Parlamentskorrespondenz Nr. 1332 vom 01.12.2020

Nationalratspräsident Sobotka und Parlamentspräsident Vondráček über Corona-Krise in Österreich und Tschechien

EU-Beitrittsverhandlungen für Nordmazedonien und Albanien, das EU-Budget, die EU-Coronahilfen und Meinungsfreiheit waren weitere Themen

Wien (PK) – In einer Videoschaltung trafen sich heute Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und sein tschechischer Amtskollege Radek Vondráček zu einem bilateralen Gespräch. Im Mittelpunkt des virtuellen Treffens standen die Erfahrungen der beiden Nachbarländer im Kontext der Pandemie. Außerdem thematisierten die beiden Parlamentspräsidenten die Diskussionen auf europäische Ebene zum mehrjährigen Finanzrahmen sowie die Verhandlungen zur EU-Erweiterung.

Erfahrungsaustausch zu Maßnahmen gegen die Corona-Krise

Aufgrund der hohen Infektionszahlen in Europa tauschten die Parlamentspräsidenten der beiden Nachbarstaaten ihre Erfahrungen online über Wirtschaftshilfen, politische und mediale Diskurse sowie die Auswirkungen auf die parlamentarische Tätigkeit aus. Wolfgang Sobotka berichtete im Gespräch von einem Rückgang der Infektionszahlen als Folge des harten Lockdowns seit zwei Wochen. Weiters berichtete er von den anstehenden COVID-19-Massentests, mit denen Ende der Woche in den westlichen Bundesländern und Wien gestartet werde.

5-Stufen-Tabelle in Tschechien

Radek Vondráček erklärte, dass sich in Tschechien eine 5-stufige Tabelle als hilfreich erwiesen habe. Wenngleich diese durch starre Kategorien nicht perfekt sei, schätze die Bevölkerung die damit verbundene klare Kommunikation und Orientierung. Gleichzeitig gebe es Bürgerinnen und Bürger, die sich Verschwörungstheorien zuwenden oder für ihn nicht erklärbare Protestmaßnahmen setzen würden.

Der Anteil an Krisenleugnern würde insbesondere in den sozialen Medien gemeinsam mit antisemitischem Denken zunehmen, bestätigte Sobotka und verwies auf den Angriff auf die Synagoge in Graz.

Auch tauschten sich die Parlamentspräsidenten zu den Auswirkungen wichtiger Wirtschaftsbereiche der beiden Länder aus, wie den Wintertourismus und die Industrie. Radek Vondráček berichtete, dass die für Tschechien besonders wichtige Industrie von der Krise besonders schwer getroffen sei. Obwohl diese durchgehend aktiv gewesen sei, seien ihr aufgrund geschlossener Geschäfte die Abnehmer abhandengekommen. Als Wirtschaftshilfe würden die Sozialversicherungsbeiträge der Mitarbeiter übernommen, um die Arbeitgeber entlasten zu können.

Nationalratspräsident Sobotka erläuterte die österreichischen Unterstützungsmaßnahmen für Wirtschaftstreibende und betonte, dass die Industrie in Österreich derzeit tendenziell immer noch über zu wenige qualifizierte Arbeitskräfte verfüge und die Beschaffung von bestimmten Rohmaterialien kritischer geworden ist.

Naturgemäß beschäftigte die beiden Parlamentspräsidenten die Frage nach den Auswirkungen der Pandemie auf den parlamentarischen Betrieb. Wolfgang Sobotka berichtete, dass im Plenarsaal des österreichischen Parlaments Glaswände zwischen den Abgeordnetenplätzen errichtet worden seien. Das tschechische Abgeordnetenhaus tage derzeit mit eingeschränkter Teilnehmerzahl unter Verwendung eines Mund-Nase-Schutz, schilderte Vondráček die Tagungsbedingungen in Tschechien.

Sobotka und Vondráček einig: Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien in Gang setzen

Einer Meinung zeigten sich die beiden Parlamentspräsidenten über die aktuellen Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien. Sobotka äußerte sein Bedauern über den Umstand, dass sich ein Land gegen die Aufnahme der Erweiterungskonferenzen mit Nordmazedonien ausgesprochen habe. Beide Gesprächspartner hofften auf eine baldige Lösung durch weitere Verhandlungen.

Sobotka: Appell an Solidarität im EU-Budgetstreit

Die beiden Parlamentspräsidenten besprachen auch die aktuellen Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen der EU. Es wäre wichtig, dass Ungarn und Polen in der Frage des Budgets positive Signale setzten. Österreich habe als Nettozahler gemäß den geltenden Regeln bisher überproportional in das EU-Budget eingezahlt und selbst Kompromissbereitschaft in den Budgetverhandlungen zeigen müssen. Es sei wichtig, "im Sinne der Solidarität zur einer Lösung zu kommen", appellierte Sobotka an die Vernunft.

Unterschiedlichen EU-Mitgliedstaaten hätten unterschiedliche geschichtliche Erfahrungen und innenpolitische Zwänge, betonte Vondráček. Dieses Element mache die Europäische Union aber gerade stark. Auch er hoffe, dass eine Lösung für das Budget gefunden werden könne.

Wenn man aber freie Medien beschränke oder nicht gleichmäßig bediene, gebe es keinen Diskurs, betonte Sobotka seine Haltung zum Thema Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit. "Wir brauchen in der Europäischen Union die Unabhängigkeit der Justiz und die Meinungsfreiheit", unterstrich der Nationalratspräsident.

Abschließend nahmen die beiden Parlamentspräsidenten in Aussicht, die Gespräche im Rahmen des Austerlitz-Treffens gemeinsam mit dem slowakischen Parlamentspräsidenten fortzusetzen. Das Treffen ist für Februar 2021 unter österreichischem Vorsitz avisiert. (Schluss) gun

HINWEIS: Fotos vom Gespräch finden Sie auf der Website des Parlaments.