Parlamentskorrespondenz Nr. 1200 vom 13.12.2019

Von der Zielerfüllungsmaschine zur Serviceeinrichtung - die Veränderung der Bürokratie im 20. und 21. Jahrhundert

Bundesratspräsident Bader lud zur Buchpräsentation ins Parlament

Wien (PK) – Auf Einladung von Bundesratspräsident Karl Bader und des Böhlau Verlags präsentierte Raoul Kneucker gestern Abend seine Studie "Bürokratische Demokratie, demokratische Bürokratie" in den derzeitigen Räumlichkeiten der Parlamentsdirektion am Stubenring. Der langjährige Sektionschef im Unterrichtsministerium behandelt darin die Veränderungen der Auffassungen von und der Erwartungen an die Bürokratie im 20. und 21. Jahrhundert. Von einer "Zielerfüllungsmaschine" des Staates geht die Entwicklung hin zu einer serviceorientierten Organisation, in der die BürgerInnen als "Kundinnen" der Verwaltung gesehen werden, so sein Resümee.

"Bürokratie ist ein Thema, das uns alle in irgendeiner Weise angeht", sagte Bundesratspräsident Bader in seiner Begrüßungsrede. Kneucker habe sich mit dem Thema Bürokratie nicht nur wissenschaftlich befasst, sondern verfüge aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit auch über eine profunde Kenntnis ihrer Praxis. In seinem Buch behandle Kneucker wichtige Fragen, wie etwa, in welcher Weise Demokratie und Bürokratie aufeinander Einfluss nehmen. Aktuell sei es die Digitalisierung, welche auch die Bürokratie verändere. Kneucker liefere anregende Ideen, wie die Zukunft der Bürokratie und der Selbstverwaltung aussehen könne. Diese Fragen richteten sich auch an das Parlament, das eine wichtige Rolle dabei spiele, das Gleichgewicht von Demokratie und Bürokratie zu wahren.

Waltraud Moritz (Verlagsleitung, Böhlau Verlag) sagte, sie freue sich, dass ihr Verlag mit Raoul Kneucker einen profunden Kenner des Themas der europäischen Bürokratie und ihrer Entwicklung als Autor gewinnen könnte. "Bürokratische Demokratie, demokratische Bürokratie" erscheine als Band 117 in einer der renommiertesten und am längsten bestehenden Reihen des Verlagshauses, den "Studien zu Politik und Verwaltung".

In einer kurzen Einführung ins Thema seines Buches erklärte Kneucker, die Frage der Bürokratie begleite ihn seit seiner Studienzeit. Er betrachte sie unter dem Gesichtspunkt, dass sie als wichtiges Instrument der Modernisierung und Aufklärung in der Neuzeit fungiert habe. Er gehe dabei davon aus, dass Bürokratie und Demokratie korrelieren. In seinem Überblick gehe er der Frage nach, warum sich die Bürokratie im Verlauf des 20. Jahrhunderts, trotz einer ständigen Ausweitung ihrer Aufgaben, kaum geändert hat. Im 21. Jahrhundert, das vom Schlagwort "Bürokratieabbau" beherrscht sei, erfahre sie hingegen eine rasche und grundlegende Veränderung. Er beobachte drei Faktoren, die seiner Meinung nach diese Entwicklungen erklären. Das sei zuerst die Internationalisierung der Verwaltung sowie, als noch stärkerer Faktor, ihre Europäisierung. Der dritte wesentliche Aspekt sei die Übernahme betriebswirtschaftlicher Denkweisen in die staatliche Verwaltung.

Eine dem Allgemeinwohl verpflichtete Bürokratie

In einer Podiumsdiskussion unter Leitung des ehemaligen Zweiten Nationalratspräsidenten Heinrich Neisser debattierte der Autor mit Elsa Hackl (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung) sowie Manfried Welan, ehemals Rektor der Universität für Bodenkultur, über die Thesen seines Buches. Die DiskussionsteilnehmerInnen erörterten die Veränderungen der Bürokratie in den letzten Jahrzehnten an den Beispielen der Ministerien und der universitären Selbstverwaltung.

Eine wesentliche Veränderung sei das Verschwinden des traditionellen Berufsbeamtentums und das "Absterben der Sektionschefs", führte Neisser aus und knüpfte daran die Frage, ob sich daran etwas ändern lasse. Sie sehe hier eine kaum mehr umzukehrende Tendenz, meinte Hackl. Eine Renaissance des Berufsbeamtentums werde es kaum geben. Ihrer Beobachtung nach tritt an die Stelle der Sektionschefs tendenziell die neu geschaffene Funktion der Generalsekretäre, deren Rolle innerhalb der Bürokratie jedoch noch nicht klar definiert ist.

Kneucker sieht darin eine systemische Veränderung, deren Auswirkungen sich noch nicht abschätzen lassen. Was die Zukunft betrifft, so sehe er in der EU neue Formen von Bürokratie entstehen, die interessante Beispiele bieten, an denen man sich auch orientieren könne. Neisser bemerkte dazu, angesichts der Veränderungen der Verwaltung halte er es für unumgänglich, im Rahmen einer Reform des Dienst- und Besoldungsrechts auch eine grundlegende Diskussion über die Weiterentwicklung des Berufsbeamtentums zu führen. Die Frage, wie auch in Zukunft eine staatliche Verwaltung sichergestellt werden könne, die sich in erster Linie dem Allgemeinwohl verpflichtet fühlt und nicht eigenen Karriereüberlegungen, sei von grundlegender Bedeutung.

Die Diskussionsrunde widmete sich auch der Frage, welche Zukunft das Prinzip der Selbstverwaltung habe. Sie brauche für ihr Funktionieren engagierte Menschen aus der Zivilgesellschaft, betonte Welan. Allerdings stehe eine Tendenz zur Individualisierung dem Engagement in Strukturen der Selbstverwaltung oft entgegen, gab er zu bedenken. Einigkeit herrschte am Podium darüber, dass Bildung ein wichtiger Schlüssel für eine erfolgreiche Zivilgesellschaft ist. (Schluss) sox

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie auf der Website des Parlaments.