Parlamentskorrespondenz Nr. 624 vom 16.06.2020

Wissenschaft und Politik im Gespräch über "COVID-19: Lehren für die Zukunft"

Mathematische Modelle, Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Mensch und Gesellschaft im Mittelpunkt einer Diskussion im Parlament

Wien (PK) – ExpertInnen aus den verschiedensten Fachgebieten diskutierten heute im Palais Epstein mit Abgeordneten Lehren aus der COVID-19-Krise in der Dialogreihe "Wissenschaft und Politik", die 2018 vom Parlament und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ins Leben gerufen worden ist. Erörtert wurden nicht nur die Bereiche Medizin und Life Sciences, sondern auch die Anwendung von mathematischen Modellen im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Coronavirus, der Einsatz von künstlicher Intelligenz, die Auswirkungen der Pandemie auf Mensch und Gesellschaft sowie auf die Volks- und Geldwirtschaft. Für die Fortsetzung der Partnerschaft zwischen Wissenschaft und Politik sprach sich Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka aus.

Bei den Gesprächen am Vormittag über das Thema "COVID-19: Lehren für die Zukunft" wurden zahlreiche interessante Aspekte angesprochen, die für die Politik relevant seien, urteilte Sobotka. Als Beispiele führte er die Frage der Überbrückung von Liquiditätsengpässen aus wirtschaftlicher Sicht oder die Definition des Begriffs kritische Infrastruktur an. Auch der Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Anton Zeilinger freute sich über die Fortführung dieses multidisziplinären Formats, das vor allem dazu beitrage, dass sich alle Beteiligten besser kennenlernen. Inhaltlich stand für ihn vor allem im Vordergrund, was man aus der Corona-Pandemie für ähnliche zukünftige Situationen lernen könne, zumal auch die Klimakrise bewältigt werden müsse.  

Für eine Bündelung des Expertenwissens und eine zentrale Anlaufstelle in Sachen Pandemie setzte sich Sylvia Knapp, Professorin für Infektionsbiologie an der Medizinischen Universität Wien, ein. Außerdem hätten die Erfahrungen mit der Corona-Krise gezeigt, dass das Datenmanagement verbessert und insbesondere der Zugang zu Informationen über klinische Verläufe von PatientInnen erleichtert werden sollte. Normen müssten nicht nur klar, maßhaltend und schlüssig gestaltet sein, sondern auch korrekt kommuniziert werden, betonte Magdalena Pöschl vom Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien. Außerdem sprach sie sich für eine Ausbau des Rechtsschutzes bei kurzfristig geltenden Normen aus. Auch Martin Posch (Medizinische Universität Wien), der seine Expertise für mathematische Modellrechnungen einbrachte, plädierte im Sinne der Forschung für einen besseren Zugang zu Daten. Nach Auffassung von Sigrid Stagl (Leiterin des Institute for Ecological Economics der Wirtschaftsuniversität Wien) brauche es nun Konjunkturpakete, die den Herausforderungen der Klimakrise gerecht werden.

Burgmann, Knapp und Müller zu Medizin und Life Sciences

Heinz Burgmann, Leiter der klinischen Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin an der Universität Wien, Sylvia Knapp, Professorin für Infektionsbiologie am Labor der Medizinischen Universität Wien und der Rektor der Medizinischen Universität Wien, Markus Müller, diskutierten Fragen zum Themenkreis Medizin und Life Sciences. Die Erfahrungen der ersten COVID-19-Welle machten deutlich, dass die fehlende Digitalisierung – vor allem in Hinblick auf Patientendaten - eine Schwachstelle war; es gab zu viel auf Papier. Ebenso sollte eine bessere Vorbereitung und das Sprechen mit einer Stimme, auch europaweit, bedacht werden. Positiv bewertet wurde abschließend, dass der Glaube an die Wissenschaft relativ hoch sei und dass es nun gelte, diesen Effekt für die Zukunft zu nutzen. Binnen kurzer Zeit erschien eine Fülle von Publikationen zu COVID-19. Sinn machen würde es nach Meinung der ExpertInnen auch, wenn es in Zukunft eine Anlaufstelle für die Bevölkerung und für PolitikerInnen im Falle von Epidemien gäbe.

Mathias Beiglböck und Martin Posch zu mathematischen Modelle zur Ausbreitung des Coronavirus, Einsatz von künstlicher Intelligenz

Mathias Beiglböck vom Institut für Mathematik und Martin Posch vom Zentrum für Medizinische Statistik, Informatik und Intelligente Systeme der Medizinischen Universität Wien betonten, dass hinsichtlich der Vertiefbarkeit von Daten in Österreich noch Aufholbedarf bestehe. Ebenso müssten die Daten für die Forschung zur Verfügung stehen und hinsichtlich Epidemien müsste Contact-Tracing neu bewertet werden. Die Wissenschaftler wiesen darauf hin, dass die Sterbefallzahlen zu COVID-19 weltweit nicht standardisiert waren und somit auch nicht miteinander vergleichbar gewesen seien.

Claus Lamm und Magdalena Pöschl zu Auswirkungen auf Mensch und Gesellschaft

Die Auswirkungen auf Mensch und Gesellschaft wurden durchaus kontroversiell diskutiert. Claus Lamm vom Institut für Psychologie der Kognition, Emotion und Methoden der Universität Wien und Magdalena Pöschl vom Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien betonten, dass Österreich hinsichtlich der Bewältigung der COVID-19-Krise durchaus gut da stehen würde, da ein Zusammenbruch des medizinischen Systems verhindert werden konnte. Dennoch sollte hinterfragt werden, so die ExpertInnen, ob der Weg zum Ziel gut war. Herauskristallisiert hatte sich, dass die Kommunikation und die Klarheit von Normen einen entscheidenden Punkt darstellten. Sachverstand, das Sichtbarmachen von Graustufen und Diversität könnten hier hilfreich sein. Die während der COVID-19-Krise gemachten Erfahrungen seien auch für andere Krisen wie etwa die Klimakrise brauchbar, so einstimmige Meinung der DiskutantInnen.

Sigrid Stagl und Josef Zechner zu Auswirkungen auf Volks- und Geldwirtschaft

Wie sollte die Wirtschaft bei Krisen organisiert sein? Das war eine der zentralen Fragestellungen beim Themenbereich "Auswirkungen auf Volks- und Geldwirtschaft". Die Leiterin des Institute for Ecological Economics der Wirtschaftsuniversität Wien, Sigrid Stagl und Josef Zechner vom Institute for Finance, Banking und Insurance der Wirtschaftsuniversität Wien waren sich einig, dass die Antwort darauf Resilienz lautet, also die Fähigkeit des Systems, sich nach Krisen wieder selbst zu organisieren. Ebenso entscheidend ist für Firmen die Stärkung des Eigenkapitals. Es wurde im Zuge der Krise viel von "Selbstversorgern" gesprochen – doch was das wirklich bedeute, dazu gebe es wenig Forschung, so die WissenschaftlerInnen. Denn eines sei klar: "Schnell und billig" – das funktioniere bei Krisen nicht. Welche Strukturen brauche es, um im Krisenfall gut aufgestellt zu sein? Ein Ziel für die Wirtschaft der Zukunft müsse es jedenfalls sein, die Umweltauswirkungen zu reduzieren. (Schluss) sue/ibe

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