Parlamentskorrespondenz Nr. 421 vom 24.04.2019

NEOS üben scharfe Kritik am digitalen Vermummungsverbot

Nationalrat beginnt Sitzung mit Trauerminuten für Abgeordnete Krenn und Terroropfer in Christchurch und Sri Lanka

Wien (PK) – Unter dem von den NEOS ausgewählten Titel "Diese Regierung hat keine Ahnung vom Internet" stand heute die Aktuelle Stunde des Nationalrats . Angesichts der Pläne der Regierung für die Einführung eines "digitalen Vermummungsverbots" hielt es Abgeordnete Claudia Gamon (NEOS) für dringend notwendig, die Alarmglocken zu läuten. Sie sieht dadurch nämlich die individuellen Freiheitsrechte der BürgerInnen im Netz massiv bedroht. Ihre Kritik bezog sich dabei vor allem auf den vor zwei Wochen präsentierten Ministerialentwurf für ein "Bundesgesetz über Sorgfalt und Verantwortung im Netz (SVG-G)", das unter bestimmten Bedingungen eine Registrierungspflicht für die User von Online-Foren beinhaltet. Unterstützung kam von Seiten der SPÖ und der Liste JETZT, die einen Angriff auf die Privatsphäre der ÖsterreicherInnen beklagten.

Medienminister Gernot Blümel verteidigte das "digitale Vermummungsverbot", weil aufgrund der geplanten Bestimmungen Opfer von Verhetzung, Herabwürdigung oder Verleumdung ihre Rechte durchsetzen können. Bei der im EU-Parlament beschlossenen Leistungsschutzrecht-Richtlinie handle es sich um keine Zensur, sondern um einen besseren Schutz von geistigem Eigentum im digitalen Raum, betonte er.

Vor Eingang in die Debatte hielt das Nationalratsplenum jeweils eine Gedenkminute für die verstorbene ÖVP-Abgeordnete Barbara Krenn und für die Opfer der Terroranschläge von Christchurch und Sri Lanka ab.

Gamon: Regierung setzt auf Zensur, Überwachung und Freiheitseinschränkungen

NEOS-Mandatarin Claudia Gamon zeigte sich besorgt über die Entwicklung in vielen Staaten der Welt, die darauf hinausläuft, technologische Entwicklungen für den Aufbau einer Zensurinfrastruktur und eines Überwachungsstaats zu missbrauchen. Damit werde die letzte Bastion der Freiheit, nämlich das Internet, komplett abgeschafft. Es stehe außer Zweifel, dass es im Internet einen großen Regulierungsbedarf gibt, räumte Gamon ein, aber dabei müsse mit Bedacht vorgegangen werden. Das von der österreichischen Regierung gewählte Modell sei jedenfalls der falsche Weg, weil es auf Zensur, Überwachung und Freiheitseinschränkungen setze. Also "ganz alte Antworten auf sehr neue Probleme", resümierte die Mediensprecherin der NEOS. Dies zeige sich nicht nur an der geplanten Ausweispflicht im Netz, sondern auch an der Zustimmung zu den Upload-Filtern im Rahmen der Urheberrechtsreform. Obwohl man damit gezielt Facebook und Youtube erwischen wollte, "erschießt man gleich das halbe Internet". So brauche man beispielsweise in Hinkunft nur eine urheberrechtlich geschützte Musik abspielen, um zu verhindern, dass eine unliebsame Demo per Livestream übertragen wird.

Besonders kritisch stand Gamon der geplanten Registrierungspflicht bei Online-Plattformen gegenüber. Es sei auch beim Betreten eines realen Supermarktes nicht erforderlich, seinen Namen und seine Adresse für den Fall zu hinterlegen, dass man vielleicht eine Straftat begehen könnte. Warum muss das nun jetzt online gemacht werden? Bedauerlich sei zudem, dass der zuständige Minister Blümel jede Kritik daran "als Blödsinn abtut" und stattdessen von einer "südkoreanischen Software schwadroniert, die das ganze irgendwie lösen sollte". Das Beispiel Südkorea zeige aber gerade, dass die Hasspostings nicht weniger geworden sind und dass die - unsicher gespeicherten - Daten von Millionen von Nutzern sogar gestohlen werden konnten.

Über den Umweg einer PR-Aktion, die vermeintlich gegen Hasspostings helfen soll, werde eine massive Vorratsdatenspeicherungsoffensive lanciert, meinte auch ihr Fraktionskollege Nikolaus Scherak. Das Internet sei schon bisher kein rechtsfreier Raum gewesen, die Gesetze müssten nur konsequent umgesetzt werden. Außerdem müssten die Polizei und die Staatsanwaltschaften endlich effizient ausgestattet werden. Abgeordneter Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS) setzte sich insbesondere für verstärkte Maßnahmen zur Förderung der Medienkompetenz ein, und zwar sowohl in der Schule als auch in der Erwachsenenbildung. Nachholbedarf gebe es auch bei den PolitikerInnen, die in diesem Bereich eine Vorreiterrolle einnehmen sollten.

Blümel: Instrument zur besseren Rechtsdurchsetzung und zum Schutz des geistigen Eigentums

Jede technische Weiterentwicklung bietet nicht nur neue Chancen, sondern bringt auch Risiken mit sich, konstatierte Bundesminister Gernot Blümel. Dies gelte auch für die derzeit stattfindende digitale Revolution. In der digitalen Welt müssen dieselben Grundprinzipien und Regeln gelten wie in der analogen Welt, denn totale Freiheit ist Anarchie, stellte Blümel in Richtung der NEOS fest. So sei es zum Beispiel ungerecht, wenn ein kleiner heimischer Greißler mehr Steuern zahlt als riesige Konzerne wie Google, Youtube oder Facebook, die in Österreich Millionen verdienen. Deshalb sei die Einführung einer Digitalsteuer die richtige Antwort darauf.

Was die von den NEOS kritisierten Upload-Filter angeht, so wies Blümel darauf hin, dass dieser Begriff in der kürzlich im Europäischen Parlament beschlossenen Leistungsschutz-Richtlinie gar nicht vorkommt. Es gehe vielmehr darum, dass nunmehr geistiges Eigentum im digitalen Raum geschützt werden könne. Außerdem war es dringend notwendig, moderne gesetzliche Grundlagen für diesen Bereich zu schaffen. Die bisherigen Bestimmungen stammen aus dem Jahr 2001, erklärte der Ressortchef, damals gab es noch gar kein Facebook. Zu einer besseren Rechtsdurchsetzung wird auch das "digitale Vermummungsverbot" beitragen, war der Medienminister weiters überzeugt. Es könne nicht sein, dass die Opfer von Verhetzungen, Verleumdungen oder Beleidigungen keine Handhabe haben, um dagegen vorzugehen.

ÖVP und FPÖ verteidigen Registrierungspflicht im Netz und Urheberrechtsreform

Es sei die Aufgabe der Politik, auf neue technologische Entwicklungen zu reagieren und erforderlichenfalls Anpassungen vorzunehmen, argumentierte ÖVP-Mandatarin Eva-Maria Himmelbauer. Da Sicherheit und Rechtsdurchsetzung auch im digitalen Raum gewährleistet werden müssen, unterstütze sie die Stoßrichtung der neuen Urheberrechtsnovelle. Im Mittelpunkt stünden dabei der Schutz von geistigem Eigentum und die Verschiebung der Machtverhältnisse zu Gunsten der UrheberInnen. Ausdrücklich festgeschrieben wurde auch, dass Satire und Parodien weiterhin ihren Platz im Netz haben werden. Bezüglich der konkreten Ausgestaltung des digitalen Vermummungsverbots gebe es im Rahmen des Begutachtungszeitraums noch die Möglichkeit, Anregungen einzubringen. Abgeordnete Maria Theresia Niss (ÖVP) hielt es für positiv, dass die Plattformbetreiber stärker in die Pflicht genommen werden, denn in der digitalen Welt müssen die gleichen Regeln wie in der analogen gelten.

Damit könnten endlich die zahlreichen illegalen Machenschaften, gegen die man bisher kaum vorgehen konnte, abgestellt werden, unterstrich FPÖ-Abgeordneter Robert Lugar. Es könne nicht sein, dass rechtsfreie Räume zugelassen werden, in denen sich Kriminelle austoben. Positiv stand er auch dem Einsatz einer Gesichtserkennungs-Software durch die Exekutive gegenüber, weil damit Straftaten verhindert werden können. Seine Fraktionskollegin Sandra Wassermann forderte die Oppositionsparteien auf, sich  lösungsorientiert und konstruktiv in den parlamentarischen Prozess einzubringen. Die Wortmeldung der Abgeordneten Gamon sei wohl eher den anstehenden EU-Wahlen geschuldet, vermutete sie. Auch bei der SPÖ müsse man sich angesichts einiger Postings fragen, wie ernst sie ihren eigenen Wertekatalog nimmt.

SPÖ fordert Umsetzung der bestehenden Gesetze und mehr Steuergerechtigkeit

SPÖ-Abgeordneter Andreas Schieder war der Auffassung, dass die Regierung in Sachen Netzpolitik und Urheberrecht im digitalen Raum die falschen Antworten gibt. Eine gerechte Besteuerung der großen Internet-Konzerne könne es etwa nur dann geben, wenn eine digitale Betriebsstätte eingeführt und das Einstimmigkeitsprinzip in Finanzfragen auf EU-Ebene abgeschafft wird. So sei es auch unbestritten, dass die Umsetzung der Leistungsschutz-Richtlinie die Anwendung von Upload-Filtern impliziert. Damit werden weder die Probleme der betroffenen KünstlerInnen gelöst, noch könne man gegen Hass im Netz vorgehen. Schieder ortete auch große demokratiepolitische Herausforderungen, die u.a. durch die Troll-Armeen im Internet entstehen. Big Data könne eine sehr gefährliche Waffe darstellen, wenn sie in die falschen Hände gerät.

Auch Abgeordneter Thomas Drozda (SPÖ) vermisste echte Lösungen und sprach von "Show-Politik". Die Ausweispflicht im Internet mag vieles sein – eine Barriere für den freien Diskurs im Netz, ein Angriff auf die digitale Demokratie oder ein Eingriff in das Grundrecht auf Datenschutz; ein Rezept gegen Hasskommentare im Netz sei es aber sicherlich nicht. Ebenso wie Scherak machte er darauf aufmerksam, dass strafrechtliche relevante Postings schon jetzt verfolgt werden können. Die Staatsanwaltschaften haben die Möglichkeit, IP-Adressen bei den Providern zu erfragen. Dies geschehe nur deshalb nicht, weil noch immer nicht genügend Personal zur Verfügung steht.

JETZT: Totalangriff auf das Mitmach-Internet und das Recht auf Anonymität

Abgeordnete Stephanie Cox (JETZT) gab zu bedenken, dass mittlerweile über 4,4 Milliarden Menschen online sind und viele davon den digitalen Raum als ihr zweites Zuhause betrachten. Vor allem die Jugendlichen halten sich dort auf, weil sie dort nicht nur Bildung und Inspiration finden, sondern auch Freundschaften pflegen. Auch wenn niemand bestreite, dass Regelungen gegen Hass im Netz gefunden werden müssen, sei es keine zielführende Strategie, den "digitalen Wilden Westen" in einen "digitalen Ostblock" umzuwandeln. Der von der Regierung geplante Ausweiszwang sei ihrer Meinung nach ein Totalangriff auf das Mitmach-Internet, weil die Communities unter Beschuss genommen werden. Abgeordneter Alfred Noll (JETZT) sprach von einem Paradigmenbruch, da nunmehr das Menschenrecht auf Anonymität in Gefahr sei. Außerdem sei das Internet schon jetzt eines der meistregulierten Bereiche, die es gibt. Der bekannte Fall von Sigi Maurer zeige zudem deutlich, dass das Grundproblem nicht in der Anonymität liege. (Fortsetzung Nationalrat) sue

HINWEIS: Fotos vom Beginn der Sitzung finden Sie auf der Website des Parlaments unter www.parlament.gv.at/aktuelles/mediathek/fotos .