Parlamentskorrespondenz Nr. 506 vom 30.04.2021

Vereinbarkeit als große Herausforderung für Familien

Aktueller Familienbericht liegt dem Nationalrat vor

Wien (PK) - Der 6. Österreichische Familienbericht zieht Bilanz über die familienpolitischen Maßnahmen der Jahre 2009 bis 2019 und deren Zielsetzungen (III-296 d.B.). Die wissenschaftliche Aufbereitung familienspezifischer Themen und Entwicklungen zeigt, dass sich die Ausrichtung der österreichischen Familienpolitik über die Jahre und Jahrzehnte verändert und weiterentwickelt hat. Zum Ausgleich finanzieller Lasten und der Förderung von Geburten ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Mütter und Väter und das Bestreben der Gleichstellung der Elternteile hinzugekommen. Auch die Zielgruppe der Familienpolitik hat sich verändert. Sie bestand ursprünglich aus den Kindern und Eltern, nun sind auch vermehrt die Großeltern, pflegende Angehörige, Alleinerziehende, Personen mit unerfülltem Kinderwunsch, Personen in Patchworkfamilien oder andere Familienformen im Fokus der Familienpolitik.

Die künftigen Herausforderungen für die Familienpolitik umfassen Trends wie weniger Geburten, die fortschreitende Bevölkerungsalterung, einen finanziell angespannten öffentlichen Haushalt, den Wandel geschlechtsspezifischer Rollen oder häufiger wechselnde Familienverhältnisse. Dem wird im Familienbericht mit einer wissenschaftlichen als auch politischen Auseinandersetzung Rechnung getragen.

Familien- und Bevölkerungsentwicklung in Österreich

Entwicklungen, die schon im letzten Familienbericht thematisiert wurden, sind seit 2009 weiter fortgeschritten: Aufgrund einer weiterhin steigenden Lebenserwartung sowie konstant niedriger Fertilität schreitet die Alterung der Bevölkerung voran, die Sterbefälle werden nach 2025 die Geburten übersteigen, so die Prognosen im Bericht. Der Anteil 0- bis 19-Jähriger an der Gesamtbevölkerung betrug 1951 29 Prozent, im Jahr 2018 machte die gleiche Altersgruppe nur mehr 19 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Der Anteil der Menschen, die 65 und älter sind, stieg hingegen von 11 Prozent im Jahr 1951 auf 19 Prozent im Jahr 2018. Infolgedessen kommt der Migration eine Schlüsselrolle beim Bevölkerungswachstum zu. Zuwanderung verursacht laut Bericht nicht bloß einen zahlenmäßigen Anstieg der Wohnbevölkerung, sondern beeinflusst auch ihre Zusammensetzung, da Migrantinnen und Migranten eine andere Alters- und Bildungsstruktur aufweisen.

Neben der Entwicklung der Bevölkerungszusammensetzung spielt die Entwicklung der Familienformen ebenfalls eine entscheidende Rolle. Derzeit machen etwa 45 Prozent der Familien Paare mit Kindern aus, 13 Prozent sind Ein-Eltern-Familien und 42 Prozent Paare ohne Kinder. Die Zahl der Ehepaare oder Lebensgemeinschaften ohne Kinder wird zukünftig noch steigen, wie es weiter heißt. Die durchschnittliche Kinderzahl pro Paar mit Kindern liegt bei 1,6, obwohl der Wunsch nach zwei Kindern vorherrschend sei. Die Gründe für die Diskrepanz zwischen gewünschter und realisierter Kinderanzahl seien dabei vielfältig, dazu zählen unter anderem die Bildungsexpansion unter Frauen – sprich der Anstieg an Frauen mit höherem Bildungsabschluss –, die finanzielle Belastung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Bildungsexpansion unter Frauen sei außerdem Ursache dafür, dass das Alter der Frau bei der Geburt des ersten Kindes in den letzten Jahrzehnten stetig gestiegen ist. Derzeit liegt es bei 29,5 Jahren.

In Bezug auf das Partnerschaftsverhalten konnte eine Zunahme nichtehelicher Partnerschaften festgestellt werden, dennoch wird der Ehe weiter eine besondere Rolle zugewiesen, informiert der Bericht. Frauen zwischen 15 und 44 sowie Männer zwischen 30 und 59 Jahren betrachten demnach die Ehe als zeitgemäße Lebensform. Damit einhergehend sei in den letzten zehn Jahren erstmals seit Jahrzehnten einen Rückgang der Scheidungsquoten verzeichnet worden: Im Jahr 2018 lag die Scheidungsrate bei nur noch 41 Prozent, verglichen mit rund 50 Prozent im Jahr 2007. Der Familienbericht geht auch auf die negativen Effekte einer Trennung oder Scheidung auf alle Beteiligten, insbesondere aber auf Kinder, und dies bis in deren Erwachsenenalter, ein. Zitiert werden in diesem Zusammenhang internationale Studien, die erwachsenen Scheidungskindern ein geringeres psychisches Wohlbefinden, durchschnittlich niedrigere Bildungsabschlüsse, geringere Einkommen und mehr Probleme in der eigenen Ehe bescheinigen, als jenen die im Kindesalter nicht mit Scheidung oder Trennung der Eltern konfrontiert wurden.

Vonseiten des Gesetzgebers hat man mit dem Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz 2013, das neue Obsorge- und Kontaktregelungen mit sich gebracht und die elterliche Verantwortung beider Elternteile im Falle einer Scheidung gestärkt hat, versucht, die Folgen einer Scheidung für Kinder abzumildern. So seie wirksame Instrumente der Unterstützung aller Beteiligten eingeführt worden, darunter die Familiengerichtshilfe sowie eine angeordnete Eltern- und Erziehungsberatung. Darüber hinaus gibt es seit 2010 den sogenannten Kinderbeistand, der die Interessen der Kinder in der Scheidungs- und/oder Trennungssituation vertritt.

Familiäre und institutionelle Sozialisation als Grundlage wesentlicher Entwicklungsprozesse

Der Familienbericht behandelt neben einer Bestandsaufnahme der Situation von Familien auch Aspekte aus der Forschung, so beispielsweise das Thema der familiären und institutionellen Sozialisation von Kindern. In diesem Zusammenhang wird auch auf die unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen weiterhin zunehmende Bedeutung von Familie als Lebensbereich – sowohl der Herkunftsfamilie als auch in Hinblick auf die Gründung einer eigenen Familie – hingewiesen. Generationenbeziehungen innerhalb der Familie sind nicht nur für die soziale, emotionale und intellektuelle Entwicklung essenziell, sie sind auch von großer wirtschaftlicher Bedeutung, wie im Bericht zu lesen ist. Sogenannte intergenerationelle Unterstützungsleistungen ziehen sich demnach bis ins Erwachsenenalter durch. In ihren ersten Lebensjahren nehmen Kinder 6 bis 7 Stunden an Betreuungs- und Haushaltsarbeit in Anspruch. Später nimmt unentgeltliche Familienarbeit der Eltern ab und das Verhältnis kehrt sich um: Etwa ein Drittel der über 80-Jährigen wird mindestens einmal pro Woche von den Kindern unterstützt, sei es durch persönliche Betreuung, Hilfe im Haushalt oder bei Administrativem. Abgesehen davon hat die große Mehrheit der Erwachsenen im Alter zwischen 18 und 49 Jahren einmal oder mehrmals pro Woche Kontakt mit den Eltern. Großeltern wiederum sind laut Familienressort stark in die Betreuung der Enkelkinder involviert: über 40 Prozent helfen bei der Kinderbetreuung, 20 Prozent regelmäßig.

Auch die Betreuung und Pflege von Familienmitgliedern mit psychischen und physischen Beeinträchtigungen wird in Österreich tendenziell familienintern geregelt, geht außerdem aus dem Bericht hervor. 2016 seien so vier von zehn Pflegebedürftige allein von Angehörigen betreut worden. Insgesamt pflegen laut Familienbericht eine Million Menschen – mehrheitlich Frauen – in Österreich ihre Angehörigen, mehr als die Hälfte davon fühlt sich dadurch psychisch und/oder zeitlich stark belastet, was erhebliche Auswirkungen auf die Familiensituation mit sich bringt. Weibliche pflegende Angehörige arbeiten zumeist nur Teilzeit, dies trage zur Verstärkung geschlechterbezogener Ungleichheit am Arbeitsmarkt bei. Zur Entlastung pflegender Angehöriger steht ein breites Angebot mobiler oder teilstationärer Dienste und stationärer Dienste zur Verfügung, dennoch befinde sich Österreich, was den Ausbau der Pflege- und Betreuungsdienste betrifft, international nur im Mittelfeld.

Spannungsfeld Arbeit und Familie

Die verstärkte Partizipation von Frauen am Arbeitsmarkt hat die Bedeutung traditioneller Geschlechterbilder zurückgedrängt, so ein weiterer Befund im Familienbericht. Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern, hätten einerseits betriebliche Maßnahmen wie Gleitzeit und Telearbeit an Bedeutung gewonnen, andererseits könne vor allem auch die partnerschaftliche Aufteilung der Familienarbeit einen wichtigen Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf leisten. Dass das immer öfter realisiert wird, zeigt der Familienbericht: Väter haben in den vergangenen zehn Jahren die täglich mit ihren Kindern verbrachte Zeit gesteigert. Obwohl sie tendenziell auch nach der Geburt des Kindes Vollzeit arbeiten, haben sie ein ähnlich hohes Vereinbarkeitsdruckempfinden wie Alleinerziehende.

Der Anteil an Müttern mit Kindern unter 15 Jahren, die aktiv erwerbstätig sind, ist zwischen 2008 und 2018 von 65,3 auf 67,5 Prozent gestiegen, diese arbeiten jedoch zu 75 Prozent in Teilzeit, die diesbezügliche Teilzeitquote stieg im Vergleich zum Jahr 2008 um 8,7 Prozent an, wie aus dem Bericht darüber hinaus hervorgeht. Väter mit Kindern arbeiten zwar weit weniger in Teilzeit, jedoch stieg auch diese Zahl zwischen 2008 und 2018, und zwar von 4,5 auf 7,4 Prozent. Fast 90 Prozent der Teilzeit arbeitenden Frauen geben als Hauptgrund Betreuungspflichten von Kindern oder andere familiäre Gründe an.

Gewalt in der Familie

Ein Teilkapitel des Familienberichtes beschäftigt sich mit Gewalt in der Familie, die in den meisten Fällen Gewalt von Männern gegen Frauen ist. Gewalt gegen die Mutter hat auch Auswirkungen auf die Kinder, die, sofern sie nicht auch direkt betroffen sind, so indirekte Opfer von Gewalt in der Familie werden, macht das Familienressort aufmerksam. Die Gewaltformen, denen Frauen, Kinder und Jugendliche innerhalb der Familie ausgesetzt sind, reichen von Verletzungen der körperlichen und sexuellen Integrität über ökonomische oder emotionale Gewalt bis hin zu Isolation. Bei Gewalthandlungen wie Körperverletzung, Mord, Vergewaltigung, geschlechtlicher Nötigung oder sexuellem Missbrauch von Unmündigen besteht laut Statistiken ein deutlich höheres Risiko, einer Person im nahen sozialen Umfeld zum Opfer zu fallen als einer unbekannten Person.

Über die letzten Jahrzehnte hinweg wurden in Österreich die gesetzlichen Grundlagen für den Schutz vor häuslicher Gewalt weiterentwickelt. Mit dem Gewaltschutzgesetz 2019 wurde aus dem Betretungsverbot ein Betretungs- und Annäherungsverbot zum Schutz vor Gewalt, ab September 2021 müssen Gefährder eine verpflichtende Gewaltpräventionsberatung absolvieren. Weitere Verbesserungen speziell in Bezug auf Gewalt gegen Kinder brachten das Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz 2013 sowie das Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2013, wird im Bericht aufgezählt.

Armutsgefährdung und soziale Ausgrenzung von Familien in Österreich

Im Familienbericht wird auch auf einen Zusammenhang zwischen Familienform, Kinderzahl und Armutsgefährdung hingewiesen. In Österreich sind Familien laut den ExpertInnen mit mehreren Kindern und Alleinerziehende überdurchschnittlich stark von Armut oder Ausgrenzung bedroht. 2018 waren beinahe fünf von zehn Alleinerziehende armutsgefährdet. Unter den Alleinerziehenden weisen Frauen mit Kindern die höchsten Gefährdungsraten auf. Neben finanzieller Unterstützung brauche es Maßnahmen wie Bildungs- und Beratungsangebote, so die Ergebnisse mehrerer sozialwissenschaftlicher Erhebungen, um armutsgefährdete Familien nachhaltig zu unterstützen. Dennoch bleibe die Gefahr der Weitergabe von Armut und der Vererbung von Ungleichheit bestehen: die Bildung der Eltern, die Rahmenbedingungen, in denen Kinder aufwachsen, der Migrationshintergrund würden oft die Chancen der Kinder bestimmen. Dem entgegenzuwirken, bleibe eine der großen Herausforderungen der Familienpolitik der nächsten Jahre. (Schluss) map