Parlamentskorrespondenz Nr. 244 vom 08.03.2021

Gedenken an den 4. März 1933: Wie krisenfest und resilient ist die Demokratie von heute?

Diskussionsrunde mit Sobotka, Bures, Hofer und Buchmann über Lehren aus der Ausschaltung des Parlaments in der Ersten Republik

Wien (PK) – Am 4. März 1933 wurde das Ende der parlamentarischen Demokratie in Österreich eingeläutet. Die durch den Rücktritt der drei Nationalratspräsidenten Karl Renner, Rudolf Ramek und Josef Straffner ausgelöste Geschäftsordnungskrise wurde vom damaligen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß genutzt, um den Nationalrat auszuschalten und auf Grundlage des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes autoritär zu regieren. Anlässlich des Jahrestags dieses historisch bedeutsamen Ereignisses trafen die PräsidentInnen des Nationalrats und des Bundesrats zu einer Diskussionsrunde zum Thema "Resilienz der Demokratie – Krisenfestigkeit von Mensch und Gesellschaft" zusammen. Könnten sich die Vorgänge von damals in der Gegenwart wiederholen? Wie krisenfest ist das Parlament bzw. die Demokratie von heute oder wie soll man mit den derzeit stattfindenden Polarisierungen in der Gesellschaft umgehen, waren nur einige der Fragestellungen, die im Laufe des von ORF-Journalistin Rebekka Salzer moderierten Gesprächs näher beleuchtet wurden.

Sobotka befürchtet keine Wiederholung der Geschichte und sieht Krise als Chance

Wenn auch die Corona-Maßnahmen mit starken Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte verbunden seien, könne dies in keinster Weise mit der Situation von 1933 verglichen werden, unterstrich Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka. Die Regelungen seien im Rahmen von demokratischen Prozessen zustande gekommen und würden einer kontinuierlichen parlamentarischen Kontrolle unterliegen. Er fürchte keine Wiederholung der Geschichte, da Österreich in demokratische Systeme eingebettet sei. Sobotka zeigte aber vollstes Verständnis für manchen Unmut in der Bevölkerung, da viele unter einem enormen Druck stehen. Außerdem werde es mit Fortdauer der Pandemie immer schwieriger, die Menschen vom Mitmachen zu überzeugen, da in den Sozialen Medien auch immer mehr mit Fake News operiert werde, konstatierte der Nationalratspräsident. Ein Ausbau der Medienerziehung sowie Antworten auf die Macht der Internetgiganten seien daher notwendig.

In Bezug auf den generellen Umgang mit der Corona-Krise plädierte Sobotka vor allem für eine nüchterne Betrachtung der Fakten und für einen respektvollen Dialog auf Augenhöhe. Klar sei zudem, dass die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen im Auge behalten werden müsse. Zahlreiche Folgen der Krise seien schon jetzt feststellbar, wie etwa die Übersterblichkeit, die geringere Geburtenrate, die psychischen Folgen oder die massiven finanziellen Belastungen. Jede Krise stelle aber auch eine Chance dar. Man müsse sich den Optimismus erhalten, der von der Überzeugung getragen sei, dass "wir heute widerstandsfähiger sind" und es eine junge Generation gibt, die in der Lage sei, diese Krise zu überwinden.

Bures: Nur mit Einbeziehung des Parlaments sowie einer Kooperation auf Augenhöhe können gute Lösungen gefunden werden

Man müsse sich immer vor Augen halten, dass Freiheit und Demokratie nicht selbstverständlich seien, betonte Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures. Sie teile die Einschätzung der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, wonach die Corona-Krise eine demokratiepolitische Zumutung darstelle. Es müsse daher vor diesem Hintergrund eine offene Diskussion über die Einhaltung von Grundrechten, die Presse- und Versammlungsfreiheit sowie die Unabhängigkeit der Justiz und des Rechtsstaates geführt werden. Sorgen bereiteten ihr die zunehmenden psychischen und sozialen Folgen der Pandemie, die wahrscheinlich noch über Jahre hinaus nachwirken werden. Mit aller Kraft werde sie sich jedenfalls dafür einsetzen, dass die Frauen nicht zu den Verliererinnen der Krise werden.

Die Lehre, die sie aus der aktuellen Situation sowie aus dem Jahr 1933 ziehe, sei, dass nur dann gute Lösungen gefunden werden, wenn es eine Kooperation auf Augenhöhe gebe und wenn die Volksvertretung in die Bewältigung der Krise miteinbezogen werde. Gerade in schwierigen Situationen sei eine Regierung gut beraten, wenn sie einen breiten politischen Konsens suche und einen wertschätzenden Umgang mit allen Parteien pflege, war Bures überzeugt. Es mache auch keinen Sinn, wenn die Regierungsfraktionen Gesetze "durchpeitschen", die dann von der Bevölkerung in Zweifel gezogen und somit nicht mitgetragen werden. Nicht weniger Demokratie, sondern mehr Demokratie sei die Devise, denn Österreich müsse es gelingen, besser und schneller aus der Krise zu kommen.

Hofer sieht manche Entwicklungen kritisch und warnt vor sozialen Spannungen

Von Rebekka Salzer auf die von manchen FPÖ-PolitikerInnen im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen getätigten Vergleiche mit dem Austrofaschismus angesprochen, erinnerte Dritter Nationalratspräsident Norbert Hofer daran, dass es 1933 erst durch einen Fehler im Parlament möglich war, einen Ständestaat zu errichten. Angesichts von Verordnungen, die vom Verfassungsgerichtshof wieder aufgehoben wurden, halte er es für legitim, Achtsamkeit einzumahnen. Er betrachte die aktuellen Entwicklungen kritisch, zumal weitere Einschränkungen der Versammlungsfreiheit geplant seien und auch etwa auch das Bundesheer an der Grenze zu Tirol im Einsatz sei. Kritisch beurteilte er weiters den Umstand, dass viele Versprechungen von Seiten der politisch Verantwortlichen nicht eingehalten wurden und mit Angstmache agiert worden sei. Bei zahlreichen Regelungen müsse zudem die Verhältnismäßigkeit hinterfragt werden, gab Hofer zu bedenken.

Ein großer Schaden sei auch dadurch entstanden, dass viele notwendigen medizinischen Therapien und Untersuchungen derzeit nicht durchgeführt werden, gab Hofer zu bedenken. Es bestehe generell seiner Meinung nach die Gefahr, dass der Druck auf die Menschen so groß werde, dass sie es nicht mehr aushalten. Gleichzeitig pochte er aber auf das Recht auf Demonstrationsfreiheit, das gewahrt werden müsse. Wenn sich die 1930er Jahre nicht wiederholen sollen, dann dürfen die Menschen nicht in die Armut getrieben und soziale Spannungen erzeugt werden, appellierte Hofer, denn die "Stimmung könne sehr schnell kippen".

Buchmann: Es braucht Wachsamkeit, um die Freiheit zu erhalten

Es sei entscheidend für Österreich, aus der Geschichte die richtigen Lehren zu ziehen, zeigte sich Bundesratspräsident Christian Buchmann überzeugt. Auf Basis der Verfassung sowie der europäischen Fundamente müssen daher Werte wie Demokratie, Menschenrechte, Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit gerade in einer Krisensituation hochgehalten werden. Nur auf Basis eines gesellschaftlichen Konsenses auf allen Ebenen könne die Corona-Krise überwunden werden. Buchmann mahnte ebenso einen wertschätzenden Umgang der politischen VertreterInnen miteinander sowie zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften ein; dieser dürfe jedoch keine Einbahnstraße sein. Wichtig sei zudem, bei der Debatte das "sowohl als auch" in den Mittelpunkt zu stellen, also sowohl die vulnerablen Gruppen zu schützen als auch die wirtschaftliche Prosperität und den Erhalt von Arbeitsplätzen zu ermöglichen.

Ein Zusammenschnitt des Gesprächs, das am 5. März im Großen Redoutensaal aufgezeichnet wurde, war bereits am Sonntag, dem 7. März, auf ORF 2 in einer Sendung des ORF-Parlamentsmagazins Hohes Haus zu sehen. Heute erfolgte die Ausstrahlung der gesamten Veranstaltung auf ORF 2 sowie per Stream auf der Website des Parlaments. (Schluss) sue

HINWEISE: Die Veranstaltung ist auch als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments abrufbar. Außerdem finden Sie Fotos von der Diskussion auf der Website des Parlaments.