Parlamentskorrespondenz Nr. 335 vom 22.04.2020

Nationalrat: NEOS für mehr Transparenz und Information in der Corona-Krise

Regierungsfraktionen verweisen auf evidenzbasierte Maßnahmen und umfassende Kommunikation auf allen Kanälen

Wien (PK) – Als ein Beispiel für die schrittweise "Rückkehr zur parlamentarischen Normalität" bezeichnete Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka die Abhaltung der Aktuellen Stunde zu Beginn der heutigen Sitzung. Die Themenauswahl oblag dieses Mal den NEOS, die in Bezug auf die Corona-Krise unter dem Titel "Wer nichts weiß, muss alles glauben" mehr Transparenz und Information vor allem von Seiten des Bundeskanzlers einforderten. In der nun beginnenden zweiten Phase müsse gewissenhaft, transparent und rechtsstaatlich agiert werden, betonte Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger, die dabei auch die wichtige Rolle des Parlaments als Kontrollorgan hervorhob. Es könne nicht sein, dass die Regierung 38 Mrd. € vergibt, ohne dass das Hohe Haus eingebunden werde, unterstrich auch SPÖ-Abgeordneter Jörg Leichtfried. Seine Partei werde daher gemeinsam mit den anderen Oppositionsparteien einen Initiativantrag für die Einsetzung eines Corona-Ausschusses einbringen, kündigte er an. Bundeskanzler Sebastian Kurz verwies auf die zahlreichen Informationsoffensiven der Regierung und gab zu bedenken, dass es nicht die eine Wahrheit geben könne. Grundlage für die Entscheidungen sei ein Mix an Kriterien, die offen kommuniziert werden.

An der Nationalratssitzung konnten heute grundsätzlich wieder alle Abgeordneten teilnehmen. Um das Ansteckungsrisiko mit dem Coronavirus zu minimieren, nahm ein Teil der MandatarInnen jedoch wieder auf der Besuchergalerie Platz. Die Abstimmungen erfolgen geblockt am Ende der Tagesordnung. Auch sonst bleiben alle Vorkehrungen zur Verringerung der Ansteckungsgefahr aufrecht.

NEOS: Fakten, Strategien und Entscheidungsgrundlagen transparent auf den Tisch legen

Nachdem sich die Menschen in Österreich in den vergangenen Wochen gut an die Anweisungen zur physischen Distanzierung gehalten haben, können nun wieder Schritte in Richtung mehr Freiheiten gemacht werden, war NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger überzeugt. In dieser neuen Phase, die von einem ständigen Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit geprägt sein werde, gehe es ihr nicht darum, zurückzublicken und zu bewerten; dies sei der falsche Zeitpunkt. Um aber gut aus der Krise herauszukommen, müsse nach Ansicht von Meinl-Reisinger eine Balance zwischen den Anforderungen der Gesundheit, der Gesellschaft und der Wirtschaft erreicht werden. Zu Beginn der Corona-Krise habe das Hohe Haus der Regierung sehr viel Macht in die Hände gelegt, da schnell gehandelt werden musste. Jetzt trete man aber in eine neue Phase ein, in der das Parlament seine Kontrollfunktion wahrnehmen müsse, unterstrich die NEOS-Chefin.

Ihre Fraktion habe sich immer dafür ausgesprochen, dass die Einschränkungen der persönlichen Freiheit nicht per Verordnung oder Erlass erfolgen sollten, sondern im Hauptausschuss diskutiert werden müssen. Dies sei nun in der zweiten Phase unabdingbar, alle Fakten und Entscheidungsgrundlagen müssten transparent auf den Tisch gelegt werden. Denn wer nichts weiß, müsse alles glauben, bekräftigte Meinl-Reisinger, die vor allem mehr Informationen in den Bereichen Gesundheit, Arbeitsmarkt, Wirtschaft und Bildung einforderte. Sie erwarte sich etwa von der Regierung, dass die Abgeordneten wöchentlich über die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen oder die Zahl der Insolvenzen informiert werden. Außerdem sollte es selbstverständlich sein, dass das Parlament die Verwendung der Hilfsgelder in der Höhe von 38 Mrd. € kontrollieren könne. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um endlich den Antrag der NEOS betreffend ein Informationsfreiheitsgesetz zu unterstützen, damit das "Bittstellertum" ein Ende habe.

Abgeordneter Gerald Loacker (NEOS) bemängelte vor allem, dass die letzten fünf Wochen nicht dazu genutzt wurden, um eine entsprechende Datenbasis zu gewinnen. So gebe es etwa keine Informationen darüber, wie alt die im Spital aufgenommenen Covid-19-PatientInnen sind, welche Vorerkrankungen sie haben oder wie viele von ihnen vorher in einem Alters- oder Pflegeheim gelebt haben. In der nun startenden zweiten Phase wäre es zudem sehr wichtig, eine systematische Teststrategie einzuleiten, um neue Infektionsherde sofort erkennen zu können. Stattdessen setze die Regierung auf "Show" und "Entertainment". Martina Künsberg Sarre (NEOS) bedauerte wiederum, dass die Bedürfnisse der Kindergarten- und Schulkinder offenbar keine Priorität haben. Nach fast sechs Wochen gebe es noch immer keinen verlässlichen Plan und keine Perspektive, wie es in Zukunft weitergehen soll.

Kurz: So viel Freiheit wie möglich, so viel Einschränkung wie notwendig

Österreich sei besser durch die globale Corona-Krise gekommen als viele andere Länder, erklärte Bundeskanzler Sebastian Kurz, da vor allem der Zusammenbruch des Gesundheitssystems verhindert werden konnte. Sein Dank gelte daher der österreichischen Bevölkerung, die in einem hohen Ausmaß dazu beigetragen hat, dass viele Leben gerettet werden konnten. Nun beginne die Phase 2, in der versucht werde, wieder ein Stück weit mehr Normalität einkehren zu lassen. Der wirkliche Durchbruch werde aber erst dann gelingen, wenn es einen Impfstoff oder ein Medikament gibt, dämpfte Kurz voreilige Hoffnungen. Bis dahin müsse man daher bestmöglich mit dem Virus bzw. trotz des Virus leben. Das Motto sei dabei klar: "So viel Freiheit wie möglich, so viel Einschränkung wie notwendig". Bei der weiteren Vorgehensweise lege man nicht nur Wert auf die Einbeziehung von namhaften ExpertInnen und den BehördenvertreterInnen in den Bundesländern, sondern auch auf den internationalen Austausch mit Ländern wie Südkorea, Japan, China oder Israel. Grundlage für Entscheidungen könne daher nicht eine einzelne Zahl sein, sondern ein Mix an Kriterien, gab Kurz in Richtung von Meinl-Reisinger zu bedenken. Das primäre Ziel müsse es sein, dass Österreich wirtschaftlich besser durch die Krise kommt als andere Länder. Er sei sehr froh darüber, dass es in den letzten Wochen gelungen sei, gemeinsam mit den Oppositionsparteien harte und rasche Entscheidungen zu fällen; dieser Weg sollte weiter beschritten werden.

ÖVP verweist auf rasches und umsichtiges Handeln der Bundesregierung

ÖVP-Klubobmann August Wöginger bezeichnete den Titel der Aktuellen Stunde als völlig unangebracht, da er dem Ernst der Lage nicht gerecht werde. Die Mitglieder der Bundesregierung informierten nicht nur täglich die Bevölkerung, sondern sie stünden auch in einem intensiven und regelmäßigen Kontakt mit den VertreterInnen der Opposition. Außerdem sollte man anerkennen, dass Österreich im internationalen Vergleich zu jenen Ländern gehöre, in denen sich die Krankheitszahlen am besten entwickeln. Die Disziplin der Bevölkerung habe dazu geführt, dass viele Menschenleben gerettet werden konnten, war Wöginger überzeugt. Da man die Zahlen aber sehr genau beobachten müsse, können die Geschäfte, Lokale und Schulen nur schrittweise und behutsam wieder geöffnet werden. Auch Gabriela Schwarz (ÖVP) verteidigte die Informationspolitik der Bundesregierung, die nicht nur umfassend und transparent sei, sondern auch regelmäßig konkrete Fahrpläne beinhalte. So werde es am kommenden Freitag wieder eine Pressekonferenz geben, in der es um die schrittweise Öffnung der Schulen gehen wird.

SPÖ wirft Regierung Zaudern vor und drängt auf Erhöhung des Arbeitslosengeldes

Angesichts einer Situation, die es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat, sei es nur nachvollziehbar, dass Menschen Ängste um ihre Gesundheit, um ihre Existenz und um ihre persönliche Freiheit haben, konstatierte SPÖ-Abgeordneter Jörg Leichtfried. Aus diesem Grund habe seine Fraktion die Maßnahmen mitgetragen, weil man davon ausgegangen sei, dass sie auf wissenschaftlicher Basis entwickelt wurden. Schön langsam gewinne man aber den Eindruck, dass nicht nur evidenzbasierte Fakten die Grundlage für die politischen Entscheidungen bilden, merkte Leichtfried an. Wenn jene, "die gut darin sind, Berggipfel wegzusprengen, damit die Seilbahnen wieder fahren können", langsam den Kurs der Regierung wieder vorgeben, dann gebe es massiven Widerstand von Seiten der SPÖ. Besondere Sorge bereitet Leichtfried die Tatsache, dass mittlerweile schon 600.000 Menschen arbeitslos sind und sich 900.000 Personen in Kurzarbeit befinden. Auch wenn die Regierung zögere und zaudere, werde seine Partei nicht ruhen, bis es endlich einen finanziellen Ausgleich für die am meisten Betroffenen gibt. Vor allem müsse das Arbeitslosengeld erhöht werden, lautete seine zentrale Forderung. Nach der Krise werde man zudem genau darauf achten, dass nicht die HeldInnen der Krise für die Folgen zahlen werden, sondern jene, die noch immer Dividenden auszahlen und sich Boni zuschanzen.

Auch Abgeordnete Andrea Kuntzl (SPÖ) appellierte an alle Fraktionen, dabei mitzuhelfen, die absehbare soziale Krise so gut wie möglich abzuschwächen und zu verhindern. All jene, die das Land in den letzten Wochen aufrecht erhalten haben, haben sich "den Corona-Tausender wahrlich verdient!". Gleichzeitig sprach sich Kuntzl für einen Solidarbeitrag von Millionären und von jenen Konzernen aus, die von der Krise profitieren.

FPÖ übt Kritik an fehlender Strategie der Regierung und der Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte

Abgeordnete Dagmar Belakowitsch (FPÖ) kritisierte die Wortmeldung des Bundeskanzlers, da es wieder einmal eine "Antwort ohne Inhalt" war. Man wisse noch immer nicht, welche ExpertInnen einbezogen und auf welcher Basis die Berechnungen durchgeführt wurden. Außerdem könne sie der Regierung nicht den Vorwurf ersparen, selbst zum Schüren der Ängste beigetragen zu haben. Als Beispiel erinnerte sie an ein Statement des Kanzlers vor einigen Wochen, in der von hunderttausend Toten und Massengräbern die Rede war. Seit gestern sei aber wieder alles anders, denn nun könne langsam alles wieder geöffnet werden. Dies zeuge davon, dass einfach kein Plan dahinter stehe, sondern immer wieder Sachen ausprobiert werden. Gleichzeitig würden von der Polizei unbescholtene BürgerInnen bestraft, die mit ihren Kindern im Park Ball spielen. Kritik übte Belakowitsch auch daran, dass die ÖVP-MandatarInnen Großbauer und Singer, die nach dem Ende ihrer Corona-Erkrankung nun immun sind und niemanden anstecken können, heute im Plenum Masken tragen; dies sei eine Maskerade. Abgeordneter Michael Schnedlitz (FPÖ) war der Meinung, dass die Maßnahmen der Regierung sehr viele "wirtschaftliche und soziale Opfer" produziert haben. Bis heute habe man die Grundlagen für die getroffenen Entscheidungen aber nicht auf den Tisch gelegt.

Grüne heben umfassende Information durch das Gesundheitsministerium hervor

Abgeordneter Ralph Schallmeiner (Grüne) war der Meinung, dass man am Beispiel des Gesundheitsressorts erkennen könne, wie eine umfassende und transparente Informationspolitik ausschauen müsse. Minister Anschober stehe etwa jeden Tag für eine digitale Sprechstunde zur Verfügung, in der die BürgerInnen ihre Fragen stellen können. Auch mit den GesundheitssprecherInnen der einzelnen Parteien werde im Rahmen von Videokonferenzen ein ständiger Austausch gepflogen. Weiters werde die Bevölkerung in regelmäßigen Updates über die aktuellen Entwicklungen und über die jeweiligen Maßnahmen, die alle evidenzbasiert seien, informiert. Positiv bewertete Schallmeiner auch den Umgang mit Fehlern, die in einer so herausfordernden Situation auch einmal passieren können. Gegenüber den RednerInnen der Opposition wies er noch darauf hin, dass viele Daten auf den Websites der einzelnen Institutionen, wie zum Beispiel Wirtschaftskammer, AMS etc., einfach abrufbar sind. Auf der Homepage des Ministeriums finde man zudem auch die Namen all jener Personen, die im Beraterstab der Bundesregierung sitzen. Sein Fraktionskollege Süleyman Zorba, der sich den Ausführungen von Schallmeiner anschloss, sprach von einem Kulturwandel in Sachen Transparenz, durch den das Vertrauen der Bevölkerung in Politik gesteigert werden könne. (Fortsetzung Nationalrat) sue

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Live-Stream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.