Parlamentskorrespondenz Nr. 121 vom 08.02.2021

Nachhaltigkeit, Digitalisierung und COVID-19-Pandemie: Bundeskanzleramt informiert über aktuelle EU-Schwerpunkte 2021

Arbeitsprogramm der EU-Kommission sieht 86 neue Initiativen zu 44 politischen Zielsetzungen vor

Wien (PK) – Die Umsetzung des "Green Deals", Europas "Digitale Dekade", eine Wirtschaft für die Menschen, ein stärkeres, freies und sicheres Europa, Schutz und Stärkung der Demokratie und die Verteidigung der europäischen Werte: das sind gemäß einer gemeinsamen Erklärung der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments und des EU-Rats die aktuellen Schwerpunkte der Europäischen Union. Bedingt durch die COVID-19 Pandemie und ihre Folgen erfuhren manche Programmpunkte eine Abänderung, wie aus einem Bericht von Bundeskanzler Sebastian Kurz und Europaministerin Karoline Edtstadler an das Parlament hervorgeht (III-241 d.B. und III-744-BR/2021 d.B.).

Die EU Kommission will im Rahmen ihrer Schwerpunktsetzung 86 neue Initiativen zu 44 politischen Zielsetzungen starten. Weiters informiert der Bericht über 50 bereits laufende prioritäre Dossiers und 41 Vorschläge zur Überarbeitung bestehender Rechtsakte. 14 Rechtsakte sollen zurückgenommen werden. Im zweiten Halbjahr 2021 wird Slowenien den EU-Vorsitz übernehmen; das Trio-Präsidentschafts-Programm für Frankreich, die Tschechische Republik und Schweden (von 1. Jänner 2022 bis 30. Juni 2023) soll am 14. Dezember 2021 gebilligt werden.

Aktuell – und auch vom EU-Vorsitzland Portugal so vorgesehen – liegt der Fokus der Union auf der Bewältigung der COVID-19-Pandemie und der notwendigen umfassenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erholung. Die Europäische Kommission wird zusätzliche Mittel von bis zu 750 Mrd. € am Kapitalmarkt aufnehmen, um den wirtschaftlichen Aufbau infolge der COVID-19-Pandemie in Form ausgewählter EU-Programme zu fördern. Weiterhin sind 2021 die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien, der Klimaschutz und das "Europa der Zukunft" Thema.

Im Jänner wurde eine Videokonferenz der Mitglieder des Europäischen Rates zur COVID-19 Situation abgehalten. Neben den vier Sitzungen des Europäischen Rates (25./26. März, 24./25. Juni, 15./16. Oktober und 16./17. Dezember) ist am 7./8. Mai ein "Sozialgipfel" der Staats- und Regierungschefs geplant. Am 8. Mai soll überdies ein Gipfeltreffen EU-Indien stattfinden. Außerdem sind für 2021 ein informelles Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs mit dem chinesischen Präsidenten, ein EU-Westbalkan-Gipfeltreffen, ein EU-Afrika-Gipfeltreffen, ein ASEM-Gipfeltreffen sowie gegebenenfalls ein EU-CELAC-Gipfeltreffen geplant.

Für ein nachhaltiges und grünes Europa

Im zweiten Quartal 2021 will die Europäische Kommission ein sogenanntes "Fit for 55"-Paket mit insgesamt 13 konkreten Vorschlägen zur Erreichung des EU-Klimaziels von mindestens 55% Treibhausgasreduktion gegenüber 1990 vorlegen.

2020 hat die letzte Dekade der von der UNO verabschiedeten "Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung" begonnen, die unter dem Motto einer "beschleunigten Umsetzung" steht. Dabei sollen die drei Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung – Wirtschaft, Soziales und Umwelt – gleichermaßen berücksichtigt werden. Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Ziele der Agenda (Sustainable Development Goals, SDGs) sind laut Bericht aktuell noch nicht zur Gänze abschätzbar, in Teilen jedoch seien bereits negative Auswirkungen zu erkennen.

Das klare Bekenntnis der österreichischen Bundesregierung zu den Zielen der Agenda 2030 wird im Regierungsprogramm 2020-2024 bekräftigt. Die aktuellen Arbeiten auf österreichischer Ebene widmen sich vorrangig der Stärkung einer zielgerichteten Koordinierung der Umsetzung der SDGs unter systematischer Einbindung von Stakeholdern, insbesondere der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und des Privatsektors, wie aus dem Bericht hervorgeht.

Konferenz zur Zukunft Europas

Die Konferenz zur Zukunft Europas war ursprünglich für den 9. Mai 2020 geplant und musste pandemiebedingt verschoben werden. Der portugiesische Ratsvorsitz hat die Konferenz als eine seiner Prioritäten definiert.

Für Österreich ist die Konferenz zur Zukunft Europas ein notwendiger Reformprozess zur Weiterentwicklung der Europäischen Union und die Bundesregierung drängt in diesem Sinn auf einen raschen Beginn der Konferenz. Dabei solle sich Europa auf jene Fragen konzentrieren, die nur gemeinsam gelöst werden können, wie z. B. Klimawandel, Wettbewerbsfähigkeit, Migration und Terrorbekämpfung, heißt es von Seiten des Bundeskanzleramts. Weiters wird mehr Handlungsspielraum für die Mitgliedstaaten und Regionen gefordert. Ebenso wird Wert auf eine ausgewogene Zusammensetzung der Konferenz unter verstärkter Bürgerbeteiligung sowie schlankere Arbeitsstrukturen gelegt.

Verteidigung der gemeinsamen europäischen Werte

Ein wesentliches Anliegen ist der EU-Kommission auch die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in der Union und ihren Mitgliedstaaten. Derzeit laufen im Rat zwei Verfahren nach Artikel 7 EUV; seit Dezember 2017 zu Polen und seit September 2018 zu Ungarn. Unter portugiesischem Vorsitz ist eine hochrangige Konferenz zur Rechtsstaatlichkeit geplant. Für Österreich ist die Wahrung der europäischen Grundwerte ein zentrales Anliegen.

Hybride Bedrohungen und Desinformation

Hingewiesen wird im Bericht darüber hinaus auf hybride Aktivitäten staatlicher und nichtstaatlicher Akteure, die für die EU und ihre Mitgliedstaaten zunehmend eine akute und ernstzunehmende Bedrohung darstellten. Vorrangiges Ziel der Destabilisierungsversuche ist es demnach, das Vertrauen in staatliche Institutionen zu erschüttern und europäische Kernwerte in Frage zu stellen. Die Bandbreite der  Bedrohungen reicht laut Bericht von Cyberangriffen auf öffentliche und wirtschaftliche Ziele über gezielte Desinformationskampagnen bis hin zu feindlichen, militärischen Aktionen. Hybride Bedrohungen seien multidimensional, vereinten Zwang mit subversiven Methoden und nutzten konventionelle und unkonventionelle Mechanismen und Taktiken. Eine Gemeinsamkeit hybrider Aktivitäten sei es, dass sie schwer aufzudecken und zuzuschreiben sind.

Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten müssten in der Lage sein, effektiv und gemeinsam auf immer komplexer werdende Sicherheitsherausforderungen zu reagieren, betont das Bundeskanzleramt. Daher sei ein EU-weiter, ressortübergreifender und gesamtstaatlicher Ansatz mit Fokus auf Resilienz und Prävention zur Bewältigung hybrider Bedrohungen notwendig. Ein gemeinsames Verständnis von hybriden Bedrohungen auf EU-Ebene sei wichtig, um die Bewusstseinsbildung zu verbessern. Durch eine enge Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen und eine enge Kooperation mit Nachbarregionen, insbesondere auch den Staaten des Westbalkans, soll die Resilienz gegenüber hybriden Bedrohungen gesteigert werden.

Der Bericht führt weiter aus, dass Desinformation und Verschwörungstheorien stark zugenommen haben und heute in erster Linie über "Soziale Medien" und Online-Plattformen erfolgen. Auch die Bundesregierung sieht ein koordiniertes Vorgehen auf europäischer Ebene als unabdingbar an.

Im Dezember 2020 legte die Europäische Kommission eine neue Cybersicherheitsstrategie vor. Sie zielt darauf ab, das digitale Leben der Menschen in Europa sicherer zu gestalten und sichere, vertrauenswürdige digitale Instrumente für Wirtschaft, Demokratie und Gesellschaft durch Maßnahmen der Steigerung von Resilienz kritischer Infrastruktur und vernetzten Dingen zu schaffen. Zudem ist geplant, operative Kapazitäten zur Vorbeugung, Abschreckung und Reaktion auf Cyberangriffe aus- und aufzubauen und die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern für einen globalen, offenen, stabilen und sicheren Cyberraum, in dem Völkerrecht, Menschenrechte, Grundfreiheiten und demokratische Werte gelten, voranzutreiben.

Einigung auf Transparenzregister

Politisch bereits geeinigt hat man sich auf EU-Ebene auf ein neues Transparenzregister zur besseren Nachvollziehbarkeit von Lobbyingaktivitäten im europäischen Rechtsetzungsprozess. Demnach soll der Grundsatz "No registration – No meeting" für alle wesentlichen EU-Institutionen – Europäisches Parlament, Rat und Europäische Kommission – gelten. Dem Register können auch andere EU-Institutionen, Körperschaften, Ämter und Agenturen beitreten. Die Mitgliedstaaten bekennen sich zu den Bedingungen des Transparenzregisters. Österreich begrüßt diese Einigung, der formale Beschluss soll demnächst erfolgen.

Beziehungen der EU mit Großbritannien

Die künftigen Beziehungen zum EU-Austrittsland Großbritannien sind seit dem 1.1.2021 in drei Abkommen geregelt: einem Handels- und Kooperationsabkommen, einem Kooperationsabkommen zur sicheren und friedlichen Nutzung der Kernenergie und einem Abkommen über Verschlusssachen.

Aufgrund des zeitlich knappen Abschlusses der Verhandlungen vor Ablauf der Übergangsperiode wird das Handels- und Kooperationsabkommen – zur Vermeidung einer "No Deal" Situation – bis vorerst 28. Februar 2021 provisorisch angewendet. Das Handels- und Kooperationsabkommen sieht Handelsbestimmungen für einen freien, fairen und nachhaltigen Handel ohne Zölle und ohne mengenmäßige Beschränkungen sowie Bestimmungen über eine umfassende wirtschaftliche, soziale und ökologische Partnerschaft vor. Ein weiterer Teil des Abkommens regelt die Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit.

Ein gemeinsamer Partnerschaftsrat soll dafür sorgen, dass die Vereinbarungen ordnungsgemäß angewendet und ausgelegt werden und dient als Gremium für alle auftretenden Fragen. Die Zusammenarbeit in den Bereichen Außenpolitik, äußere Sicherheit und Verteidigung sind nicht Gegenstand des Abkommens, da das Vereinigte Königreich in diesen Bereichen keine Vereinbarung schließen wollte.

Weitere Vorhaben und Diskussionspunkte

Portugal will im ersten Quartal 2021 einen Fahrplan mit definierten digitalen Zielen für 2030 vorlegen.

Weiterhin offene Gespräche gibt es zum Untersuchungsrecht des Europäischen Parlaments, das neben seiner Rechtssetzungstätigkeit auch Aufgaben der politischen Kontrolle zu erfüllen hat. Seitens des Rates und der Europäischen Kommission bestehen zum Vorschlag des Europäischen Parlamentes weitreichende rechtliche und politische Bedenken. Ihrer Meinung nach geht der Vorschlag über die dem Europäischen Parlament vertraglich zugewiesenen Zuständigkeiten deutlich hinaus und greift in die vertraglich festgelegten Kompetenzen von Rat und Europäischer Kommission ein.

Im Bericht werden auch die seit 2010 laufenden Gespräche über den Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention angesprochen. Aus österreichischer Sicht ist die Ratifizierung der Konvention durch die EU bereits überfällig. (Schluss) ib