Parlamentskorrespondenz Nr. 1428 vom 04.12.2018

Buchpräsentation: "Versteckte Jahre"

Die Journalistin Anna Goldenberg veröffentlichte die Geschichte ihres jüdischen Großvaters ab 1942 in einem Versteck in Wien

Wien (PK) – Als "große Reportage" schrieb Anna Goldenberg, die Enkelin eines Holocaust-Überlebenden Wieners, die Geschichte ihres Großvaters Hansi ab dem Jahr 1942 nieder. Ihr Buch "Versteckte Jahre" wurde gestern Abend im Plenarsaal des Parlaments, dem Großen Redoutensaal der Hofburg, der Öffentlichkeit präsentiert. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka bezeichnete das Buch als "wichtigen Beitrag zur Gedenk- und Erinnerungskultur in Österreich". "Geschichten einzelner Menschen machen die Geschichte erst erfassbar und begreifbar", sagte Sobotka. "Ihre Geschichten transportieren viel mehr als Zahlen, denn diese Zahlen geben nicht das wieder, was in Schicksalen erlebbar gemacht wird, was einzelne Menschen empfunden haben und das, was für uns in vielen Begegnungen so berührend ist."

Hansi, der Großvater der Autorin Anna Goldenberg, wuchs in Wien auf. Hansi war bis 28. September 1942 mit 16 anderen Menschen jüdischen Glaubens in einer Drei-Zimmer-Wohnung im 2. Wiener Bezirk untergebracht. Als er, seine Eltern und sein dreijähriger Bruder nach Theresienstadt deportiert werden sollten, wusste man nicht, wie es dort sein würde. "Schlechter als in Wien" könne es nicht werden, glaubte Hansis Mutter. Josef Feldner, ein Kinderarzt aus Wien-Neubau, bot der befreundeten Familie an, Hansi bei sich aufzunehmen und ihn vor den Nazis zu verstecken. Am 28. September 1942, kurz vor 10 Uhr, verabschiedete sich der 17-Jährige von seiner Familie, ging auf die Straße, stieg in eine Straßenbahn und fuhr in Richtung Neubau. Seine Eltern und sein Bruder stiegen in den Transport nach Theresienstadt und kamen nie wieder zurück. Sie wurden dort ermordet.

Hansi überlebte den Krieg in seinem Versteck in der Wiener Neubaugasse und wanderte kurz nach dem Krieg nach Amerika aus. Er und seine Frau Helga, die das Konzentrationslager Theresienstadt überlebt hatte, studierten Medizin, sie arbeiteten als Ärztin und Arzt in einem kleinen New Yorker Krankenhaus – erst umsonst und dann um wenig Geld – und kamen wenige Jahre später, in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre, wieder zurück nach Wien.

Unverständliche Rückkehr

Diese Rückkehr ihrer Großeltern war es, die die Enkelin Anna Goldenberg 2012 als 23-Jährige in New York mit Fragen konfrontierte, die sie nicht beantworten konnte. "Wie konnten sie sich mit Österreich versöhnen?" Sie studierte unter anderem Journalismus an der Columbia University in New York und arbeitete als Redakteurin für die Wochenzeitung "Jewish Daily Forward". Sie forschte nach, was ihre Großeltern bewogen hatte, nach Österreich zurückzukehren – in ein Land, wo sie gedemütigt und verfolgt worden waren, wo ihre Familien ermordet worden waren.

Später rückte immer mehr das Leben ihres Großvaters in der Wohnung des Kinderarztes Josef Feldner 1942 bis 1945 in den Mittelpunkt ihres Interesses. Es war das Leben eines von etwa 1.000 jüdischen Bürgerinnen und Bürgern, die versteckt in Österreich die Nazis überlebten. Goldenbergs Großvater hielt sich anfangs goßteils allein in der Wohnung seines Unterkunftgebers auf; er freundete sich nach und nach mit der Lebensmittelhändlerin im Erdgeschoß des Hauses an und später wagte er sich mit dem Kinderarzt sogar ins Lazarett, getarnt als sein "junger Assistenzarzt", und er ging in Psychologievorlesungen eines Freundes von Josef Feldner. Nach dem Krieg blieben Josef Feldner und Hansi Freunde. Feldner war auch mit ein Grund, warum Hans und Helga nach wenigen Jahren aus den USA wieder zurück nach Wien kamen.

Schilderungen auf 100 Computer-Dateien

Als Goldenbergs Großvater 1996 starb, war Anna Goldenberg sieben Jahre alt. 2012 begann sie, die Schilderungen ihres Großvaters zu lesen, die lange unentdeckt in etwa 100 Dateien auf einem Computer gelegen waren. Anna Goldenberg recherchierte in Archiven in Wien und New York, in Schuhschachteln mit Dokumenten ihrer Großmutter und schrieb das Buch "Versteckte Jahre". 2015 kehrte Anna Goldenberg – wie ihre Großeltern in den 1950er-Jahren – zurück nach Wien. Ihre Großmutter Helga kam auch zur Präsentation des Buches. Die pensionierte Ärztin ist immer noch in Schulen unterwegs als Zeitzeugin, weil sie den Kindern vermitteln will, "dass man jedem Menschen Respekt und Anstand entgegenbringen muss und anderen Menschen helfen muss, wenn sie Hilfe brauchen", betonte sie. (Schluss) gb

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