Parlamentskorrespondenz Nr. 1000 vom 26.09.2018

SPÖ wirft Regierung Abkehr von der Sozialpartnerschaft vor

Aktuelle Stunde im Nationalrat zum Thema soziale Sicherheit

Wien (PK) – Mit einem Rundumschlag der Opposition gegen die Vorhaben der Regierung in Sachen Sozialpolitik wurde heute die erste reguläre Nationalratssitzung der neuen Tagung eröffnet. Unter dem Titel "Faire Arbeitswelt und soziale Sicherheit für alle" übte die SPÖ in einer Aktuellen Stunde heftige Kritik an den geplanten Einsparungen bei den Sozialversicherungen und warf der Regierung vor, sich vom Modell der Sozialpartnerschaft abzuwenden und die soziale Sicherheit der Menschen scheibchenweise auszuhöhlen. Ähnlich argumentierte die Liste Pilz, die die gesellschaftliche Teilhabe aller in Gefahr sieht. ÖVP und FPÖ erwiderten im Einklang mit Sozialministerin Beate Hartinger-Klein, die Maßnahmen der Koalition seien Ausdruck einer neuen sozialen Gerechtigkeit, bei der der Mensch als Individuum im Mittelpunkt stehe. Die NEOS schließlich wandten ein, die Sozialpartnerschaft sei im 20. Jahrhundert steckengeblieben und finde keine Antworten auf die Herausforderungen der heutigen Arbeitswelt.

In der Debatte verabschiedete sich Wolfgang Katzian (SPÖ) vom Nationalrat. Er legt sein Mandat zurück, um sich ganz seiner Aufgabe als ÖGB-Präsident widmen zu können.

SPÖ vermisst sozialen Ausgleich

Die Sozialpartnerschaft werde von der Regierung beiseitegeschoben, der wichtige soziale Ausgleich finde nicht mehr statt. Kritische Worte fand Wolfgang Katzian in seiner letzten Rede vor dem Hohen Haus für die Politik der beiden Regierungsparteien, wobei er vor allem Verschlechterungen in der Arbeitswelt beklagte. Gerade in Zeiten der Hochkonjunktur würden sich die Menschen Fairness erwarten. Die Regierung beschließe hingegen den 12-Stunden-Tag und die 60-Stunden-Woche, die den ArbeitnehmerInnen mehr Arbeit, weniger Freizeit und weniger Mitbestimmung, aber keinen einzigen Vorteil bringen. Auch die geplanten Einsparungen bei den Sozialversicherungen gehen nach Einschätzung Katzians ausschließlich zulasten der Versicherten. Von der so dringend benötigten Leistungsharmonisierung in allen Bereichen sei ebenso wenig die Rede wie vom Ausbau der Prävention und Pflege. Insgesamt stellte Katzian fest, Anstand und Fairness würden auf dem Altar des politischen Marketings geopfert, Hetze gegen Minderheiten sei wieder salonfähig geworden. Dabei seien nicht die großen Unternehmen, sondern gerade die ArbeitnehmerInnen in der Geschichte Österreichs immer das Rückgrat der Demokratie gewesen.

Katzian kündigte an, sich in Zukunft ganz auf die Herausforderungen in der Gewerkschaftsbewegung zu konzentrieren, und fügte an, wenn der Verteilungskampf härter werde, dann werde es andere Formen des Austragens von Interessensgegensätzen brauchen.

Die Regierung habe dem historischen Erfolgsmodell der Sozialpartnerschaft den Kampf angesagt, stellte auch Pamela Rendi-Wagner fest. Mit der Abschaffung der Aktion 20.000 und des Beschäftigungsbonus, der Einführung des 12-Stunden-Tages, mit den Kürzungen im Gesundheitssystem und den Geschenken an die Großindustrie habe die Koalition bewiesen, dass sie nicht auf der Seite der ArbeitnehmerInnen steht. Die soziale Sicherheit werde von Türkis-Blau scheibchenweise ausgehöhlt, pflichtete ihr Andreas Schieder bei und betonte, gerade vor diesem Hintergrund sei ein starker ÖGB wichtiger denn je.

Hartinger-Klein: Gespart wird im System und nicht bei den Menschen

Soziale Sicherheit bedeute eine effiziente, bürgernahe und moderne Sozialversicherung, schickte Sozialministerin Beate Hartinger-Klein voraus. Diese gebe es derzeit in Österreich nicht, vielmehr haben wir zu viele Sozialversicherungen, schlechte Entscheidungsstrukturen und zu viele Gremien, gab sie zu bedenken. Der Kritik der SPÖ hielt sie entgegen, im Mittelpunkt der geplanten Strukturreform stehen die Versicherten. Es werde weiter Pflichtversicherung und Selbstverwaltung sowie gleiche Beiträge und gleiche Leistungen geben, gespart werde im System. Die Strukturreform bei den Sozialversicherungen sei dabei nur der Anfang einer großen Gesundheitsreform mit dem Ziel mehr KassenärztInnen, mehr HausärztInnen, kürzere Wartezeiten und Leistungsabstimmung mit dem stationären Bereich.

Was die Fairness betrifft, erinnerte die Ministerin an die Anrechnung von Karenzzeiten, von der sie sich eine Verbesserung der Bedingungen für die Familiengründung der erwerbstätigen Mittelschicht erwartet. Große Bedeutung misst sie auch dem jüngsten Jobgipfel zu, wobei sie betonte, dies sei erst der Beginn eines Dialogs mit den Sozialpartnern gewesen. Bei den geplanten Maßnahmen gehe es in erster Linie darum, das Arbeitskräftepotential im Inland zu aktivieren, dies etwa durch die Regionalisierung der Mangelberufsliste und die Forcierung von Ausbildung und Lehre. Den Fokus will Hartinger-Klein überdies auch auf die Integration von Langzeitarbeitslosen und älteren Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt legen.

ÖVP: Reformen als Ausdruck einer neuen sozialen Gerechtigkeit

Unsere Sozialpolitik ist Ausdruck einer neuen sozialen Gerechtigkeit, bei der die Menschen im Mittelpunkt stehen, unterstrich August Wöginger. Der SPÖ warf er hingegen vor, die ArbeitnehmerInnen durch falsche Behauptungen zu verunsichern und auf die Straße zu bringen. In Wirklichkeit würden die Menschen aber die Auswirkungen des neuen Arbeitszeitgesetzes überhaupt nicht spüren, auch von Leistungseinschränkungen in den Spitälern könne keine Rede sein. Der Regierung gehe es vielmehr um die Entlastung der ArbeitnehmerInnen. An die Sozialpartner appellierte Wöginger, nicht auf die Straße zu gehen, sondern am Verhandlungstisch an Lösungen für die Herausforderungen der Arbeitswelt zu arbeiten. Auch Gabriela Schwarz wies den Vorwurf der Verschlechterungen im Gesundheitssystem scharf zurück und stellte klar, gespart werde im System zugunsten der PatientInnen. Sie bekannte sich zur Leistungsharmonisierung nach dem Motto "gleiche Beiträge, gleiche Leistung" und erwartete sich von den Reformen überdies mehr Geld für die Förderung der HausärztInnen und des Pflegebereichs.

FPÖ: Im Mittelpunkt steht der Mensch

Die Regierung führe ein schlankes System in der Sozialversicherung ein und spiele das dadurch eingesparte Geld an die Versicherten zurück, betonte auch Wolfgang Klinger. Bei sämtlichen Maßnahmen stehe der Mensch als Individuum im Mittelpunkt. Betriebsräte und Gewerkschaften seien wichtig, können aber nicht das Maß aller Dinge sein. Es komme zu keinerlei Sozialabbau, bekräftigte auch Dagmar Belakowitsch. Am 8-Stunden-Tag als Norm habe sich nichts geändert, beim AMS stehe mehr Geld für die einzelnen ArbeitnehmerInnen zur Verfügung, eingespart werde ausschließlich bei den Funktionären. Der SPÖ warf sie vor, im 20. Jahrhundert festzukleben und mit den Rezepten der 60er- und 70er-Jahre die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bewältigen zu wollen.

NEOS: Sozialpartnerschaft ist im 20. Jahrhundert stehengeblieben

Die Sozialpartnerschaft habe sich in den letzten Jahrzehnten "ungut entwickelt", lautete der Befund von Gerald Loacker. Das System sei verstaubt und führe zu Polarisierung. Klassenkampfrhetorik könne aber nicht den realen Arbeitsbedingungen gerecht werden. Die Reform der Sozialversicherungen bezeichnete Loacker allerdings als "reine Show", die bloß mehr Bürokratie bringe und das System teurer mache. Dass die Sozialpartnerschaft bei den Arbeitswelten und bei der Gewerbeordnung im 20. Jahrhundert steckengeblieben ist, steht auch für Josef Schellhorn fest. Die größte Herausforderung sei heute der Fachkräftemangel, auf den es zu reagieren gilt. Irritiert zeigte er sich auch über den Apell der Regierung an die Sozialpartner, die Löhne deutlich zu erhöhen. Wenn die Regierung will, dass die ArbeitnehmerInnen mehr Lohn bekommen, dann solle sie doch heute noch die kalte Progression abschaffen, fügte er an.

Liste Pilz warnt vor Zweidrittelgesellschaft

Bruno Rossmann beklagte die Einkommenssituation in Österreich und gab zu bedenken, fast die Hälfte der ArbeitnehmerInnen finde mit ihrem Lohn nicht das Auslangen. Doch gerade vor diesem Hintergrund verteile die Regierung vom untersten Einkommensdrittel zum mittleren und obersten Drittel, dies etwa durch den Familienbonus oder die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge. Die geplante Streichung der Notstandshilfe und die Kürzung der Mindestsicherung werden nun noch mehr Menschen in die Armut treiben, warnte er. Österreich sei auf dem Weg in eine Zweidrittelgesellschaft, die gesellschaftliche Teilhabe werde durch die Politik dieser Bundesregierung für viele Menschen immer schwieriger. Auch Daniela Holzinger-Vogtenhuber  pochte auf Fairness für alle ArbeitnehmerInnen und warf der Regierung vor, einzelne Gruppen gegeneinander auszuspielen. Eine Lanze für eine kooperierende Partnerschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern brach schließlich auch der fraktionslose Abgeordnete Efgani Dönmez. (Fortsetzung Nationalrat) hof