Parlamentskorrespondenz Nr. 1129 vom 05.11.2020

Nationalratssitzung nach dem Terroranschlag in Wien: Regierung ruft zu Einigkeit auf

Abgeordnete fordern Aufklärung, keine Mehrheit für Misstrauensantrag der FPÖ gegen Innenminister Nehammer

Wien (PK) – Der Appell, die Gesellschaft nicht zu spalten und mit allen rechtsstaatlichen Mitteln gemeinsam und entschlossen gegen die Feinde der liberalen pluralistischen Demokratie vorzugehen, zog sich heute wie ein roter Faden durch die Erklärungen von Bundeskanzler Sebastian Kurz, Vizekanzler Werner Kogler, Innenminister Karl Nehammer und Justizministerin Alma Zadic in der Sondersitzung des Nationalrats in Reaktion auf den Terroranschlag vom 2. November in der Wiener Innenstadt.

Der Bundeskanzler und der Vizekanzler hoben die Notwendigkeit einer lückenlosen Aufklärung und einer intensiveren internationalen Zusammenarbeit gegen den Terror hervor. Keinesfalls dürfe man jedoch voreilige Schlüsse ziehen, warnten sie.

Einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung erwarten sich sowohl die Regierung als auch viele Abgeordnete von der vom Innen- und vom Justizministerium geplanten Untersuchungskommission. Dazu wurde mit den Stimmen der Koalitionsparteien auch eine Entschließung gefasst. Die Regierung wird demnach ersucht, die Unabhängigkeit der Kommission sicherzustellen und dem Nationalrat umgehend nach Fertigstellung einen vollständigen Bericht über sämtliche Empfehlungen zu übermitteln. Auch die Erarbeitung eines Maßnahmenpakets zur verstärkten Prävention und Abwehr von Terrorismus und Extremismus ist ÖVP und Grünen ein Anliegen.

Keine Mehrheit erhielt hingegen ein Misstrauensantrag der FPÖ gegen Innenminister Karl Nehammer. Er wurde lediglich von der SPÖ mitunterstützt. Das Attentat hätte verhindert werden können, sind FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl und seine FraktionskollegInnen überzeugt. Auch SPÖ und NEOS pochen auf eine volle Aufklärung, was mögliche Fehler im Vorfeld des Attentats betrifft.

Allgemein wurde den Einsatzkräften, die, wie Bundeskanzler Kurz sagte, unter Einsatz ihres eigenen Lebens über sich hinausgewachsen seien, besondere Anerkennung gezollt, sowie auch all jenen Privatpersonen, die ebenfalls teils unter lebensbedrohlichen Umständen Verletzten geholfen und Menschen in Sicherheit gebracht haben. Es sei dieser Geist des Zusammenhalts, mit dem man Krisen bewältigen könne, betonte Kogler. Den Opfern und Angehörigen sprachen die Mitglieder der Bundesregierung und die Abgeordneten ihr tiefstes Mitgefühl aus.

Kurz: Den Feinden der Freiheit und der dahinter stehenden Ideologie mit entschlossenem Handeln begegnen

Dem Extremismus, den Feinden der Freiheit und der dahinter stehenden Ideologie müsse man sich mit einem raschen und konsequenten Handeln entgegenstellen, unterstrich Bundeskanzler Sebastian Kurz, der von einem unverständlichen Hass der Terroristen auf die westliche Gesellschaft, ihre Freiheit und Demokratie sprach. Kurz warnte davor, einen Konflikt zwischen Christen und Muslimen, zwischen ÖsterreicherInnen und MigrantInnen heraufzubeschwören. Das sei nicht die Trennlinie, so der Kanzler. Diese liege vielmehr zwischen all jenen, die Frieden wollen - welcher Herkunft und Religion auch immer sie angehören -, und jenen "Barbaren", die Krieg und Gewalt wollen.

Kurz skizzierte drei Linien als vordringlich: Volle Aufklärung, Prävention und stärkere internationale Zusammenarbeit. Man müsse untersuchen, wie der Täter radikalisiert wurde, welche Unterstützer er hatte, welche Netzwerke die Tat positiv sehen und Gesinnungstäter im Geiste seien. All jene, die solche Taten verüben, unterstützen oder sie begrüßen, "sind Feinde unserer freien Gesellschaft", so Kurz.

Man dürfe es auch nicht zulassen, dass es auf österreichischem Boden Parallelgesellschaften gibt, die die Republik hassen und sich aktiv gegen die Verfassung stellen, sagte Kurz. Er forderte daher einen neuen Umgang mit sogenannten Gefährdern, da die Behörden nicht immer über die rechtlichen Mittel verfügten, um Gefährder zu überwachen und zu sanktionieren. Kurz äußerte dabei abermals sein Unverständnis für die vorzeitige Entlassung des Attentäters, der sich dann unbehelligt bewegen konnte. Er begrüßte daher die von der Justizministerin und vom Innenminister angekündigten Gespräche darüber, wie man das System verbessern könne. Zugleich unterstrich er die Notwendigkeit der Reform, Stärkung und internationalen Rehabilitation des BVT, das in den letzten Jahren "massiven Schaden" erlitten habe. Auch die Dokumentationsstelle politischer Islam müsse eine wichtige Rolle dabei spielen, extremistische Vereine aufzuspüren und diese in Zusammenarbeit mit den Sicherheitskräften aufzulösen.

Ebenso misst der Bundeskanzler der internationalen Zusammenarbeit und einem geschlossenen und gemeinsamen Vorgehen gegen die Feinde des österreichischen Lebensmodells besondere Bedeutung bei. Er sprach dabei die illegale Einreise an sowie die Frage, wie man mit zurückgekehrten IS-Sympathisanten, die in Haft sind und bald entlassen werden, umgehen soll. Sie alle seien eine tickende Zeitbombe, sagte Kurz. Bereits in der nächsten Woche werde es auf europäischer Ebene Gespräche geben, mit dem Ziel einer Allianz gegen den Terrorismus. 

Kogler: Konsequente, entschlossene aber auch besonnene Aufarbeitung der Geschehnisse

"Wir lassen uns nicht von gewaltverherrlichenden Ideologien von unserem Weg des Friedens und der Freiheit und von unseren Grundwerten abbringen", bekräftigte Vizekanzler Werner Kogler in seiner Erklärung und zeigte sich überzeugt davon, dass diese Werte ein unerschütterliches Fundament der österreichischen Gesellschaft darstellen. Es werde gelingen, die Grund- und Freiheitsrechte zu verteidigen. Die beste Reaktion und stärkste Absage an den Terror sei entschlossenes Handeln gegen extremistische und gewaltverherrlichende Ideologien.

Auch Kogler sicherte eine konsequente, entschlossene aber auch besonnene Aufarbeitung der Geschehnisse zu, denn es gebe "gar nichts", was den Anschlag rechtfertigen oder auch nur relativieren könne. Es gehe um eine Aufarbeitung und auch darum, zu lernen, wenn Fehler passiert sind, sagte er und warnte gleichzeitig vor voreiligen Schuldzuweisungen. Keinesfalls dürfe man in die Falle der Extremisten tappen, die darauf abzielten, die demokratischen Grundrechte und Grundwerte auszuhöhlen, unterstrich der Vizekanzler. In diesem Sinne begrüßte auch er die angekündigte unabhängige Untersuchungskommission, die den gesamten relevanten Zeitraum auch vor der Tat analysieren werde. Daraus müssten dann Konsequenzen gezogen werden, sagte er.

Kogler unterstrich die notwendige Entschlossenheit im Kampf gegen den Terrorismus und forderte zusätzliche Ressourcen und Reformen. Dies bezog sich vor allem auch auf das BVT, das einen Neustart brauche. Notwendig ist laut Kogler eine funktionierende, rechtsstaatliche Terrorismusabwehr, die für Überwachung und schnelles Eingreifen sorgt, aber auch für eine klare und umgehende Informationsweitergabe an die Justiz. 

Nehammer: Schwerster Terroranschlag in der Geschichte Österreichs

Vom "schwersten Terroranschlag in der Geschichte Österreichs" sprach Innenminister Karl Nehammer. Das beherzte und professionelle Eingreifen der Polizei und der Rettungskräfte habe aber noch Schlimmeres verhindern können, bekräftigte er. Es sei den PolizistInnen gelungen, den Täter nach nur neun Minuten auszuschalten. Insgesamt waren ihm zufolge 1.000 ExekutivbeamtInnen im Einsatz. Ausdrücklich bedankte sich Nehammer auch bei der Bevölkerung, die mit der Bereitstellung von Videomaterial die Polizeiarbeit unterstützt habe.

Schon wenige Stunden nach dem Attentat seien zahlreiche Hausdurchsuchungen erfolgt, schilderte der Innenminister. Dabei habe es auch 15 Festnahmen gegeben. Die Betroffenen seien mittlerweile an die Justiz überstellt worden. Auch in der Schweiz sei es zu zwei Festnahmen gekommen. Es habe sich rasch herausgestellt, dass der Täter Anhänger des IS gewesen sei und Kontakte zum IS hatte, so Nehammer, nun müsse man mögliche Netzwerke und weitere Verbindungen prüfen.

Was die geplante gemeinsame Untersuchungskommission des Innenministeriums und des Justizministeriums betrifft, bekannte sich Nehammer ausdrücklich zu "voller Transparenz" von Seiten seines Ressorts. Man müsse "schonungslos hineinschauen", um herauszufinden, was im Vorfeld des Attentats nicht gut gelaufen sei. Zudem verwies er auf die laufende Reform des Verfassungsschutzes, bei der man gut unterwegs sei. Der Anschlag sei ein Anschlag auf die Demokratie gewesen, hielt Nehammer fest, "der Terror wird die Gesellschaft aber nicht auseinanderreißen und uns nicht spalten".

Zadić: Grundrechte und Freiheiten müssen weiter hochgehalten werden

Auf die Bedeutung des Zusammenhalts der Gesellschaft verwies auch Justizministerin Alma Zadić. "Bleiben Sie weiterhin für ihre Mitmenschen da, lassen Sie sich nicht spalten!", appellierte sie an die Bevölkerung. Auch wenn das Attentat Österreich in seinen Grundfesten erschüttert habe, gelte es den Rechtsstaat sowie Freiheiten und Grundrechte weiter hochzuhalten. Ausdrücklich bedankte sich Zadić auch bei allen "Helden und Heldinnen der Nacht", zu denen sie nicht nur die Einsatzkräfte, sondern etwa auch helfende PassantInnen und LokalbetreiberInnen zählt.

Auch wenn "alles, was wir jetzt sagen und tun" keine Wunden heilen könne, würden die Justiz und die Regierung alles daransetzen, um die Geschehnisse restlos aufzuklären und jene zur Rechenschaft zu ziehen, die hinter dem Attentat stehen, versicherte Zadić. Helfen soll dabei auch die angekündigte Untersuchungskommission. Es gehe darum, fundierte Lehren für die Zukunft zu ziehen, und nicht um Schuldzuweisungen, erklärte die Ministerin und bekräftigte, dass sowohl sie als auch Innenminister Nehammer "schonungslos an einer Aufklärung interessiert sind".

Was den Attentäter selbst betrifft, bestätigte Zadić, dass dieser aufgrund seiner Beteiligung am IS zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten verurteilt und nach Verbüßung von zwei Dritteln der Haftstrafe unter strengen Auflagen entlassen worden war. Es seien Bewährungshilfe und Kontrolle angeordnet worden. Nun gelte es, sich den Informationsfluss zwischen den Beteiligten und den Behörden anzuschauen.

Opposition fordert volle Aufklärung

Um die tragischen Ereignisse aufzuarbeiten und um Österreich vor weiteren Attentaten zu schützen, traten die VertreterInnen von ÖVP und Grünen vor allem für die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission sowie für eine Neuaufstellung und konsequente Reform des BVT ein. SPÖ-Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner betonte, dass es statt gegenseitiger Schuldzuweisungen jetzt eine ehrliche, offene und ernsthafte Aufklärung brauche, denn es stehe fest, dass "große Fehler passiert sind". Das Attentat hätte verhindert werden können, war die FPÖ überzeugt. Sie ortete ein furchtbares Versagen im Verantwortungsbereich von Innenminister Nehammer, dem der Rücktritt nahe gelegt wurde. Der von den Freiheitlichen eingebrachte Misstrauensantrag, der auch von der SPÖ unterstützt wurde, fand aber keine Mehrheit.

NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger zeigte sich betroffen darüber, dass noch innerhalb der dreitägigen Staatstrauer vonseiten des Bundeskanzlers als auch des Innenministers über die Medien Schuldzuweisungen gemacht werden. Sie sei aber froh, dass der Vorschlag der NEOS auf Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission aufgegriffen wurde. Bei der Bestellung des Leiters der Kommission erwartete sie sich eine Einbeziehung der Opposition, der zudem umfassende Akteneinsicht gewährt werden müsse.

Im Laufe der Debatte bedankten sich die RednerInnen aller Fraktionen ausdrücklich bei den Einsatzkräften und couragierten ZivilistInnen, die am Abend des zweiten November Außerordentliches geleistet haben. Das tiefste Mitgefühl gelte zudem den Angehörigen der Todesopfer und den zahlreichen verletzten Personen.

ÖVP: Entschiedenes Auftreten gegen politischen Islam und konsequente Reform des BVT

Der brutale islamistische Terrorakt in der Wiener Innenstadt vor zwei Tagen habe gezeigt, dass Österreich keine Insel der Seligen sei, stellte ÖVP-Klubobmann August Wöginger fest. Im Vordergrund stehe nun für ihn, welche Schlüsse aus diesem Terrorangriff gezogen werden. Da Österreich im europaweiten Vergleich einen der höchsten Anteile an IS-Gefährdern aufweise, müsse noch entschiedener gegen den politischen Islam vorgegangen, Netzwerke aufgedeckt und Hintermänner ausgehoben werden. Im Sinne des Prinzips "Wehret den Anfängen" müsse man genau hinschauen, wenn etwa "in unseren Kirchen Beichtstühle eingetreten werden". Die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission sei ausdrücklich zu begrüßen, da "möglicherweise auch Fehler in der Kommunikation" passiert sind. Er plädierte daher ebenso wie seine Fraktionskollegen Karl Mahrer und Wolfgang Gerstl für eine Neuaufstellung und konsequente Reform des Bundesamts für Verfassung und Terrorismusbekämpfung (BVT).

In einigen Bereichen müsste man sich auch überlegen, ob gesetzliche Anpassungen notwendig seien, führte Mahrer weiters aus. So stelle sich für ihn etwa die Frage, ob eine Entlassung auf Bewährung im Falle von Straftätern, die für Terrordelikte verurteilt wurden, das richtige Instrument sei. Als weitere kritische Punkte führten Mahrer sowie seine Fraktionskollegin Michaela Steinacker die Angebote für Deradikalisierung in Haftanstalten und im Rahmen der Bewährungshilfe, die Überwachung von Gefährdern oder die Bedingungen für die Aberkennung von Staatsbürgerschaften an. Ernst Gödl (ÖVP) sprach das Problem der Parallelgesellschaften an, die oft ein Biotop für antidemokratische, antisemitische, homophobe oder totalitäre Weltanschauungen darstellten. ÖVP-Mandatar Christian Stocker warf Nehammers Vorgänger Herbert Kickl vor, einen Scherbenhaufen im BVT hinterlassen zu haben. 

SPÖ plädiert für Übernahme der Verantwortung und für Mut zur lückenlosen Aufarbeitung

Aufgrund der Vorgänge in den letzten 48 Stunden sehe sie sich dazu gezwungen, ihre Rede anders zu beginnen, erklärte Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner (SPÖ). Trotz der ständigen Appelle der Regierung, das Gemeinsame und die Eigenverantwortung in den Vordergrund zu stellen, werde genau jetzt, in einer so schwierigen Phase für Österreich, offenbar das Gegenteil getan. Bereits am ersten Tag nach dem abscheulichen Terrorangriff im Herzen Wiens, bei dem vier Menschen ermordet wurden, habe Innenminister Nehammer versucht, die Justizministerin verantwortlich zu machen. Auch die Zuständigkeit für die mittlerweile bekannt gewordenen Fehler des BVT wolle er nun auf seinen Vorgänger abschieben, kritisierte Rendi-Wagner. Statt der gegenseitigen Schuldzuweisungen brauche es jetzt vielmehr eine ehrliche, offene und ernsthafte Aufklärung, um das Risiko für einen weiteren Angriff so gering wie möglich zu halten.

Im vorliegenden Fall habe es klare Hinweise gegeben, dass von dem Attentäter eine große Gefahr ausgehe, zeigte Abgeordneter Jörg Leichtfried (SPÖ) auf. Wie könne es sein, dass die Informationen der slowakischen Behörden dem Justizministerium erst am Abend des Anschlags mitgeteilt wurden? Statt dafür sofort die Justizministerin "anzupatzen", würde es einem Bundeskanzler geziemen, in sich zu gehen und sich zu fragen, wie dieser Fehler passieren konnte, mahnte Leichtfried ein. Äußerst fragwürdig sei auch, warum ein einstmals gut funktionierender Verfassungsschutz, der unter ÖVP- und FPÖ-Führung immer mehr mit parteipolitischen Besetzungen konfrontiert gewesen sei, nicht mehr in der Lage zu sein scheint, seinen Aufgaben nachzukommen. Diesen Ausführungen schloss sich auch Reinhold Einwallner (SPÖ) an, der eine starke Einbindung des Parlaments bei der Umsetzung der BVT-Reform einforderte. SPÖ-Mandatarin Andrea Kuntzl ging auf die Ausführungen des Innenministers ein, die ihrer Ansicht nach wenig Klarheit gebracht haben. Dies reiche nicht aus, um Nehammer aktiv das Vertrauen aussprechen zu können.

FPÖ: Der islamistische Anschlag hätte verhindert werden können

Der Terrorangriff in Wien stellt nach Ansicht des freiheitlichen Klubobmanns Herbert Kickl eine tragische Zäsur in der Geschichte der Zweiten Republik dar. Vier Menschen seien "eiskalt und bestialisch" von einem Mann ermordet worden, der als Mitglied einer islamistischen Organisation auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen wurde. Dieser Mann, der nicht nur Sozialhilfe bezog und in einer Gemeindewohnung lebte, hätte zudem das Privileg gehabt, gleich zwei Staatsbürgerschaften zu besitzen.

So groß wie seine Trauer angesichts dieser Ereignisse sei, so groß sei seine Wut und sein Entsetzen darüber, dass all dies in Österreich möglich gewesen sei, richtete Kickl Bundeskanzler Kurz aus. Es sei nämlich die ÖVP, die seit vielen Jahren für die Bereiche Justiz, innere Sicherheit und Migration politisch verantwortlich gezeichnet habe. Wenn Kurz heute von einem Ende einer falsch verstandenen Toleranz rede, dann sei diese "eine einzige Selbstanklage". Beschämend sei auch die Verteidigungsstrategie von Innenminister Nehammer, der mit dem Finger auf alle anderen zeige, aber sich selbst vergesse. Denn eines stehe für ihn jetzt schon fest – dieser "islamistische Anschlag hätte verhindert werden können". Es gab vor Monaten bereits Warnungen vonseiten der slowakischen Sicherheitsbehörden bezüglich des versuchten Ankaufs von Munition für ein Sturmgewehr durch den Attentäter und eine weitere Person, gab Kickl zu bedenken, diese wurden aber nicht weitergeleitet. Dieser "Kommunikationsfehler" sei das Todesurteil für vier unschuldige Menschen gewesen, die in der Terrornacht ihr Leben verloren haben. Die politische Verantwortung dafür trage einzig und allein Innenminister Nehammer, der daher zurücktreten müsse.

Abgeordnete Dagmar Belakowitsch machte darauf aufmerksam, dass nach der vorzeitigen Entlassung des Attentäters aus der Haft eine Überwachung durch die Sicherheitsbehörden angeordnet wurde. Er sei also "unter der Beobachtung des BVT zu einem Terroristen geworden", zeigte sich die Rednerin bestürzt, die einen Misstrauensantrag gegenüber dem Innenminister einbrachte. Der Versuch von Nehammer, dem früheren Innenminister Kickl Versäumnisse beim BVT in die Schuhe schieben zu wollen, sei nichts mehr als ein peinliches Ablenkungsmanöver, urteilte Abgeordneter Hannes Amesbauer (FPÖ).

Bekräftigt wurde die Kritik der FPÖ auch von den Abgeordneten Michael Schnedlitz und Reinhard Eugen Bösch. Er sei überzeugt, dass der Anschlag verhindert werden hätte können, sagte Schnedlitz und sprach von einer "Vertuschungsaktion" des Innenministers. Bösch machte "die unkontrollierte Zuwanderungspolitik" für bestehende Probleme verantwortlich. Die freiheitlichen RednerInnen forderten eine schonungslose und ehrliche Analyse des tragischen Anschlags. Außerdem müssten der üblichen Betroffenheitsrhetorik konkrete Schritte folgen.

Grüne: Untersuchungskommission sei erster wichtiger Schritt zur Aufklärung der Behördenfehler

Derzeit wisse man noch zu wenig über die Hintergründe und Abläufe dieses schrecklichen Attentats, das vier Menschen das Leben gekostet hat und bei dem zahlreiche Personen verletzt wurden, konstatierte Klubobfrau Sigrid Maurer (Grüne). Unklar sei etwa, warum ein verurteilter Islamist nach seiner Entlastung nicht oder nicht ausreichend vom Verfassungsschutz observiert wurde oder wie er Waffen und Munition besorgen konnte. Der Innenminister habe bereits ehrlich eingestanden, dass der zuständigen Behörde, dem Verfassungsschutz im Innenministerium, ein gravierender Fehler unterlaufen sei. Es werde daher eine unabhängige Untersuchungskommission eingesetzt, die sich alles genau ansehen werde, begrüßte Maurer. Ihrer Meinung nach brauche es eine Neuaufstellung des BVT inklusive einer entsprechenden parlamentarischen Kontrolle.

Es bestehe kein Zweifel daran, dass es ein Problem mit jungen Männern gebe, die sich radikalisieren, indoktriniert werden und sich einer mörderischen, freiheitsverachtenden Ideologie anschließen. So wie die Gründe dafür vielfältig seien, müssen auch die Antworten vielfältig sein, war Maurer überzeugt. Gefordert sei nicht nur die Zivilgesellschaft, sondern alle demokratischen Institutionen, von den Bildungseinrichtungen bis hin zur Justiz. Den Terroristen gehe es primär darum, die Gesellschaft zu spalten und gegeneinander aufzuhetzen, warnte Michel Reimon (Grüne), auf dieses Spiel dürfe man sich nicht einlassen. Die Installierung einer unabhängigen Untersuchungskommission durch das Innen- und das Justizressort sei der richtige Schritt, zeigte sich Agnes Sirkka Prammer (Grüne) überzeugt. Abgeordneter Georg Bürstmayr (Grüne) zeigte sich tief betroffen von dem terroristischen Anschlag und versprach den Angehörigen der Opfer, "wir sind für Sie da".

NEOS für saubere Aufklärung der Vorfälle und Übernahme der Verantwortung

Der Abend des zweiten November habe nach langen Jahren den Terror erneut nach Wien gebracht und vier Menschen das Leben gekostet, hob  NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger mit großem Bedauern hervor. Auch wenn die Auswirkungen dieses furchtbaren Attentats die Gesellschaft noch lange beschäftigen werden, solle man deutlich zeigen, dass "wir zusammenstehen, keinen Millimeter weichen und dem Terror und der Angst niemals das Feld überlassen". Eine liberale Demokratie müsse sich immer darüber klar sein, dass ihre Offenheit und ihre allen Menschen zustehenden Grundrechte ausgenutzt werden können, um genau diese Freiheit zu bekämpfen. Die Errungenschaften von Aufklärung und Säkularität gelte es mit den Mitteln des Rechtsstaates zu verteidigen, denn Freiheit sei nicht nur ein Recht, sondern auch eine Verpflichtung. Aus diesem Grund müssten die Feinde der offenen Gesellschaft aber auch klar benannt werden, forderte Meinl-Reisinger. So müsse beim Thema Islamismus mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, dass fundamentalistische Ansichten nie über den demokratischen Rechtsstaat gestellt werden können.

Gleichzeitig warnte Meinl-Reisinger aber davor, Prinzipien der liberalen Gesellschaftsordnung aufzugeben, denn sonst hätten die Feinde gewonnen. Auch Aktionismus und parteipolitische Manöver seien nun fehl am Platz. Eine unabhängige Untersuchungskommission soll nun rasch ihre Arbeit aufnehmen, dies sei man vor allem den Opfern und ihren Angehörigen schuldig. Viele Fragen seien offen, merkten die NEOS-Abgeordneten Douglas Hoyos-Trauttmansdorff und Stephanie Krisper an, diese müssten – unter starker Einbindung des Parlaments - beantwortet werden. Dringender Handlungsbedarf bestehe auch hinsichtlich des BVT, das sowohl personell als auch strukturell eine Baustelle sei.

Die Ablehnung des von der FPÖ eingebrachten Misstrauensantrags durch die NEOS begründete Nikolaus Scherak damit, dass heute nicht der richtige Tag dafür sei. Es sei nicht so, dass seine Fraktion ein besonderes Vertrauen in den Innenminister habe, meinte er, er will aber Einsetzung und Arbeit der angekündigten Untersuchungskommission abwarten. Sollte sich herausstellen, dass der Anschlag aufgrund von Fehlern im Innenministerium nicht verhindert werden konnte, erwarte er sich jedoch einen Rücktritt des Ministers, sagte Scherak. Zudem pochte er auf volle Transparenz und Akteneinsicht sowie einen unabhängigen Vorsitzenden, der von der Opposition ausgewählt werden kann.

Zu Wort meldete sich schließlich auch noch die fraktionslose Abgeordnete Pia Phillipa Strache: Sie lobte den Einsatz der Exekutive und bekräftigte, dass Österreich keine Bühne für Terrorismus und Terroristen biete. Abseits des Leids der Opfer werde für sie vor allem der Satz "Schleich di, du Oaschloch" vom Attentat in Erinnerung bleiben. (Schluss) jan/gs/sue

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats können auch via Live-Stream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.