Parlamentskorrespondenz Nr. 986 vom 05.10.2020

Behindertenanwaltschaft sieht Erfolge, aber auch ungelöste Probleme

Schwerpunkte bei Themen zu Bildung, Arbeit, Barrierefreiheit und Wohnen

Wien (PK) – Das Sozialministerium hat den Tätigkeitsbericht des Anwalts für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderungen für das Jahr 2019 (III-171 d.B.) vorgelegt. Im Berichtsjahr haben sich in 646 Fällen Menschen mit Behinderungen, deren Angehörige, Selbsthilfegruppen oder Interessenvertretungen an die Behindertenanwaltschaft gewandt. Die Kontaktaufnahme erfolgte aus verschiedensten Gründen, wobei sich aus dem breiten Spektrum die Themen Bildung, Arbeit, Barrierefreiheit und Wohnen als Schwerpunkte ausmachen ließen. Zusätzlich erfolgten im Berichtszeitraum 634 telefonische Beratungen, 44 Sprechtage in den Bundesländern sowie 122 Besprechungen mit Beratungscharakter in Wien. Ihre Funktion als Vertrauensperson in Schlichtungsverfahren nahm die Institution in 31 Fällen wahr. Der seit 2017 als Anwalt für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderungen tätige Hansjörg Hofer ruft im Bericht in Erinnerung, dass 1,4 Mio. Personen in Österreich der Bevölkerungsgruppe Menschen mit Behinderungen angehören, was sich in der öffentlichen Aufmerksamkeit nicht immer so widerspiegle.

Anpassung des Pflegegeldes und höhere Steuerfreibeträge als Erfolge

Hofer berichtet in seinem Vorwort von einer Reihe an Forderungen die im freien Spiel der Kräfte im Nationalrat 2019 zugunsten von Menschen mit Behinderungen umgesetzt werden konnten. Dies umfasst die jährliche Anpassung des Pflegegeldes analog zu den Pensionen ebenso wie die Anhebung der behinderungsbedingten Steuerfreibeträge, die seit 1988 nicht mehr an die Inflationsrate angepasst wurden. Als weitere Erfolge verbucht Hofer im Bericht die Abschaffung der Normverbrauchsabgabe für Menschen mit Behinderungen, denen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar ist. Außerdem wurde eine Evaluierung der Persönlichen Assistenz für Menschen mit Behinderungen im beruflichen und schulischen Kontext beschlossen, ist dem Bericht zu entnehmen.

Neben der Informations- und Beratungstätigkeit gibt der Bericht auch Einblick in die weiteren Aufgaben des Behindertenanwalts, wie etwa die Vernetzungsarbeit mit dem Sozialministerium, den Behindertenvertrauenspersonen, NGOs sowie mit weiteren nationalen und internationalen Organisationen.

Fallbeschreibungen zu Arbeit, Bildung und Diskriminierung im täglichen Lebensbereich

Der Bericht beschreibt ausführlich exemplarische Fälle in den Bereichen Arbeitswelt, Bildung und Diskriminierung in täglichen Lebensbereichen. Im Bereich Arbeit betrafen die Diskriminierungen Begründungen oder Beendigungen von Dienstverhältnissen, Weiterbildungsmaßnahmen und konkreten Arbeitsbedingungen. Im Falle von Kündigungen konnte meistens keine Wiedereinstellung erreicht werden, obwohl Erfolge im Bereich der Abfertigungen erzielt wurden, zeigt der Bericht. Auf eine nicht zufriedenstellende Rechtsunsicherheit verweist die Behindertenanwaltschaft im Bereich der Persönlichen Assistenz. Während die Assistenz am Arbeitsplatz durch Bundeskompetenz einheitlich geregelt ist, sei jene in der Freizeit in den Ländern sehr unterschiedlich geregelt. Dies führte in einem Fall zu hohen Nachforderungen bei einer Betroffenen, der laut Bericht zu untragbaren Schwierigkeiten durch die unterschiedlichen Zuständigkeiten führte.

Forderungen für die Bereiche Bildung, Barrierefreiheit und Sozialrecht

Der Bericht schließt mit konkreten Empfehlungen und Anregungen die sich bereits teilweise schon in vergangenen Berichten fanden, aber bis zum Jahr 2019 noch nicht oder nicht zur Gänze umgesetzt werden konnten. Diese betreffen etwa die Bereiche Behindertengleichstellungrecht, Arbeit, Bildung, Barrierefreiheit, Gesundheit, Soziales, Strafrecht und Straßenverkehr.

So fordert die Behindertenanwaltschaft eine stärkere Einbindung von Menschen mit Behinderungen bei Regelungen und Entscheidungen, die sie betreffen, Sensibilisierungskampagnen zum Abbau von Klischees und Vorurteilen sowie besseres Datenmaterial über Menschen mit Behinderungen. Weiters sollen die inklusive Kinderbetreuung für Einjährige ausgebaut werden und die Ressourcen für den sonderpädagogischen Förderbedarf an den tatsächlichen Bedarf angepasst werden. Gefordert wird auch die flächendeckende Verwendung "leichter Sprache" im Gesundheitssystem. Bezüglich Barrierefreiheit sollen die Wohnbauförderungen nur bei barrierefreien Umsetzungen ausgeschüttet werden. Ebenfalls nicht neu ist die Forderung, die Familienbeihilfe und das Pflegegeld nicht auf andere Sozialleistungen als Einkommen anzurechnen. Bessere finanzielle Unterstützung soll außerdem den pflegenden Angehörigen zugesprochen werden. Auch sollen die Heilverfahren der Sozialversicherungsträger für Menschen mit psychischer und Lernbehinderung offen stehen. Eine Änderungen im Strafrecht würde der Vorschlag nach einer geänderten Regelung des Schwangerschaftsspätabbruchs bedeuten. Zwar solle nach Vorstellung der Behindertenanwaltschaft die allgemeine Fristenlösung beibehalten werden, aber embryopathische Indikationen gestrichen und die Unterstützung für Familien mit Kindern mit Behinderungen ausgebaut werden. Im Bereich des Straßenverkehrs umfassen die Vorschläge, die Gebühren für die Führerscheinverlängerungen entfallen zu lassen und die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen bei E-Autos und autonomen Fahrzeugen stärker zu berücksichtigen.

Einzelne Forderungen im Bericht wurden inzwischen in einer Entschließung des Nationalrats behandelt. Dazu zählt die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erst nach einer längeren Arbeitsphase, die Einrichtung eines Inklusionsfonds, Tätigkeiten im Rahmen einer Beschäftigungstherapie in die gesetzliche Kranken- und Pensionsversicherung einzubeziehen und die Persönliche Assistenz bundeseinheitlich zu regeln. (Schluss) gun