Parlamentskorrespondenz Nr. 1202 vom 31.10.2018

Neu im Gleichbehandlungsausschuss

Erster Gender-Gesundheitsbericht zum Thema Depression und Suizid liegt vor

Wien (PK) – 26% aller Frauen erkranken im Laufe ihres Lebens an einer Depression, bei den Männern sind es nur 12%. Ein umgekehrtes Bild zeigt sich beim Suizid: Männer sterben etwa dreieinhalb Mal häufiger durch Selbstmord als Frauen. Diese Ergebnisse und noch viele andere sind dem ersten österreichischen Gender-Gesundheitsbericht zu entnehmen, der von Ministerin Beate Hartinger-Klein dem Parlament zugeleitet wurde und insgesamt 79 Seiten umfasst (III-206 d.B.).

In den letzten Jahrzehnten haben Forschungsergebnisse zur Erkenntnis geführt, dass sich Frauen und Männer in Gesundheitsbelangen mitunter stark unterscheiden. Die strukturierte Aufbereitung und detaillierte Veröffentlichung geschlechterspezifischer Daten – im vorliegenden Bericht zum Thema "Psychische Gesundheit am Beispiel Depression und Suizid" - sei ihr daher ein großes Anliegen, heißt es im Vorwort der Ressortchefin. Daraus könnten nämlich wichtige Erkenntnisse im Hinblick auf Verbesserung der gesundheitlichen Situation von Männern und Frauen sowie der gesundheitlichen Chancengerechtigkeit gewonnen werden.

Die wichtigsten Unterschiede in relevanten Gesundheitsdeterminanten

Im ersten Teil des Berichts werden die generellen Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Hinblick auf den Gesundheitszustand, die Risiken, das Gesundheitsverhalten sowie die Lebenssituation aufgezeigt. Besonders auffallend äußern sich diese Differenzen bei folgenden Indikatoren: diagnostizierte Depressionen (Männer: 3,9%, Frauen: 7,5%), Suizide (M: 25,5, F: 7,1 pro 100.000 Einwohner), Herzinfarkt (M: 336, F: 148 pro 100.000 EinwohnerInnen), Übergewicht oder Adipositas (M: 55%, F: 39%), fast täglicher Alkoholkonsum (M: 10%, F: 3%), Bewegung (M: 29%, F: 21%) und täglicher Obst- und Gemüsekonsum (M: 26%, F: 44%).

Auch im Fall von Einflüssen, die durch bestimmte Verhältnisse oder Lebenssituationen entstehen, unterscheiden sich Frauen und Männer gravierend, wie z.B. bei der Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung (M: 16%, F: 20%), der Erwerbsquote (M: 80%, F: 71%), der Teilzeitquote (M: 11%, F: 47%), atypischer Beschäftigung (M: 24%, F: 76%) und Arbeitslosigkeit (M: 9%, F: 7,6%). Zudem nützen Frauen und Männer das Gesundheitssystem unterschiedlich, was sich u.a. in der Inanspruchnahme von HausärztInnen (M: 74%, F: 79%) und niedergelassenen FachärztInnen (M: 63%, F: 85%) deutlich zeigt.

Mit durchschnittlich 83,7 Lebensjahren weisen Österreichs Frauen eine um rund fünf Jahre längere Lebenserwartung als die Männer auf. Sie verbringen jedoch deutlich mehr Lebenszeit in mittelmäßiger bis schlechter Gesundheit, zeigen die AutorInnen auf.

Allgemeine und genderspezifische Einflussfaktoren der psychischen Gesundheit am Beispiel Depression und Suizid

Im Hinblick auf den Schwerpunkt Depression und Suizid zeigte sich, welche Bandbreite an Einflüssen dazu führt, dass bei Frauen häufiger Depressionen diagnostiziert werden und Männer häufiger Suizid begehen. Man geht derzeit von rund 550.000 Personen in Österreich aus, die eine ärztlich diagnostizierte Depression haben oder von sich aus angeben, depressiv zu sein. Im Jahr 2015 starben 1.249 Menschen durch Suizid, davon waren 960 Männer und 289 Frauen.

In beiden Fällen seien die Gründe in einem komplexen Wechselspiel aus biologischen, psychologischen, soziokulturellen und umweltbedingten Einflüssen zu suchen; eindimensionale Erklärungsmodelle gelten mittlerweile als überholt. So können etwa sozioökonomische Bedingungen wie niedriges Einkommen, geringe formale Bildung, Armut und Armutsgefährdung sowie generell geringer Sozialstatus zu einem erhöhten Depressions- und Suizidrisiko führen. Aus der Genderperspektive sind Frauen aufgrund der stärkeren Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung einem höheren Erkrankungsrisiko ausgesetzt als Männer. Die Ergebnisse zeigen jedoch ebenso, dass höheres Einkommen, höhere formale Bildung sowie höherer Sozialstatus generell protektiv gegen Depressionserkrankungen wirken. Dieser Schutzfaktor ist für Frauen und Männer gleichermaßen gültig.

Die Einflüsse der Bereiche Arbeit und Beschäftigung, soziale Beziehungen sowie Lebenskompetenzen

Während Faktoren wie Arbeitslosigkeit, drohender Jobverlust, Stress am Arbeitsplatz, (Mehrfach-)Belastungen durch Beruf und Familie sowie durch prekäre Beschäftigungen zu einem erhöhten Depressions- und Suizidrisiko beitragen, werden hingegen Erwerbsarbeit (für Männer stärker als für Frauen) und Arbeitsplatzsicherheit (für Frauen und Männer etwa gleichermaßen) als schützende Einflüsse angesehen. Aufgrund der nach wie vor bestehenden Arbeitsteilung und den daraus folgenden vielfachen Konsequenzen seien Frauen im Handlungsfeld Arbeit- und Beschäftigungsverhältnisse aus einer sozioökonomischen Perspektive die vulnerablere Gruppe. Männer leiden vor allem unter dem gesellschaftlichen stereotypen Druck, über den nach wie vor die Forderung vermittelt wird, einem traditionellen Rollenbild zu entsprechen. Allerdings verdichten sich die Hinweise, dass Unsicherheiten und neu entstehender Erwartungsdruck hinsichtlich der Weiterentwicklung der Rollenbilder zu Stressoren für beide Geschlechter werden können.

Im Bereich der sozialen Beziehungen werden vor allem Gewalterfahrungen sowie Trennung und Scheidung (bei Männern häufiger als bei Frauen) als Risikofaktoren gewertet. Weitere Gefahrenquellen seien mangelnde soziale Unterstützung (Frauen häufiger als Männer), belastende Partnerschaften (Frauen häufiger als Männer) sowie (Mehrfach-)Belastungen für Alleinerziehende (Frauen häufiger als Männer). Negative Auswirkungen ergeben sich zudem durch die mangelnde Bereitschaft, Hilfe zu suchen (Männer häufiger als Frauen), Sucht- und Risikoverhalten (Männer häufiger als Frauen) sowie durch selbstwertmindernde, internalisierte Coping-Strategien (Frauen häufiger als Männer).

Der Einfluss von stereotypen Rollenzuschreibungen auf die Diagnostik von Depressionen

Prävalenzunterschiede bei diagnostizierten Depressionen zwischen Männern und Frauen können jedoch nicht nur auf mangelnde bzw. ausreichende Hilfesuche der Betroffenen zurückgeführt werden, geben die AutorInnen zu bedenken. Ein möglicher zweifacher Gender-Bias in der Diagnostik müsse dabei als mitverursachende Rolle in Betracht gezogen werden: Sowohl historisch gewachsene Anamnese- und Diagnoseinstrumente als auch unreflektierte Rollenzuschreibungen seitens der ÄrztInnen können zu Überdiagnosen von Depressionen bei Frauen und Unterdiagnosen bei Männern führen. Im "medizinischen Alltag" werden psychosoziale Aspekte der Gesundheit von Frauen und Männern im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Identitäts- und Rollenvorstellungen nicht immer ausreichend berücksichtigt.

Bericht soll Anstoß für weitere Gender-Gesundheitsanalysen geben

Die Analyse der Ergebnisse zeige deutlich, dass Gendergesundheit breiter als Gendermedizin zu fassen sei und vielfältigste genderbezogene Einflüsse auf das Depressions- und Suizidrisiko wirken. Hinsichtlich der Mehrzahl der Einflussfaktoren wären noch weiterführende Untersuchungen notwendig. Mit dem vorliegenden Bericht soll aber auch der Aufbau einer österreichischen Gendergesundheitsberichts-Reihe zu weiteren zentralen Schwerpunktthemen angeregt werden wie z. B. Bewegung, Ernährung, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes etc. So könnten zukünftig gendersensible Präventions- und Versorgungsmaßnahmen für die österreichische Bevölkerung zielgenauer geplant werden, heißt es in den Schlussbemerkungen. (Schluss) sue