniela Kern-Stoiber vom bundesweiten Netzwerk Offene Jugendarbeit (boJA) überzeugt. Vielen sei dies jedoch nicht gegönnt. Während armutsbetroffenen Kindern noch Mitleid entgegengebracht wird, werden junge Menschen oftmals schon als Erwachsene gesehen, die selbst schuld an ihrer Situation sind. Die Reaktion auf Ausgrenzung sei oft Rebellion und Aggression. Dadurch geraten die Jugendlichen aber in einen noch negativeren Fokus, zeigte Kern-Stoiber auf.

Da der soziale Hintergrund der Eltern die Bildungslaufbahn prägt und bestimmt, müsse der Zugang zu den Bildungsangeboten niederschwellig gestaltet sein, forderte sie. Es zeige sich zudem immer mehr, dass wichtige Schlüsselqualifikationen in Bezug auf die Persönlichkeitsentwicklung außerhalb der klassischen Bildungsinstitutionen erworben werden. Eine passende Antwort darauf gibt ihrer Auffassung nach das Konzept der Bildungslandschaften, also lokale Zusammenschlüsse von Schulen, Freizeiteinrichtungen, Jugendarbeit etc. Notwendig sei auch die Entwicklung von Formaten, in denen Jugendliche lernen, sich zu beteiligen und ihre Stimme zu erheben. Junge Menschen brauchen zudem – örtliche und psychische - Räume, in denen sie sich ausprobieren dürfen und akzeptiert werden so wie sie sind. Dazu gehört die digitale Welt, die ganz viele Ressourcen für junge Menschen birgt, urteilte Kern-Stoiber. Handlungsbedarf gebe es auch im Gesundheitsbereich, da bildungsfernere und benachteiligte Menschen mangelnde Gesundheitskompetenzen aufweisen. Im Mittelpunkt der gemeinsamen Anstrengungen müssen daher genau jene Jugendlichen stehen, die mit unzureichenden Kenntnissen die Schulen verlassen, die wenig Aussicht auf einen Job haben und von zu Hause nicht ausreichend unterstützt werden.

Marschitz: Gesamtheitliche und rasche Antworten in Sache Pflege notwendig

Walter Marschitz (Sozialwirtschaft Österreich) konzentrierte sich in seinem Referat auf das Thema Armut und Pflege. Grundsätzlich existiere in Österreich ein relativ gut funktionierendes Pflegesystem, das die bestehenden sozialen Probleme deutlich entschärfe. Was die konkreten Zahlen angeht, so gebe es derzeit 460.000 pflegebedürftige Personen und 580.000 pflegende Angehörige. Angesichts einer Durchschnittspension von 1.143 € und Kosten für einen Heimplatz von etwa 3.500 € (Pflegegeldstufe 4) sei natürlich eine erhebliche Finanzierungslücke feststellbar. Außerdem habe die Abschaffung des Pflegeregresses dazu geführt, dass die Zahl der SelbstzahlerInnen deutlich zurückgegangen ist. Marschitz plädierte daher dafür, dass der engere pflegebedingte Mehraufwand als Solidarrisiko abgesichert wird. Äußerst wünschenswert wäre eine gesamtheitliche Lösung für das Pflegeproblem, die alle Aspekte – von der Versorgungssicherheit, der Qualität, der Finanzierung, dem Personal etc. – umfasst. Aufgrund des demographischen Wandels sollte rasch gehandelt werden, unterstrich Marschitz. 

Schimanek tritt für höhere Mindestlöhne und eine Anpassung des Pflegegelds ein

Armut in Österreich ist vorwiegend weiblich, erklärte Nationalratsabgeordnete Carmen Schimanek (FPÖ), wobei vor allem AlleinerzieherInnen (38%) und PensionistInnen (22%) besonders betroffen sind. Viele der Frauen können oder konnten nur Teilzeit arbeiten, da sie Kinder groß gezogen oder Angehörige gepflegt haben. Weitere Gründe für Altersarmut sind Jobs in schlechter bezahlten Branchen oder frühzeitige Erkrankungen, die zu geringeren Pensionen führen. Die von der Regierung geplanten Maßnahmen, die Mindestlöhne und das Pflegegeld zu erhöhen, seien daher absolut notwendig und wichtig. Auch Scheidungen wirken sich oft sehr negativ auf die Lebenssituationen von Frauen und Kindern aus, hob Schimanek hervor. Da den Frauen dies natürlich bewusst sei, haben viele oft gar nicht den Mut, sich zu trennen, auch wenn sie einen gewalttätigen Partner haben. Wenn man sich die Armutsstatistik anschaut, kommt man zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass die traditionelle Familie die beste Absicherung gegen Armut ist. Bewusstseinsbildende Maßnahmen in diese Richtung wären sehr hilfreich. Bessere informieren sollte man auch darüber, dass es in Österreich das freiwillige Pensionssplitting gibt. Weiters wünschte sie sich eine rasche Reform des Unterhaltsvorschussgesetzes sowie die Beseitigung von Diskriminierungen in den Kollektivverträgen. (Fortsetzung Enquete) rei/sue