Parlamentskorrespondenz Nr. 699 vom 19.06.2019

Bundesrat: Debatte über Ibiza-Video, Kurz-Regierung und anstehende Maßnahmen

Regierungserklärung von Bierlein und Jabloner als Anlass zur breiten Diskussion in der Länderkammer

Wien (PK) – In der Debatte zur Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein und Vizekanzler Clemens Jabloner heute in der Länderkammer bezogen die BundesrätInnen Stellung zu den Ereignissen rund um das Ibiza-Video und zu ihrer Sicht der aktuellen Aufgaben der Übergangsregierung.

ÖVP dankt der Übergangsregierung, Verantwortung zu übernehmen

Karl Bader (ÖVP/N) ging auf das Cicero-Zitat der Bundeskanzlerin ein, dass nichts das Gemeinwesen besser zusammen halte als Verlässlichkeit. Dafür stehe gerade die Länderkammer auf besondere Weise. Auch Bader bemühte Cicero: Keine Schuld sei größer, als Dank zu sagen, den er dieser Übergangsregierung auch dafür aussprach, in dieser außergewöhnlichen Situation Verantwortung für die Republik zu übernehmen. Ebenso sei das Bekenntnis zum Föderalismus positiv. Seine Fraktion werde die Übergangsregierung auch im Bundesrat unterstützen. Die "ungeheuerlichen Aussagen" im Ibiza-Video hätten zu der Situation geführt, ließ er Revue passieren. Als ungeheuerlich – wenn auch demokratiepolitisch legitim - bezeichnete er aber den dann folgenden SPÖ-Misstrauensantrag gegen die gesamte Regierung. Es habe hier keine inhaltliche Begründung gegeben außer "Kurz muss weg", meinte er. Ebenso wenig wie Andrea Eder-Gitschthaler (ÖVP/S) kann er den späteren Wahltermin - gegen den Willen des Bundespräsidenten und der Bundeskanzlerin – nachvollziehen.

Eder-Gitschthaler (ÖVP/S) strich dazu zahlreiche Maßnahmen der Kurz-Regierung als positiv hervor. Alle seien schockiert und fassungslos vom Ibiza-Video, nun gelte es, alles daran zu setzen, damit es nicht verharmlost werde und dass konsequente Aufklärung stattfinde. Am Herzen liegt ihr, Maßnahmen wie etwa die Mindestpension oder das Plastiksackerlverbot noch umzusetzen. Zu wünschen sei aber, dass es darüber hinaus keine teuren Wahlzuckerl geben wird.

Das Misstrauensvotum gegen den ehemaligen Bundeskanzler Kurz und seine Bundesregierung vor dem Hintergrund wichtiger Entscheidungen auf EU-Ebene machte Bundesrat Christian Buchmann (ÖVP/St) zum Thema. Dies sei seiner Ansicht nicht nur ungerecht gegenüber der hervorragenden Arbeit der Regierungskoalition gewesen, sondern auch europapolitisch "falsch". Für die Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen sprach sich Buchmann für eine Kohäsionspolitik aus, in der auch die entwickelten Regionen einen fairen Anteil der Mittel erhalten, sowie für eine spezielle Berücksichtigung der Erweiterungs- und Klimapolitik. Unter Verwendung des Max Weber-Zitats, wonach Politik das "Bohren harter Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß" sei, bedauerte der Bundesrat, dass die Übergangsregierung gedenkt, das Augenmaß in den Mittelpunkt und die Leidenschaft in den Hintergrund zu stellen.

SPÖ: Beschlüsse im Sinne der Menschen fassen

Korinna Schumann (SPÖ/W) dankte der Übergangsregierung, in diesen herausfordernden Zeiten Verantwortung zu übernehmen und betonte, es habe keine Staatskrise, sondern zweimal eine Regierungskrise gegeben. Sie übte umfassende Kritik an der Kurz-Regierung, etwa im Hinblick auf Soziales und Integration. Man könne nur froh sein, dass dies - zumindest vorerst – gestoppt wurde. Schumann rief dazu auf, jetzt Beschlüsse im Interesse der Menschen und nicht nur der Wirtschaft zu fassen.

Dass die Verfassung es möglich gemacht habe, "trotz turbulenter Situation das Traumschiff Österreich sicher durch die Fahrwässer weiterzuführen", hob Bundesrat Hubert Koller (SPÖ/St) hervor. Die ExpertInnenregierung ist seiner Ansicht nach ein Garant für eine faire Zeit bis zur Angelobung der neuen, gewählten Regierung. Für diese Phase erhofft er sich die Erarbeitung guter Kompromisse für die österreichische Bevölkerung und Entscheidungen, die auf breiter Basis mitgetragen werden. Bundesrat Koller appellierte an die Bundesregierung, das Frauenvolksbegehren nicht aus den Augen zu verlieren und für die Stärkung der Mittel für Kohäsionspolitik, den landwirtschaftlichen Bereich sowie für die Erasmus-Programme einzustehen. Dem scheidenden Bundesratspräsidenten Ingo Appé dankte er für dessen Tätigkeit während seiner Amtszeit, insbesondere seinem Engagement für den Trinkwasserschutz.

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ/W) sprach der Übergangsregierung ebenfalls die Unterstützung der SPÖ zu, wenngleich man auch freundschaftliche Kritik üben werde, wie er sagte. Weil wichtige Personalentscheidungen für die EU-Top-Jobs zu treffen seien, wäre es wichtig, hier mit dem Parlament zu kooperieren und für den Posten des EU-Kommissars bzw. der EU-Kommissarin ExpertInnen anzudenken. Neben Brigitte Bierlein, die als erste Bundeskanzlerin mit einem "halbe-halbe"-Kabinett Maßstäbe gesetzt habe, wandte sich der Bundesrat direkt an zwei weitere Regierungsmitglieder. Von Außenminister Alexander Schallenberg sei er enttäuscht, weil er bei der Rede der Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, Liliane Maury Pasquier, im Nationalratsplenum nicht anwesend war und keine Zeit für ein Vier-Augen-Gespräch mit ihr fand. Verteidigungsminister Thomas Starlinger bat er, sich dafür einzusetzen, dass die wertvollen Auslandseinsätze des Bundesheers trotz der schwierigen Budgetsituation aufrecht erhalten bleiben. Das vieldiskutierte Prestigeprojekt Sicherheitsschule bezeichnete Schennach in diesem Zusammenhang für verzichtbar.

Auch Bundesrat Wolfgang Beer (SPÖ/W) nahm den Verteidigungsminister für seine kürzlich medial getätigten Aussagen in Schutz. Endlich wurden ehrliche Aussagen über die gravierende finanzielle Situation im Bundesheer getroffen, so Beer. Dafür sollte man Starlinger nicht die Schuld geben, sondern ihn stattdessen unterstützen, appellierte er an die BundesrätInnen.

FPÖ will rasche Aufklärung zum Ibiza-Video

Monika Mühlwerth (FPÖ/W) griff das von Schumann thematisierte Recht auf Trinkwasser auf. Alle seien sich einig, dass das ein wichtiges Gut sei. Sie werde auch das Ibiza-Video weder entschuldigen noch schönreden, warf der SPÖ aber vor, dass in rot geführten Gemeinden bereits Erfahrungen mit der Veräußerung von Wasserdienstleistungen gemacht worden seien. Kritisch sieht Mühlwerth auch, dass der Verteidigungsminister der jetzigen Übergangsregierung ihr zufolge die eingeführte Sicherheitsschule rückgängig machen wollte. Erst nach einem "Aufschrei" sei dieser gewillt, noch einmal nachzudenken. Der ÖVP warf sie vor, es sei bei der Entlassung des vormaligen Innenministers Herbert Kickl nicht um die Person, sondern um das Innenministerium gegangen. Was das Ibiza-Video betrifft, hofft sie auf rasche Aufklärung und bezeichnete es als perfide Art und Weise, wie dieses zustande gekommen sei.

Für Bundesrat Gerd Krusche (FPÖ/St) ist Vertrauen ein wichtiges Element der Regierungsarbeit. Bei der Übergangsregierung fehle ihm das aber teilweise, sagte er. Dass Verteidigungsminister Thomas Starlinger die geplante Sicherheitsschule "abdrehen" wollte, sei keine vertrauensbildende Maßnahme gewesen, so Krusche. Weil Verlässlichkeit Planungssicherheit für die BürgerInnen bedeute, gelte es, zwar Missstände und drohende Gefahren aufzuzeigen, aber nicht über die Medien zu verunsichern, meinte er am Beispiel Katastrophenschutz. Er bat, die Einsatzbereitschaft und Funktionstüchtigkeit des Bundesheers in Zusammenarbeit mit der Bundeskanzlerin herstellen, allerdings "nicht durch Panikmache in der Öffentlichkeit." Grundsätzlich bedankte er sich bei der Bundesregierung, dass sie in Ruhe und Gelassenheit agiere und dem Bundesrat mit ihrer Anwesenheit Wertschätzung ausdrücke.

Grüne: Kurz-Regierung war 17 Monate Chaos

Ewa Dziedzic (Grüne/W) warf der ehemaligen Kurz-Regierung vor, deren Zeit seien 17 Monate Chaos gewesen. Aufgabe der Übergangsregierung sei jetzt, Verantwortung zu übernehmen, aber auch die Aufklärung im Hinblick auf das Ibiza-Video – das sie als "Höhepunkt der Dreistigkeit" bezeichnete - voranzutreiben. Dziedzic ortet insgesamt ein "eklatantes Versagen" der politischen Moral in der FPÖ mit einer "erschreckenden Kontinuität". Als wichtige Zukunftsfrage hob Dziedzic die Klimapolitik hervor. Die Pläne der Kurz-Regierung seien ambitionslos gewesen, es gelte hier, dringend konkrete, anstehende Maßnahmen auszuarbeiten. Die Übergangszeit dürfe keine Klimastillstandszeit werden, so die Bundesrätin der Grünen, die außerdem an die Übergangsregierung appellierte, keinesfalls den wichtigen Sexualkundeunterricht streichen zu lassen. (Fortsetzung Bundesrat) mbu/fan


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