Parlamentskorrespondenz Nr. 254 vom 09.03.2021

Österreichische Bundesregierung will eine ganzheitliche Strategie gegen Antisemitismus umsetzen

Bericht zur Nationalen Strategie gegen Antisemitismus nennt 38 operative Maßnahmen zur Zielerreichung

Wien (PK) – Der Kampf gegen den Antisemitismus ist für die österreichische Bundesregierung ein Beitrag zur Stärkung und zum Schutz der demokratischen Werte und Grundrechte in Europa. Das betonen Bundeskanzler Sebastian Kurz, Vizekanzler Werner Kogler und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler in ihren Ausführungen zur Nationalen Strategie zur Verhütung und Bekämpfung aller Formen von Antisemitismus, die dem Nationalrat nun vorliegt (III-256 d.B.). Die VertreterInnen der Bundesregierung verstehen diesen Kampf auch als Teil der aktiven Zukunftsgestaltung.

Die Strategie basiert auf einem ganzheitlichen Ansatz und umfasst die Bereiche Bildung und Ausbildung, Forschung, Sicherheit und Justiz ebenso wie die Integration und die Zivilgesellschaft. Der Bericht umreißt dabei die Ausgangslage und aktuelle Situation in diesen Bereichen. Weiters führt er die zahlreichen operativen Maßnahmen an, mit dem das Ziel der Verhütung und Bekämpfung aller Formen von Antisemitismus in Österreich erreicht werden soll.

Zwei übergeordnete Ziele, sechs strategische Säulen und 38 Maßnahmen

Die Strategie der Republik Österreich hat laut dem vorliegenden Bericht zwei Hauptziele. In erster Linie geht es darum, den Fortbestand des jüdischen Lebens in Österreich langfristig abzusichern. Parallel dazu soll der Antisemitismus in allen seinen Formen eingedämmt und Bewusstsein für das Erkennen von alltäglichem Antisemitismus geschaffen werden. Für die Erreichung dieser Ziele nennt der Bericht sechs strategische Säulen bzw. Zielsetzungen. Zur Erreichung dieser Zielsetzungen führt der Bericht auch die insgesamt 38 Einzelmaßnahmen an, die in den jeweiligen strategischen Säulen in Umsetzung sind oder in den nächsten Jahren umgesetzt werden sollen.

Die erste Säule der Strategie sind Maßnahmen in Bildung, Ausbildung und Forschung. Hier geht es insbesondere um die Umsetzung und Finanzierung von themenspezifischen wissenschaftlichen und künstlerischen Forschungsprojekten, um die Weiterbildung von PädagogInnen und Lehrenden sowie um die Ausweitung von Bildungsangeboten, vor allem auch im außerschulischen Bereich.

Die zweite Säule umfasst effektive Sicherheitsmaßnahmen, um die Sicherheit und den Schutz jüdischer Gemeinschaften und Einrichtungen zu gewährleisten. Das dritte Handlungsfeld betrifft eine effektive Strafverfolgung von Antisemitismus. Eventuell noch bestehende gesetzliche Lücken sollen geschlossen werden.

Die vierte Säule der Strategie sind die Rahmenbedingungen der Vermittlung im Integrationsbereich. Hier soll ein stärkerer Fokus auf die Antisemitismus-Prävention gelegt werden. Die fünfte Zielsetzung ist die europaweite Vereinheitlichung der Dokumentation antisemitischer Vorfälle und Delikte, die auch den europaweiten Datenvergleich ermöglicht. Als sechste Säule wurde ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz der Strategie gegen Antisemitismus festgelegt. Staatliche und private Institutionen sollen sich zur Verhütung von Antisemitismus in all seinen Formen zusammenwirken und sich austauschen.

Schutz der jüdischen Gemeinschaften hat hohe Bedeutung

Jüdinnen und Juden sowie jüdische Gemeinschaften und Einrichtungen sind nach wie vor antisemitischen Bedrohungen und Angriffen ausgesetzt, wie auch jüngste Ereignisse wieder gezeigt haben. Ihrem Schutz wird daher von der Bundesregierung hohe Bedeutung zugemessen. Die Verdreifachung und langfristige rechtliche Absicherung der Investitionen für den Schutz jüdischer Einrichtungen und zur Förderung jüdischen Lebens wurde bereits umgesetzt. Zudem unterliegt der Sicherheitsplan für jüdische Einrichtungen und Gemeinschaften einer laufenden Evaluierung. Weitere Maßnahmen sind die laufende Durchführung von Schulungs-, Ausbildungs- und Fortbildungsmaßnahmen im Bereich der Sicherheitsbehörden zur Stärkung des Problembewusstseins, die Ergänzung und Stärkung der Grundausbildungslehrgänge des Allgemeinen Verwaltungsdienstes, des Exekutivdienstes und der berufsbegleitenden Fortbildung durch spezifische Lehrinhalte zu den Themen "Antisemitismus – Bildung gegen Vorurteile – Früherkennung – Sensibilisierung". Auch die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden mit der Israelitischen Religionsgesellschaft wird weiter ausgebaut.

Antisemitismus und Hassdelikte: Rechtliche Herausforderungen.

Antisemitismus ist in der österreichischen Gesellschaft nach wie vor anzutreffen. Das zeigen Studien der letzten Jahre, wie etwa die im Auftrag der österreichischen Parlamentsdirektion durchgeführte Studie über die Entwicklung antisemitischer Tendenzen. Auch Meldestellen verzeichnen laut dem Bericht auf einen deutlichen Anstieg von antisemitischen Vorfällen in den letzten fünf Jahren. Festgehalten wird, dass antisemitische Äußerungen ein breites ideologisches Spektrum abdecken. Neben einem von rechts kommenden Antisemitismus trete ein linker Antisemitismus ebenso auf wie ein im muslimischen Umfeld angesiedelter Antisemitismus.

Die Strafverfolgungsbehörden sind laut dem Bericht der Bundesregierung in den letzten Jahren verstärkt mit antisemitischen Vorfällen konfrontiert. Als Gründe für diesen Anstieg werden unter anderem die steigende Bereitschaft zur Anzeigeerstattung, die Schaffung zusätzlicher Meldestellen und der zunehmenden Nutzung des Internets und Sozialer Medien genannt. Im internationalen Vergleich sei die österreichische Rechtslage, was Hassdelikte betrifft, durchaus streng. Herausforderungen für die Bekämpfung von Hassrede und Holocaustleugnung bestehen laut dem Bericht der Bundesregierung allerdings bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Auch gibt es noch rechtliche Lücken im Umgang mit NS-Devotionalien, die immer wieder im Handel angeboten werden.

Integrationsbereich: Herausforderung Islamismus

Im Integrationsbereich stellt neben der Tatsache, dass auch unter ZuwanderInnen antisemitische Stereotype anzutreffen sind, vor allem der Islamismus ein Problem dar. Islamismus wird dabei als politische Bewegung verstanden, die den Islam als ideologisches Regelwerk sieht und dessen Verankerung im Sinn ihres Verständnisses von Scharia in einem islamischen Staat anstrebt. Hier ist Antisemitismus nicht nur Teil der Ideologie, sondern eine zentrale Säule, stellt der Bericht fest. Durch einen Rekurs auf historische Quellen werde versucht, die eigenen ideologischen Überzeugungen zu untermauern und zu legitimieren. Vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts würden zudem "die Juden" als die ewigen Feinde des Islam und der muslimischen Gemeinschaft dargestellt und alte antisemitische Stereotype dabei auf den Staat Israel übertragen.

Vor diesem Hintergrund sei es besonders wichtig, dass die Werte- und Orientierungskurse des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) für Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte sich auch mit dem Abbau antisemitischer Vorurteile beschäftigen. Weitere präventive Maßnahmen sind die aktive Vermittlung der Geschichte und bedeutender Beiträge des Judentums für die österreichische und europäische Geschichte in Integrations- und Bildungsformaten, die Durchführung von Multiplikatorinnen- und Multiplikatoren-Workshops des ÖIF in Zusammenarbeit mit der IRG sowie die Förderung von Jugendprojekten im Integrationsbereich, um über Antisemitismus, Radikalisierung, Propaganda und die Bedeutung von friedlichem Dialog zwischen Kulturen und Religionen aufzuklären. (Schluss) sox