Parlamentskorrespondenz Nr. 1374 vom 27.11.2018

Zahnmedizinische Versorgung: Rahmenbedingungen aus Sicht des Rechnungshofs suboptimal

Rechnungshofausschuss debattiert RH-Bericht für die Jahre 2014 bis 2016

Wien (PK) – Die Versorgung im Bereich der Zahnmedizin war Thema einer Gebarungsüberprüfung durch den Rechnungshof (RH). Prüfungshandlungen erfolgten bei der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse (NÖGKK), beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (Hauptverband) und beim Bundesministerium für Gesundheit und Frauen. Auskünfte wurden auch bei der Gesundheit Österreich GmbH sowie bei der Österreichischen Zahnärztekammer eingeholt.

Im Jahr 2014 betrugen demnach die Gesamtausgaben für die zahnärztliche Versorgung 1,8 Mrd. €. Mit 926 Mio. €, also etwas mehr als der Hälfte davon, gehörten die Ausgaben für zahnärztliche Versorgung neben den Ausgaben für Pflege und Medikamente zu den drei größten privaten Gesundheitsausgaben, so der Bericht.

Die zur Zeit der Gebarungsüberprüfung geltenden Gesamtverträge in der Zahnmedizin würden darüber hinaus bereits auf das Jahr 1956 zurückgehen. Aktualisierungen der Leistungspositionen seien im Wesentlichen 1972 und 1992 erfolgt. Die Konzeption sei demnach in mehreren Punkten überaltet, etwa hinsichtlich Beratung, Vorsorge, Prophylaxeleistungen und Technik, kritisiert der Rechnungshof.

Im Ergebnis haben nach Einschätzung des RH etwa die Rahmenbedingungen der Gesamtvertragsverhandlungen "Zahn neu" seit 2003, aber auch die Vorgehensweise der Krankenversicherungsträger dazu beigetragen, dass ein Abschluss des Gesamtvertrags nicht gelang und somit die Versorgungssituation "suboptimal" blieb. Der entsprechende Bericht (III-133 d.B. ) stand heute im Rechnungshofausschuss zur Debatte und wurde einhellig zur Kenntnis genommen.

Kraker: Kernpunkt der Kritik ist aus 1956 stammender Gesamtvertrag

Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker unterstrich als Kernpunkt der Kritik, dass der aus 1956 stammende Gesamtvertrag bestehe und  zwischenzeitlich kein neuer zustande kam. Über die Notwendigkeit zur Erneuerung, um den aktuellen Stand der Technik und die geänderten Bedürfnisse abzubilden, bestehe allgemeine Einigkeit. Auch hinsichtlich der Leistungen hofft sie auf neue Verträge, damit es zu Klarheit komme. Zu den Zahnambulatorien empfehle der RH die Entwicklung einer Strategie für deren Rolle in der Versorgungslandschaft und die Integration dieser in den Regionalen Strukturplan Gesundheit RSG.

Hartinger-Klein: Kassenfusion ist auch Meilenstein für Zahngesundheit

Bundesministerin Beate Hartinger-Klein versicherte auf eine diesbezügliche Frage von Wolfgang Zinggl (JETZT), dass sich die Selbstbehalte durch die Reform der Kassenfusionierung reduzieren würden. Zinggl befürchtet ebenso wie etwa Karin Greiner (SPÖ) darüber hinaus, dass die hohen Privatkosten zu Benachteiligungen für Ärmere führen. Etwa hinsichtlich der Verwendung von Amalgam macht sich Greiner Sorgen, dadurch auch auf den sozialen Status schließen zu können. Amalgam sei grundsätzlich rückläufig, sagte dazu Hartinger-Klein und kündigte an, über dessen Einsatz den Status zu erheben und das genau anzusehen. Zu Greiners Frage zu Verbesserungsmöglichkeiten bei den Mundhygienekosten gebe es bereits Maßnahmen, wobei man bei den Kindern ansetze. Das würde die Versicherung auch bereits übernehmen, so die Ministerin. Die Digitalisierung könnte ihr zufolge für Kinder Möglichkeiten bieten, sie zu unterstützen, besser die Zähne zu putzen.

Von einem Meilenstein der Fusionierung der Krankenkassen sprach Hartinger-Klein auch im Hinblick auf den Gesamtvertrag, hier werde es zu Änderungen kommen. So hinterfragte etwa Philip Kucher (SPÖ), ob in Zukunft wirklich alle Menschen in Österreich gleich gute Leistungen in der zahnmedizinischen Versorgung bekommen würden. Für eine gezielte Ausbildung zur Kieferorthopädie, die Angela Fichtinger (ÖVP) thematisierte, erwähnte Hartinger-Klein eine Arbeitsgruppe und den Plan, die Ergebnisse demnächst mit den Stakeholdern in ein Gesetz zu gießen. Auch gegenüber Christian Lausch (FPÖ) bekräftigte sie die Notwendigkeit der Modernisierung des veralteten Leistungskatalogs und sprach sich für die Sicherstellung einer zeitgemäßen Zahnbehandlung als Sachleistung aus. Dabei solle auch verstärkt auf präventive Leistungen geschaut werden. Keinesfalls kämen höhere Selbstbehalte in Frage, so die Ministerin, die auch das kostengünstige Leistungsangebot der Zahnambulatorien als niederschwelliges Angebot der Versicherungsträger beibehalten will. Auch wenn vielleicht nicht alles gleich gemacht werden könne, zeigte sie sich überzeugt, etwa durch Präventivmaßnahmen die WHO-Ziele erreichen zu können. In Richtung Andreas Kollross (SPÖ), der die Sinnhaftigkeit der Parteienstellung der Zahnärztekammer hinterfragte, kündigte Hartinger-Klein an, sich die Situation genau ansehen zu wollen.  

Ausschussvorsitzende Irmgard Griss (NEOS) thematisierte etwa, dass die Hälfte der Versorgung aus privaten Leistungen bestehe und es mangels Daten dazu kein Bild darüber gebe, wie es um die Zahngesundheit bestellt ist. Auch dazu werde sie Erhebungen machen, sagte Hartinger-Klein und will das Thema mittel- bis langfristig in Angriff nehmen.

Rechnungshof fühlt der Zahnversorgung auf den Zahn

Ziele der Gebarungsüberprüfung des Rechnungshofs über die Versorgung im Bereich der Zahnmedizin waren die Beurteilung der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit im Hinblick auf die gesundheitspolitische Steuerung, auf das Leistungsspektrum der Krankenversicherungsträger, zur Erbringung von Leistungen in den kasseneigenen Zahnambulatorien sowie zur Einführung und Implementierung der "Gratiszahnspange". Der Prüfungszeitraum umfasste die Jahre 2014 bis 2016. Soweit erforderlich nahm der RH auch auf frühere bzw. aktuellere Entwicklungen Bezug, so der Bericht.

Trotz entsprechender Empfehlungen der WHO und dem in der Gesundheitsreform 2012 festgelegten Prinzip der Wirkungsorientierung fehlten Gesundheitsziele für den Zahnbereich in Österreich weitgehend, wirft der RH etwa auf. Beispielsweise in der Behandlung von Zahnfleischproblemen zeigen sich demnach die Probleme besonders deutlich. Fehlen würden hier etwa Daten zur Häufigkeit der Erkrankung – eine Dunkelziffer analog zu Deutschland betrage 53 % der Erwachsenen –, ebenso wie gesicherte Daten zur Behandlung. Eine aktuelle, am Stand der Technik definierte Versorgungsleistung der Sozialversicherung vermisst der RH ebenso wie klare Ziele für Gesundheit und Versorgungsdichte der Bevölkerung.

Ein wesentlicher Teil der Strategie der Krankenversicherungsträger nach dem Scheitern der Gesamtvertragsverhandlungen war die Erweiterung des Leistungsspektrums der kasseneigenen Zahnambulatorien, so der Bericht weiter. Damit sei aber weder eine signifikante Verbesserung der Versorgung, noch eine wesentliche Verbesserung der Rentabilität erreicht worden. Ein wesentlicher Grund für den nur langsamen Ausbau der Leistungen sei dessen Bindung an Bedarfsprüfungsverfahren gewesen. Eine Erweiterung erforderte demnach die Zustimmung oder Verfahrens-Parteistellung der Österreichischen Zahnärztekammer.

Für Zahnspangen gelang mit 1. Juli 2015 laut RH-Bericht eine Sachleistungsversorgung ohne Patientenzuzahlung für behandlungsbedürftige Kinder und Jugendliche – die "Gratiszahnspange". Der Gesetzgeber stellte zweckgewidmet zusätzliche Steuermittel von 80 Mio. € jährlich zur Verfügung.

Trotz eines im Gesamtvertrag vom Gesetzgeber eingeforderten Qualitätssicherungssystems hinsichtlich Kieferorthopädie bewertete die NÖGKK dennoch alle Ausbildungen gleich und überprüfte die eingereichten Behandlungsfälle nur stichprobenartig, merkt der RH kritisch an. Die Kasse gab demnach an, dass andernfalls eine zeitgerechte Umsetzung der Versorgung nicht möglich gewesen wäre. Die WGKK habe demgegenüber eine umfassende Überprüfung durchgeführt, konnte aber erst nach mehreren Ausschreibungsrunden im Jahr 2017 die letzte Stelle besetzen, so der Bericht.

Angesichts des erheblichen Marktanteils von Privatleistungen und der nur allgemeinen Überprüfung durch die Österreichische Zahnärztekammer hat der RH laut Bericht wesentliche Lücken in der systematischen Qualitätsarbeit verortet. Zusammenfassend hält er es für geboten, Zahngesundheits– und Versorgungsziele zu definieren, die Ergebnisse systematisch zu messen sowie den Leistungskatalog zu aktualisieren und stärker auf Prophylaxe auszurichten. Außerdem sollten demnach die Anbieterstruktur nach analytischen Kriterien gestaltet und eine systematische Qualitätsarbeit entwickelt werden. Dadurch könne sich die Zahngesundheit und die Versorgung von Zahnproblemen erheblich verbessern. Der Rechnungshof weist außerdem darauf hin, dass schon seit längerem laufende Reformvorhaben (Gesundheitsziele, systematische Diagnosedokumentation, Qualitätsarbeit) bisher wenig konkrete Ergebnisse im Zahnbereich gezeigt haben. Durch die Gesetzesänderungen 2017 habe die Chance bestanden, mit der Gesundheitsplanung 2018 einen wesentlichen weiteren Schritt zu setzen. Von essentieller Bedeutung dabei sei etwa der zeitnahe Abschluss eines modernen Gesamtvertrags. (Fortsetzung Rechnungshofausschuss) mbu