Parlamentskorrespondenz Nr. 355 vom 24.03.2021

Nationalrat: NEOS stellen Dringliche Anfrage über "Impfbasar" an Gesundheitsminister

Informationsfluss und Verantwortlichkeiten im Mittelpunkt, Anschober sieht Beschaffung als gesamteuropäisches Projekt

Wien (PK) – Die NEOS richteten im Nationalrat eine Dringliche Anfrage an Gesundheitsminister Rudolf Anschober. Gerald Loacker (NEOS) vermutete, dass dem Gesundheitsminister die Zuständigkeit über die Impfstoffbeschaffung abhandengekommen sei. Bundeskanzler Kurz habe dem Gesundheitsministerium "die Show gestohlen" und den Minister "entmachtet". Die Ereignisse rund um die Beschaffung der Impfstoffe waren für Loacker Anlass, zu hinterfragen, was die Zuständigkeit des Gesundheitsministers in dieser Angelegenheit sei und wie die Informationsflüsse innerhalb der Regierung und des Ressorts ausgesehen haben.

Für Anschober fokussiere die Anfrage auf "persönliche Nebensächlichkeiten", er hätte sich eine Diskussion zu lebenswichtigen Fragen rund um die Impfung gewünscht. Er sei mit seinem Ressort federführend, die Bekämpfung der Pandemie könne aber nicht eine Person alleine bewältigen, so der Minister. Es handle sich bei der Impfstoffbeschaffung um ein gesamteuropäisches Projekt.

Loacker: Frage nach Verantwortung im Impfstoff-Beschaffungsprozess drängt sich auf

In den vergangenen Wochen habe vieles rund ums Impfen nicht funktioniert, so Loacker. Es dränge sich die Frage auf, wer dafür verantwortlich sei und wer über die Beschaffungsprozesse Bescheid gewusst habe. Er könne sich schwer vorstellen, dass der Gesundheitsminister nichts gewusst habe und nichts an den Bundeskanzler berichtet habe. Anschober sei zuständig und hätte in der Pandemie alle Durchgriffsrechte. "Warum lassen Sie sich vom Bundeskanzler so vorführen?", fragte Loacker den Gesundheitsminister. In der Bevölkerung entstehe der Eindruck, Kanzler und Gesundheitsminister würden nicht miteinander kommunizieren. Es wäre begrüßenswert, wenn man das Gefühl haben könnte, dass informierte Entscheidungen in der Regierung getroffen werden und nicht ein einzelner Beamter "die Republik ins Desaster führe", so Loacker.

Auch in der schriftlichen Anfragebegründung drückte der Abgeordnete seine Zweifel aus. Clemens Martin Auer stellte den stellvertretenden Vorsitzenden des zuständigen EU-Steering-Boards, was Loacker vermuten lässt, dass die Regierung ausreichend Informationen gehabt haben müsste. Der Mandatar führt zudem einige Ministerratssitzungen an, die für ihn belegen, dass die Regierung über die Vorgänge Bescheid wusste. So wurde etwa im September im Ministerrat über Vorverträge mit sechs Herstellern und über finanzielle Mittel gesprochen, allerdings sei bekannt gewesen, dass die Optionen zur Abnahme bestehen, aber nicht verpflichtend seien. Konkrete Zahlen über zur Verfügung stehende Impfdosen und den Impfplan seien im Ministerrat im November vorgelegt worden. Die Zuständigkeit sei dem Gesundheitsminister spätestens zu diesem Zeitpunkt abhandengekommen. Als Ende Dezember die ersten Impfdosen eingetroffen seien, habe der Bundeskanzler das Thema öffentlich für sich beansprucht, kritisiert Loacker. Auch auf EU-Ebene habe der Kanzler mitgemischt. Ende Jänner dieses Jahres wurde im Ministerrat über die Fragen beraten, wie viele Impfdosen nachbestellt und ob alle Optionen abgerufen wurden. Trotzdem habe der Bundeskanzler im März von einem "Hinterzimmerbasar" gesprochen. Die Vorgänge, die Gesundheitsminister und Bundeskanzler nicht kennen wollen, seien demnach besprochen worden.

Der Abgeordnete richtete deshalb 62 Fragen an den Gesundheitsminister, die klären sollten, wer worüber Bescheid wusste. Neben Menge, Lieferterminen und Preisen der Österreich zur Verfügung stehenden Impfdosen und nicht abgerufenen Optionen interessierte sich Loacker insbesondere dafür, welche Personen und Ministerien für die Rahmenverträge zur Impfstoffbeschaffung zuständig waren und wie die Beschaffungsstrategie aussah. Auch die Rolle von Clemens Martin Auer war Gegenstand der Fragen. Im Fokus stand der Informationsfluss im Gesundheitsministerium, innerhalb der Bundesregierung und an den Bundeskanzler. Die zentrale Frage: "Wer trägt Verantwortung für die bisherigen Impfstoffbestellungen?".

Anschober sieht Impfstoffbeschaffung als gesamteuropäisches Projekt

Er habe sich über die Anfrage gefreut, weil er sich spannende Fragen rund ums Impfen erwartet hatte, sagte Gesundheitsminister Anschober. Doch er habe sich zu früh gefreut. Er hätte gerne über die "lebensentscheidenden Fragen" wie die Wirkung des Impfstoffes, etwaige Nebenwirkungen, Durchimpfungsraten und das Impftempo gesprochen. Seine Botschaften: Die Erfahrungen aus den Alten- und Pflegeheimen zeigen, dass die Impfung wirksam ist. Die Entscheidungen über einen etwaigen Impfstopp wegen Nebenwirkungen wurde den FachexpertInnen überlassen. Ende April sollen alle über 65-Jährigen geimpft sein. Zudem gebe es eine gute aktuelle Nachricht: Man könne den Zeitraum zwischen den Impfdosen bei den mRNA-Impfstoffen auf sechs Wochen ausdehnen und so früher mehr Menschen mit dem ersten Stich versorgen. Die vorliegende Anfrage wirke für ihn jedoch eher "skandalisierend", sagte Anschober. Sie fokussiere auf "persönliche Nebensächlichkeiten" wie die Frage, ob ihm die Show gestohlen worden sei. "Diese Denkkategorien sind mir ziemlich gleichgültig", so der Minister. Es gehe in der schwersten Pandemie seit 100 Jahren um Zusammenhalt, nicht um Eitelkeiten.

In der Beantwortung der Fragen stellte Anschober unter anderem die Liefermengen an Impfstoffen in den kommenden Monaten vor. Im März werden 1,2 Mio. Dosen der drei zugelassenen Produkte geliefert, was zu einer gesamten Liefermenge von über 2 Mio. Dosen im ersten Quartal beiträgt. Im zweiten Quartal wird eine Vervierfachung erwartet, es sollen knapp 7 Mio. Dosen geliefert werden. Insgesamt erhält Österreich im ersten Halbjahr, auf das der zeitliche Fokus gelegt wurde, 9 Mio. Dosen. Zur Strategie der Beschaffungen gab Anschober zu bedenken, dass man im Vorjahr noch nicht wissen konnte, welche Hersteller wann die Zulassung erhalten bzw. liefern können. Daher arbeiteten sein Ressort und der Minister mit einem Risikoportfolio. Sowohl in Bezug auf die Hersteller als auch auf die verwendeten Technologien wurde breit bestellt. Ein weiteres Kriterium war eine Abschätzung, welche Hersteller als Erste eine Zulassung erhalten werden. Das Ziel war, genug Impfstoff für alle in Österreich lebenden Personen zu besorgen. Die österreichische Strategie fokussierte zudem auf einer Impfung aller Interessierten im ersten Halbjahr 2021. Das erkläre etwa auch, warum Dosen von Herstellern, die eine spätere Lieferung garantierten, nicht abgerufen wurden. Außerdem seien mit rund 30 Mio. Impfdosen fast dreimal so viele bestellt worden, wie notwendig sind, um allen interessierten Menschen in Österreich eine Impfung anbieten zu können. Daraus ergebe sich ebenfalls, dass nicht alle Dosen abgerufen wurden.

Zur Rolle von Clemens Martin Auer stellte Anschober klar, dass dieser nicht – wie von den NEOS in der Anfrage behauptet – Mitglied im Joint-Negotiations-Team der EU war. Zu den zentralen Vorgängen gebe es selbstverständlich eine enge Abstimmung in der Bundesregierung, versicherte der Minister. Alle zentralen Entscheidungen würden per Ministerratsbeschluss mitgetragen. Zudem gebe es eine Steuerungsgruppe unter seiner Leitung. Über Verträge werde der Ministerrat vor deren Abschluss informiert. Die Impfstoffbeschaffung sei ein gesamteuropäisches Projekt, betonte er, was er auch für richtig halte. Es gebe klare Zuständigkeiten auf europäischer und auf nationaler Ebene. Sein Ressort sei federführend. Die Bekämpfung der Pandemie schaffe aber nicht einer alleine, das funktioniere nur im Team, so Anschober.

NEOS: Zentrale Frage der Impfstoffbeschaffung von Anschober nicht beantwortet

Laut Nikolaus Scherak (NEOS) handle es sich bei den Vakzinen um die wichtigste Beschaffung seit 100 Jahren. Daher versuche seine Fraktion, mit der Oppositionsarbeit Licht ins Dunkel zu bringen. Die wesentliche Frage der Dringlichen Anfrage - wieso Österreich weniger Impfstoff zur Verfügung habe, als man besorgen hätte können – sieht der NEOS-Mandatar nicht ausreichend beantwortet. Wenn ein Gesundheitsminister über die wichtigsten Beschaffungsvorgänge nicht Bescheid wisse, dann mache er doch etwas grundlegend falsch, meinte er. Auch die ÖVP hätte kein Interesse an der Aufklärung. In Richtung Bundeskanzler meinte er, es wäre besser, Fehler einzugestehen, anstatt Schuldige zu suchen.

Das Desaster der Impfstrategie sei Teil eines systemischen Staatsversagens, so sehe es auch der Rechnungshof, sagte Josef Schellhorn (NEOS). Ohne eine erfolgreiche Impfstrategie und leicht anwendbare Selbsttests werde es nicht möglich sein, aus der Wirtschaftskrise herauszukommen. Statt Krisenbewältigung betreibe die Bundesregierung nur Ankündigungspolitik.

Nach dem Versagen der Bundesregierung bei der Impfstoffbeschaffung würden nun die Länder bei der Umsetzung des Impfplanes versagen, meinte Fiona Fiedler (NEOS). Angehörige von Risikogruppen würden nicht geimpft, das sei skandalös. Ihre schriftlichen Anfragen zu diesen Problemen seien vom Gesundheitsminister nicht beantwortet worden. Der Gesundheitsminister habe in seinen Antworten versucht, die Situation besser darzustellen, als sie offenkundig sei, sagte NEOS-Mandatar Douglas Hoyos-Trauttmansdorff. Die von ihm genannten Zahlen zur Impfstoffbestellungen, zum Impfplan sowie zur Durchimpfungsrate der älteren Bevölkerung seien jedoch nicht schlüssig.

ÖVP: Entscheidungen der EU zur Impfstoffverteilung sind zu revidieren

Da anfangs nicht klar war, wie schnell Impfstoffe überhaupt geliefert werden können, war es notwendig, sich bei der Bestellung breit aufzustellen und zu überbuchen, erläuterte Josef Smolle (ÖVP) den aus seiner Sicht vernünftigen Beschaffungsvorgang. Zunächst sei auf EU-Ebene vereinbart worden, Lieferungen nach einem Bevölkerungsschlüssel aufzuteilen. Bei den weiteren Kontingenten sei es dann aber zu einer Änderung gekommen, da sodann auf Basis des vorbestellten Gesamtvolumens der einzelnen Staaten vorgegangen werden sollte. Aufgrund dieser "unangenehmen Überraschung" hätte die österreichische Bundesregierung gegengesteuert, so Smolle.

Bundeskanzler Kurz spreche die auf EU-Ebene wichtige Fragen der Verteilung der Impfstoffe an und trage damit dazu bei, dass diese verbessert werde, argumentierte auch Andreas Hanger (ÖVP). Er warf der Opposition vor, nur "Unterstellungen und Polittheater" zu bieten. Empört zeigte sich Hanger darüber, dass dem Roten Kreuz Bereicherung an der Pandemie unterstellt werde.

Impfungen seien der Weg aus der Krise, betonte Rebecca Kirchbaumer (ÖVP). Hier Verunsicherung zu verbreiten, sei schlicht verantwortungslos. Die behauptete Deckelung der Mittel für Impfstoffe gebe es nicht. In dieselbe Kerbe schlug Werner Saxinger (ÖVP). Bei der Impfgeschwindigkeit liege Österreich unterdessen weit vorne. Bei gemeinsamer Anstrengung könnten bis Ende Juni alle eine Impfung erhalten, die das wollen.

SPÖ: Impfstrategie hält nicht, was versprochen wurde

"Wieso wird nicht schneller geimpft?" schoss Karin Greiner (SPÖ) eine Frage hinterher. Es brauche konkrete Schritte und nicht nur Ankündigungen, formulierte sie ihren Vorwurf, dass die Bundesregierung seit Beginn der Pandemie hinterherhinke. Die Leute hätten Angst - angesichts eines Impfdesasters, das aus ihrer Sicht nur passieren konnte, weil ein Finanzdeckel von 200 Mio. € einzogen und am falschen Platz gespart worden sei. Eine Handlungsaufforderung richtete die SPÖ-Mandatarin nicht nur an den Gesundheitsminister, sondern auch an den Bundeskanzler, der Impfen zur Chefsache erklärt habe, aber seine Verantwortung laut Greiner nicht wahrnehme.

Eine COVID-19-Erkrankung sei eine ernste Angelegenheit, das habe er am eigenen Leib erfahren müssen, betonte Alois Schroll (SPÖ). Die Bevölkerung habe völlig zu Recht Angst vor einer Infektion und warte dringend auf die Impfstoffe. Petra Oberrauner (SPÖ) sah die Bundesregierung gefordert, den Menschen in der Krise Sicherheit, Orientierung und Perspektiven zu geben. Alles das löse sie jedoch nicht ein, sagte sie. Ein Impfplan alleine reiche nicht, erforderlich sei ein Umsetzungsplan.

Die Aussagen der ÖVP über die Rolle von Bundeskanzler Kurz seien völlig widersprüchlich, befand Philip Kucher (SPÖ). Einerseits habe dieser die Impfung zur Chefsache erklärt, andererseits sei er nie über wichtige Details dazu informiert. Die vorliegenden Zahlen würden die Behauptung, Österreich habe eine gut funktionierende Impfstrategie, jedenfalls nicht untermauern.

FPÖ: Bundesregierung agiert planlos und zu Lasten der Bevölkerung

Gerhard Kaniak (FPÖ) zeigte zwei Probleme auf. Einerseits habe Österreich weit nicht jene Impfstoffmenge bekommen, die es schon hätte erhalten können. Andererseits würden viele Personen und RisikopatientInnen sehnsüchtig auf die Vakzine warten, weil nicht rechtzeitig Schritte gesetzt worden seien, um diese verabreichen zu können. Die politische Verantwortung dafür wurde allerdings auf die Europäische Union und einen einzelnen Spitzenbeamten abgeschoben, obwohl sie eindeutig beim Bundeskanzler und beim Gesundheitsminister liege, wie Kaniak meinte. Wenn das Impfen der "Lichtblick" der Krise war, warum habe man dann nicht einen gut durchführbaren Plan dafür geschaffen, wollte der FPÖ-Mandatar wissen.

Die Pandemie werde dazu verwendet, ein System der Überwachung der BürgerInnen aufzubauen und umfangreiche Daten über sie zu sammeln, warf Dagmar Belakowitsch (FPÖ) der Bundesregierung vor. Sie befürchte, dass nach den Zwangstests für Kinder in weiterer Folge versucht werde, Zwangsimpfungen durchzuführen. Die FPÖ sei für Impfungen auf freiwilliger Basis, werde sich aber stets gegen Zwangsmaßnahmen wenden. Die Strategie der Lockdowns der Bundesregierung sei völlig planlos und schaffe nur Verunsicherung, kritisierte ihr Fraktionskollege Peter Wurm.

Grüne: Impfstrategie der Bundesregierung zeigt bereits klare Erfolge

Sigrid Maurer (Grüne) verteidigte die ausführliche Anfragebeantwortung des Gesundheitsministers. Dass er die Antworten auf die 62 Fragen "sehr bemüht" gestaltete, sei ihrer Meinung nach keine Selbstverständlichkeit. Die Impfung sei die einzige Chance zur Erlangung der Normalität, sagte Maurer. Natürlich wäre es allen am liebsten, die gesamte Bevölkerung sofort zu impfen, aber natürlich würde dies dauern, sagte sie zur gegenwärtigen Situation. Mittlerweile sei aber ordentlich an Tempo zugelegt worden. In den letzten drei Wochen wurden ihr zufolge hierzulande eine halbe Mio. Menschen geimpft, wobei die Zahlen weiter rapide steigen werden. Die Impfstrategie der Bundesregierung habe sich ihrer Meinung nach daher bewährt. Auch sei es klug gewesen, nicht auf einen einzigen Impfstoff zu setzen und die Beschaffung auf europäischer Ebene abzuwickeln, meinte die Klubobfrau der Grünen.

Der Bundesminister habe die ihm gestellten Fragen ausführlich beantwortet, befand Ralph Schallmeiner (Grüne). Die Behauptung, es gebe keine Impfstrategie, treffe wie viele andere Behauptungen der Opposition einfach nicht zu. Konstruktive Kritik sei wichtig, sagte Bedrana Ribo (Grüne). Über aller Kritik solle aber nicht vergessen werden, dass sich bereits deutliche Erfolge der Impfungen zeigen. Vor allem in den Alters- und Pflegeheimen habe sich aufgrund der hohen Durchimpfungsrate die Rate der schweren Erkrankungen und Todesfälle stark reduziert.

Bei der Zuteilung der Impfstoffe seien in der EU auf Verwaltungsebene Entscheidungen getroffen worden, die sich unterdessen gerade für schwächere EU-Staaten als nachteilig erwiesen hätten, betonte Michel Reimon (Grüne). Daher sei es völlig richtig, die Frage der Verteilung nochmals aufzuwerfen und im Sinne der europäischen Solidarität auch den zu erwartenden Konflikt mit finanzstärkeren EU-Staaten durchzustehen. (Fortsetzung Nationalrat) kar/fan/sox

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.