Parlamentskorrespondenz Nr. 292 vom 25.03.2020

Klimaschutz, mehr Bürgernähe, Brexit: Bericht des Bundeskanzleramts informiert über aktuelle EU-Schwerpunkte abseits der Corona-Krise

Arbeitsprogramm der EU-Kommission sieht 92 neue Initiativen zu sechs zentralen Bereichen vor

Wien (PK) – Ein Europäischer "Grüner Deal". Ein Europa, das für das digitale Zeitalter gerüstet ist. Eine Wirtschaft, deren Rechnung für die Menschen aufgeht. Ein stärkeres Europa in der Welt. Die Förderung der europäischen Lebensweise. Und schließlich neuer Schwung für die Demokratie in Europa. Das sind jene sechs Bereiche, auf die die seit Dezember letzten Jahres amtierende neue EU-Kommission in den nächsten Monaten und Jahren ein besonderes Augenmerk legen will, wie aus einem Bericht von Bundeskanzler Sebastian Kurz und Europaministerin Karoline Edtstadler an das Parlament hervorgeht (III-104 d.B. und III-701-BR/2020 d.B.). Auch das künftige EU-Budget und der Brexit werden die Europäische Union 2020 demnach intensiv beschäftigen. Im Mai sollte eine zweijährige Konferenz zur Zukunft Europas starten. Ob der Zeitplan eingehalten werden kann, ist allerdings fraglich, der Bericht wurde noch vor der aktuellen Corona-Krise erstellt.

Im Rahmen ihrer Schwerpunktsetzung will die EU-Kommission laut Bericht vorerst 92 neue Initiativen zu 43 politischen Zielen starten. Weiters umfasst das aktuelle Arbeitsprogramm 44 Vorschläge zur Überarbeitung bestehender Rechtsakte und 126 prioritäre Vorschläge aus vergangenen Jahren. 32 Legislativvorschläge sollen hingegen zurückgenommen und zwei überholte Rechtsakte aufgehoben werden. Das derzeitige EU-Vorsitzland Kroatien hat unter anderem die Einheit der EU, die Förderung von Konsens und Kompromissbereitschaft und den Dialog mit den BürgerInnen als besondere Anliegen hervorgehoben. Im zweiten Halbjahr 2020 wird Deutschland den Vorsitz in der EU übernehmen, das Programm der Trio-Präsidentschaft Deutschland, Slowenien und Portugal 2020/21 wird für Juni erwartet.

Neben dem im Februar abgehaltenen Sondergipfel zum Mehrjährigen Finanzrahmen waren für heuer vier weitere Sitzungen des Europäischen Rates (26./27. März, 18./19. Juni, 15./16. Oktober und 10./11. Dezember) sowie ein informeller Gipfel am 13./14. September geplant, zu dem auch der chinesische Staatspräsident stoßen sollte. Dazu kommen ein EU-Westbalkan-Gipfeltreffen am 6./7. Mai in Zagreb sowie zwei Treffen der Eurogruppe im Juni und Dezember, bei denen die Euro-Staaten unter anderem über das ESM-Reformpaket und ein neues Haushaltsinstrument für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit (BICC) beraten wollen. Die aktuellen Entwicklungen könnten den Terminplan allerdings ins Wanken bringen, der März-Gipfel wurde mittlerweile bereits abgesagt. Stattdessen beraten die Staats- und Regierungschefs regelmäßig per Videokonferenz über gemeinsame Aktivitäten der EU.

Abkommen mit Großbritannien nach dem Brexit

Als besondere Herausforderung für die EU in diesem Jahr nennt der Bericht neben der notwendigen Einigung über den Mehrjährigen Finanzrahmen 2021 bis 2027 auch den Brexit. Bis Jahresende muss in Form eines separaten Abkommens Klarheit über das künftige Verhältnis zwischen Großbritannien und der Europäischen Union geschaffen werden. Die EU strebt nicht nur eine möglichst enge wirtschaftliche Partnerschaft an, sondern setzt auch auf eine vertiefte Zusammenarbeit in den Bereichen innere und äußere Sicherheit.

Federführend verantwortlich für die Verhandlungen ist die "Task Force UK" unter Michel Barnier. Sollte bis zum Ende der Übergangsperiode im Dezember kein Abkommen vorliegen, müsste ab 1. Jänner 2021 auf internationale und multilaterale Verträge zurückgegriffen werden, wobei in manchen Bereichen auch "Notfallmaßnahmen" zur gröbsten Abfederung negativer Folgen angedacht sind, wie der Bericht festhält. Österreich steht ausdrücklich hinter den Bemühungen um eine enge Partnerschaft, pocht aber auf ein Gleichgewicht von Rechten und Pflichten und einen fairen Wettbewerb auf Augenhöhe.

Zweijährige Konferenz soll sich mit Zukunft der EU beschäftigen

Der Startschuss für die Konferenz zur Zukunft Europas wäre laut ursprünglichem Zeitplan für 9. Mai vorgesehen. Dabei handelt es sich um einen breit angelegten Prozess zur Weiterentwicklung der Europäischen Union, in den auch die Bürgerinnen und Bürger miteinbezogen werden sollen. Ergebnisse sollten im 1. Halbjahr 2022 vorliegen und unter französischem Vorsitz präsentiert werden. Österreich setzt sich laut Bundeskanzler Kurz für einen neuen Vertrag für Europa ein, der den anstehenden Herausforderungen gerecht wird und gleichzeitig dem Subsidiaritätsprinzip Rechnung trägt. Europa solle sich demnach auf jene Fragen konzentrieren, die nur gemeinsam gelöst werden können wie Klimawandel, Wettbewerbsfähigkeit und Migration, und ansonsten mehr Handlungsspielraum für die Mitgliedstaaten und Regionen schaffen.

Nach wie vor Streit um mittelfristiges EU-Budget

Was den Mehrjährigen Finanzrahmen betrifft, stehen laut Bundeskanzleramt die Beibehaltung der siebenjährigen Rahmenperiode und die Neustrukturierung der Ausgabenkategorien in sieben Rubriken weitgehend außer Streit. Allerdings wird weiter über die Budgetobergrenze, die Gewichtung zwischen traditionellen Politikbereichen wie Kohäsions- und Agrarpolitik und neuen Herausforderungen wie Klimaschutz, Digitalisierung und Migration sowie über etwaige Beitragsrabatte diskutiert. Österreich als mittlerweile drittgrößter Nettozahler ist es ein Anliegen, den eigenen Beitrag zu "stabilisieren", wie der Bericht festhält, zudem legt die Regierung besonderen Wert auf die ländliche Entwicklung.

Zustimmung von österreichischer Seite gibt es zum Vorhaben, mindestens ein Viertel der Finanzmittel für die Erreichung der Klimaziele einzusetzen. Ausgaben im Bereich Kernenergie sollen allerdings nicht darunterfallen. Auch ein Verordnungsvorschlag zur Möglichkeit der Suspendierung von Förderungen bei generellen Rechtsstaatlichkeitsmängeln wird unterstützt.

Bedrohungen durch Cyberattacken und Desinformation

Weiter beschäftigen werden die Union 2020 auch die Themen "hybride Bedrohungen" durch staatliche und nichtstaatliche Akteure, Cybersecurity und Desinformation. Es sei notwendig, koordiniert gegen Destabilisierungsversuche vorzugehen, die darauf abzielen, das Vertrauen in staatliche Institutionen zu erschüttern und europäische Kernwerte in Frage zu stellen, wird dazu unter anderem im Bericht angemerkt. Der erste EU-weite Rechtsakt zum Thema Cybersicherheit wurde 2016 gesetzt, heuer will die EU-Kommission prüfen, inwieweit die Mitgliedstaaten die Vorgaben der sogenannten NIS-Richtlinie umgesetzt haben. Auch ein Legislativvorschlag zur robusteren Ausgestaltung des digitalen Finanzsektors gegen Cyber-Attacken sowie die Einrichtung eines Europäischen Kompetenzzentrums für Cybersicherheit in Industrie, Technologie und Forschung sind geplant.

Kroatien will neuen Schwung in den EU-Erweiterungsprozess bringen

Mit dem EU-Westbalkan-Gipfel am 6./7. Mai in Zagreb will Kroatien nicht zuletzt neuen Schwung in den EU-Erweiterungsprozess bringen. Insbesondere geht es um die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien. Eine Einigung darüber war zuletzt mehrfach gescheitert, nun dürfte es allerdings doch einen Konsens geben. Weiter warten heißt es hingegen auf den Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und die seit langem verhandelte Verankerung eines Untersuchungsrechts des Europäischen Parlaments, die nach wie vor ausständig sind.

Angesprochen werden im Bericht schließlich auch die Weiterentwicklung des so genannten Europäischen Semesters, das der wirtschaftspolitischen Koordinierung zwischen den EU-Mitgliedstaaten dient, die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, die Ausweitung der Transparenz im EU-Gesetzgebungsprozess und die Erarbeitung einer innerstaatlichen Strategie zur Verhütung und Bekämpfung von Antisemitismus. Im Bereich der Rechtsstaatlichkeit erwarten sich Kurz und Edtstadler, dass die laufenden Verfahren zu Ungarn und Polen nach Artikel 7 EUV fortgesetzt werden. (Schluss) gs