Parlamentskorrespondenz Nr. 1093 vom 12.10.2018

Westbalkan: Erweiterungsperspektive bleibt im Fokus der EU

Zweiter Tag der internationalen Parlamentarierkonferenz über Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik

Wien (PK) – Den Schlusspunkt der Beratungen der internationalen Parlamentarierkonferenz zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU im Wiener Erste Campus bildete heute das Thema Westbalkan. Unbestritten war dabei für alle TeilnehmerInnen an der Debatte die zentrale Bedeutung der Integration der Kandidatenländer Südosteuropas in die EU für die Stabilität der Region und Europas.

Außenministerin Karin Kneissl sprach ebenso wie Thomas Mayr-Harting, der Exekutivdirektor für Europa und Zentralasien des Europäischen Auswärtigen Dienstes, von einer neuen Dynamik im Beitrittsprozess, die es nun zu nützen gelte. Es gebe einen neuen Fokus für die strategische Bedeutung der Erweiterungsperspektive, unterstrich auch David McAllister, der als Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments die Konferenz leitete. Theresia Töglhofer, Associate Fellow am Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik, ortete angesichts der wachsenden Unzufriedenheit und Hoffnungslosigkeit der Menschen in der Region eine neue Dringlichkeit im Beitrittsprozess.

Kneissl: Die Zukunft Südosteuropas muss in der EU liegen

Der Westbalkan sei Teil Europas und sollte daher als Südosteuropa bezeichnet werden, schickte Karin Kneissl voraus. Fest steht für die Außenministerin, dass die Europäische Union ohne die Integration der Region nicht vervollständigt werden könne. Auch die Geschichte zeige, dass die Zukunft Südosteuropas in der EU liegen muss. Die Herausforderungen im Beitrittsprozess sind, wie Kneissl zu bedenken gab, jedenfalls groß. So führe die Abwanderung junger Menschen dazu,   dass heute die Friedhöfe voll, die Dörfer aber leer sind. Auch habe die ethnische Zugehörigkeit immer noch Vorrang vor der Leistung. Für die Außenministerin geht es daher vor allem um die Herstellung einer Meritokratie, die Etablierung des Grundsatzes der Staatsbürgerschaft sowie um den Kampf gegen Korruption.

Die derzeitige Dynamik müsse genützt werden, zumal die EU-Erweiterung in Südosteuropa dringend einen Durchbruch brauche, betonte Kneissl mit Nachdruck. Der Schlüssel dazu liegt ihrer Meinung nach in der Politik. Die Entscheidungen müssen im Zusammenspiel zwischen den Menschen und ihren politischen Führungskräften getroffen werden. Die Außenministerin sah in diesem Sinn die Staaten in Südosteuropa aber auch aufgefordert, die ausgestreckte Hand Europas anzunehmen, sich regional auszusöhnen und die Hürden der Vergangenheit zu überwinden.

Mayr-Harting sieht neue Dynamik im Beitrittsprozess

Die Europäische Union habe ein Interesse, die Zone der Stabilität und des Friedens auf den Westbalkan auszudehnen, unterstrich Thomas Mayr-Harting, der ebenfalls eine erneute Dynamik im Erweiterungsprozess ortete. So sei das Abkommen zwischen Skopje und Athen ein Schlüsselmoment für Mazedonien und sollte nun unterzeichnet werden, damit das Land nicht wieder eine einmalige Chance auf lange Zeit verpasst. Beim Dialog zwischen Belgrad und Pristina geht es seiner Einschätzung nach um die Lösung aller offenen Fragen, wobei ein zukünftiges Abkommen jedenfalls zur vollen Anerkennung des Kosovo durch Serbien führen müsse. Montenegro wiederum sieht Mayr-Harting trotz unbestreitbarer Fortschritte aufgerufen, noch mehr in Richtung Reformen zu unternehmen. Was Bosnien-Herzegowina anbelangt, meinte er, das Land habe in der Vergangenheit schon für einige positive Überraschungen gesorgt, nun sei auf eine rasche Regierungsbildung nach den Wahlen zu hoffen. Hier stehe jedenfalls noch viel Arbeit an. Diese Einschätzung trifft nach Mayr-Hartings Analyse auch auf den Kosovo zu, wo es zunächst vor allem darauf ankommen werde, dass alle politischen Kräfte am Dialog mit Belgrad teilnehmen.

Vor diesem Hintergrund sei der Beitritt der Westbalkan-Staaten mit 2025 ein sehr ehrgeiziges Ziel. Damit dies gelinge, brauche es Anstrengungen der Länder in der Region. Der Kampf gegen die Korruption und der Ausbau der Rechtsstaatlichkeit haben dabei für Mayr-Harting höchste Priorität.

Töglhofer: Beitrittsperspektive angesichts der Hoffnungslosigkeit vor Ort dringlicher denn je

"Der Westbalkan liegt im Zentrum dessen, was Europa ausmacht". Nach Meinung Theresia Töglhofers ist die Beitrittsperspektive für die Region heute noch genauso relevant und aktuell wie vor zwei Jahrzehnten, gehe es doch darum, politische Stabilität und wirtschaftliche Transformation zu unterstützen. Trotzdem scheine die Erweiterung derzeit weniger greifbar als noch vor wenigen Jahren. So schaue die EU nunmehr genauer hin, wenn es um Reformen geht, die Anforderungen haben sich erhöht. Andererseits habe auch die Erweiterungsskepsis der Menschen zugenommen, was nun zu einer Verlangsamung des Prozesses führe. Die BürgerInnen könnten in vielen zentralen Bereichen keine positiven Veränderungen feststellen, 18 Jahre Beitrittsperspektive haben nicht zu mehr Wohlstand geführt, umschrieb Töglhofer die Brisanz der Situation. Viele Menschen hätten schon die Hoffnung verloren, dass sich in ihren Staaten noch etwas zum Besseren wenden würde. Perspektivenlosigkeit und massive Auswanderung seien die Folge.

Vor diesem Hintergrund sprach Töglhofer von einer neuen Dringlichkeit des Beitrittsprozesses. Europa sei nun aufgefordert, Fortschritte im Beitrittsprozess an die Erfüllung der Beitrittskriterien zu knüpfen. Es gehe nicht an, Stabilität und geopolitische Überlegungen über politische Reformen zu stellen. Kandidaten, die Reformen liefern, dürften andererseits aber nicht die nächsten Schritte im Beitrittsprozess verwehrt werden. Die Union sieht Töglhofer aber auch zunehmend in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Integration vor Ort "mit Leben" erfüllt wird.

Die anschließende Diskussion war von dem Grundtenor getragen, dass der Westbalkan zu Europa gehört und der derzeitige günstige Moment nun genutzt werden sollte. "Es gibt kein stabiles Europa ohne Stabilität auf dem Westbalkan", brachte dies etwa ein Teilnehmer aus dem Kandidatenland Montenegro auf den Punkt. (Schluss Interparlamentarische Konferenz) hof

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