Parlamentskorrespondenz Nr. 600 vom 20.05.2021

Nationalrat diskutiert Wirksamkeit der Kurzarbeit und anderer arbeitsplatzpolitischer Maßnahmen

Arbeitsminister Kocher: Phase 5 der Kurzarbeit soll angepasstes Modell für die Phase der Öffnung bringen

Wien (PK) – Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, um die aufgrund der COVID-19-Pandemie nach wie vor hohe Arbeitslosenrate und insbesondere Langzeitarbeitslosigkeit zu senken, bildeten einen thematischen Schwerpunkt der heutigen Nationalratssitzung. Der COVID-19-Kurzarbeitsbericht, den Arbeitsminister Martin Kocher vorgelegt hatte, bot den Abgeordneten Gelegenheit, die Wirksamkeit der Kurzarbeit im Jahr 2020 und im ersten Quartal 2021 zu bewerten. Insgesamt wurde die Maßnahme als sehr positiv bewertet, allerdings zeigten sich verschiedene Zugänge in der Frage, wie die Kurzarbeit in Zukunft angewendet werden soll. Die Koalitionsparteien begrüßten die Ankündigung von Arbeitsminister Martin Kocher, für die Phase 5 der Kurzarbeit, die mit Juli beginnt, gemeinsam mit den Sozialpartnern ein neues Modell zu präsentieren.

Neben der Frage des Erhalts von Arbeitsplätzen befasste sich das Nationalratsplenum mit den Vorschlägen der Opposition zur Schaffung neuer Arbeitsplätze, um insbesondere Langzeitarbeitslose wieder in Beschäftigung zu bringen. Drei Entschließungsanträge der SPÖ sowie weitere Anträge von FPÖ und NEOS wurden mehrheitlich abgelehnt. Anknüpfend an einen der SPÖ-Anträge sprach sich die Mehrheit der Abgeordneten aber dafür aus. 

Breiter Konsens der Abgeordneten, dass Corona-Kurzarbeit wesentlich für Sicherung von Arbeitsplätzen war

Auf Verlangen der NEOS diskutierte nach dem Ausschuss für Arbeit und Soziales auch das Nationalratsplenum den COVID-19-Kurzarbeitsbericht, den Arbeitsminister Martin Kocher vorgelegt hatte. Der Bericht führt die nach dem Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz (AMPFG) für das Jahr 2020 sowie das erste Quartal 2021 geleisteten Zahlungen für Kurzarbeit an. Um die Folgen der Pandemie am Arbeitsmarkt abzufedern, wurden demnach bis Ende März 2021 über 7,15 Mrd. € aufgewendet, berichtete Kocher. Insgesamt wurden 1.286.305 Personen durch Kurzarbeit gefördert, der Frauenanteil lag zuletzt bei 43,9%. Der Bericht wurde mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ und Grünen mehrheitlich zur Kenntnis genommen.

Nach wie vor gebe es keine Antworten auf die Frage, wie es auf dem österreichischen Arbeitsmarkt weitergehen solle, sagte Dagmar Belakowitsch (FPÖ). Vor allem die Frage der Weiterführung der Kurzarbeit sei völlig offen. Die Maßnahmen der Bundesregierung hätten bereits eine hohe Arbeitslosigkeit verursacht, nun fordere der Wirtschaftsbund auch noch einen massiven Sozialabbau durch Absenkung des Arbeitslosengeldes und der Notstandshilfe. Die ÖVP wolle die Opfer der Krise nochmals zahlen lassen. Das sei "schäbig", sagte Belakowitsch.

Die Corona-Kurzarbeit war, bei allem Änderungsbedarf, der sich nun ergebe, eine Erfolgsgeschichte, betonte Michael Hammer (ÖVP). Sie habe während der Phase der Lockdowns hunderttausende Arbeitsplätze gesichert. Die Aussage der FPÖ, wonach die Bundesregierung einen Sozialabbau plane, wies Hammer dezidiert zurück. Der Arbeitsminister habe einen realistischen Blick auf die Kurzarbeit, die nun der Konjunktur entsprechend weiterentwickelt werden müsse. Unter anderem wären dabei Fragen wie Kostenbeteiligung, Arbeitszeiten, Weiterbildung und anderes zu klären, um bis zum Sommer ein neues Modell vorstellen zu können. Die ÖVP-Abgeordneten Tanja Graf und Gertraud Salzmann betonten, die Corona-Kurzarbeit sei ein Erfolgsmodell, das in der Krise vor allem Frauen zugutegekommen sei.

Die Kurzarbeit habe zweifellos am Beginn der Corona-Krise viele Jobs gerettet, betonte auch Gerald Loacker (NEOS). Nun habe sich der Effekt aber ins Negative verkehrt, da Menschen in Kurzarbeit gehalten würden, während andere Bereiche Arbeitskräfte suchen. Zudem sei das Modell Kurzarbeit in der derzeitigen Form extrem betrugsanfällig. Auch werde Corona-Kurzarbeit unterdessen von Betrieben in Anspruch genommen, die nicht unter der Pandemie zu leiden hatten. In einem Entschließungsantrag, der aber keine Mehrheit fand, forderte Loacker einen schrittweisen Ausstieg aus der Kurzarbeit. Auch NEOS-Abgeordneter Josef Schellhorn sprach von einem Missverhältnis zwischen den vielen Personen in Kurzarbeit auf der einen und vielen offenen Stellen und Fachkräftemangel auf der anderen Seite. Hier müssten Motivationsanreize gesetzt werden, damit Menschen wieder Vollzeitarbeit annehmen. Die großzügige Kurzarbeitsregelung von 2020 sei 2021 nicht mehr notwendig. NEOS-Budgetsprecherin Karin Doppelbauer wiederholte die Kritik ihrer Fraktion und forderte, angesichts eines drohenden hohen Budgetdefizits wieder mehr Menschen in Arbeit zu bringen, statt die Kurzarbeit weiter fortzuführen.

Über die Wichtigkeit der Corona-Kurzarbeit herrsche Konsens, meinte Rudolf Silvan (SPÖ). Dieser Erfolg sei nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass das Modell von den Sozialpartnern gemeinsam ausgearbeitet wurde. Scharfe Kritik übte Silvan daran, dass Betriebe, die Gelder für Kurzarbeit in Anspruch nehmen, gleichzeitig hohe Dividenden und Boni an Vorstände gezahlt hätten. Auch wenn diese Zahlungen rechtlich abgesichert seien, seien sie doch angesichts der Tatsache, dass die ArbeitnehmerInnen die Hauptlast des Steueraufkommens tragen, das auch die Kurzarbeit finanziere, moralisch verwerflich. Die Kurzarbeit sei kein Selbstläufer gewesen, erinnerte Michael Seemayer (SPÖ). Viele Betriebe hätten zuerst Arbeitskräfte gekündigt und die Gewerkschaften hätten sich massiv dafür eingesetzt, dass Betriebe stattdessen Kurzarbeit in Anspruch nehmen. Kurzarbeit werde auch weiterhin ein wichtiges Instrument bleiben, müsse aber in Richtung einer längerfristigen Planbarkeit weiterentwickelt werden.

An die mehr als 7 Mrd. €, etwa 2% des BIP 2020, die für Kurzarbeit ausgegeben wurden, erinnerte Markus Koza (Grüne). Damit konnte man die Nachfrage stabilisieren und besonders das Abrutschen von einkommensschwachen Gruppen in die Armut verhindern. Besonders betroffen waren Handel, Tourismus und andere Dienstleistungen. Die Erholung der Konjunktur führe nun auch zum Rückgang der Kurzarbeit. Derzeit seien Verhandlungen der Sozialpartner über eine Nachfolgemodell im Gange, das sei auch richtig. Dabei müsse aber verhindert werden, dass Mitnahmeeffekte entstehen und Betriebe ihre Kosten auf die Allgemeinheit überwälzen. Nach wie vor gelte es aber, durch Arbeitsplätze Armut zu bekämpfen.

Arbeitsminister Kocher: Kurzarbeit wird auch weiterhin wichtiges Instrument bleiben

Arbeitsmarktminister Martin Kocher wies auf die bereits sich abzeichnende Entspannung der Arbeitsmarktsituation hin. Er gehe davon aus, dass sich der Trend durch die Öffnungen in den kommenden Wochen weiter fortsetzen werde, wenn Tourismus, Kunst und Kultur und der Sportbereich wieder ihre Tätigkeit aufnehmen können. Aus Sicht von Kocher war die Kurzarbeit ein entscheidendes Instrument, um der Krise zu begegnen. Das Besondere an der COVID-19-Kurzarbeit war aus Sicht Kochers, dass sie von der Dienstleistungsbranche am intensivsten genutzt wurde. Mit den Öffnungen erwarte er sich auch hier einen weiteren Rückgang der Kurzarbeit. Nun gelte es, die richtige Balance zu finden. Während einige Bereiche noch Kurzarbeit brauchen, zeichne sich in einigen Branchen bereits ein Mangel an Arbeitskräften ab. Die erforderliche Balance versuche er gemeinsam mit den Sozialarbeitern für die Phase 5 der Kurzarbeit, die mit 1. Juli 2021 beginne, zu finden. Darin werde eine Absicherung für jene Bereiche enthalten sein, die coronabedingt fallweise noch weiter geschlossen halten müssen, versicherte Kocher. Was die Arbeitsmarktreform angehe, werde er sich alle Vorschläge, die bereits auf dem Tisch liegen, genau ansehen. Er hoffe, dass die Reform nach einer breiten Diskussion kommenden Herbst in Angriff genommen werden kann.

Abgeordnete sprechen sich für Maßnahmen gegen Langzeitarbeitslosigkeit aus

Keine Mehrheit fand die SPÖ-Forderung, durch einen erleichterten Zugang zur Eingliederungsbeihilfe einen " Corona-Beschäftigungsbonus " zu schaffen. Wie bereits vom Ausschuss für Arbeit und Soziales wurde auch vom Nationalratsplenum ein Antrag der Koalitionsparteien, der im Zusammenhang mit diesem SPÖ-Anhang eingebracht wurde, mit Mehrheit angenommen. Der Arbeitsminister wird darin zu Investitionen in eine aktive Arbeitsmarktpolitik aufgefordert. Die Entschließung zielt unter anderem auf ein Gesamtkonzept für die Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit ab, das 50.000 Langzeitarbeitslose in Beschäftigung bringt.

Neben dem SPÖ-Antrag zum Corona-Beschäftigungsbonus wurden ein SPÖ-Antrag betreffend der Schaffung einer Aktion 40.000 für Langzeitarbeitslose mehrheitlich abgelehnt sowie der SPÖ-Antrag, Frauen am Arbeitsmarkt durch ein Maßnahmenpaket zur Krisenbewältigung besonders zu fördern. Auch ein Antrag der FPÖ, die eine Aktion 100.000 gegen die Corona-Langzeitarbeitslosigkeit forderte, fand keine Mehrheit. Ebenso blieb ein Antrag der NEOS, die eine Reform der aktiven Arbeitsmarktpolitik und die Umsetzung der OECD Empfehlungen "Going for Growth" forderten, in der Minderheit.

SPÖ-Abgeordneter Josef Muchitsch kritisierte, die Koalition habe zahlreiche konkrete Vorschläge der Opposition, wie man Menschen wieder in Arbeit bringen könnte, in Bausch und Bogen abgelehnt. Das von der Koalition angekündigte "Aktion Sprungbrett" sei "ein aufgelegter Schmäh und ein Rohrkrepierer", da sie nur längst bestehende Projekte unter anderem Namen zusammenfasse. Mit aktiver Arbeitsmarktpolitik, die zur Senkung der Langzeitarbeitslosigkeit erforderlich sei, habe es nichts zu tun. Muchitsch appellierte an den Arbeitsminister, die Sozialpartner in die Maßnahmen zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit einzubinden sowie den Vorstoß der Wirtschaftskammer zur Senkung des Arbeitslosengelds klar zurückzuweisen. Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) sprach die Situation von Frauen am Arbeitsmarkt an sowie die aus ihrer Sicht bestehende Notwendigkeit, vor allem Familien im unteren Einkommenssegment zu unterstützen. Der von ihr eingebrachte SPÖ-Entschließungsantrag, während der kommenden zwei Jahre halbjährlich eine zusätzliche Monatsrate der Familienbeihilfe auszuzahlen, fand aber keine Mehrheit.

Die Opposition setze mit ihren Vorschlägen vor allem auf Schlagworte und Quantität statt auf Qualität, befand Rebecca Kirchbaumer (ÖVP). Die Maßnahmen der Bundesregierung seien hingegen nachhaltig angelegt. Bei der Bewältigung der Herausforderung, Langzeitarbeitslose in Beschäftigung zu bringen, werde die "Aktion Sprungbrett" zweifellos einen wichtigen Beitrag leisten. Das Anliegen, Arbeitsplätze zu schaffen, sei zwar allen gemeinsam, die Zugänge seien aber sehr unterschiedlich, sagte Tanja Graf (ÖVP). Die Vorschläge der Opposition würden keine längerfristig abgesicherten Arbeitsplätze schaffen. ÖVP-Abgeordnete Bettina Zopf verwies auf den Frühstarter-Bonus, der es vielen Menschen ermögliche, eine höhere Pension zu erzielen. Vor allem Frauen könnten davon profitieren, da sie oft lückenhafte Erwerbskarrieren hätten. Die Bundesregierung mache für Frauen bereits weit mehr, als die Opposition fordere, meinte Zopf, während vor allem die SPÖ Maßnahmen nach dem Gießkannenprinzip fordere.

Den Vorwurf, Schlagworte anstelle konkreter Maßnahmen zu bieten, gab Dagmar Belakowitsch (FPÖ) an die Koalitionsparteien zurück. Aus Sicht der FPÖ gelte es, die bereits bestehenden Maßnahmen des AMS flexibler einzusetzen, statt Arbeitslose einem starren System zu unterwerfen. Auch müssten mehr Jugendliche die Möglichkeit einer Lehre in einem Betrieb erhalten. Sie in überbetrieblichen Lehrwerkstätten "zu parken", sei nicht zielführend. Peter Wurm (FPÖ) befand ebenfalls, die "Aktion Sprungbrett" sei kaum mehr als ein Schlagwort. Die Langzeitarbeitslosen seien in erster Linie Opfer der verfehlten Corona-Maßnahmen der Bundesregierung. Wurm warnte davor, dass ArbeitnehmerInnen in Zukunft Gesundheitsdaten offenlegen müssen. Die Grünen als Koalitionspartner der ÖVP hätten diese Gefahr aber offenbar "intellektuell nicht verstanden". Für diese Wortwahl erhielt Abgeordneter Wurm von Zweiter Nationalratspräsidentin Doris Bures einen Ordnungsruf.

Die Langzeitarbeitslosigkeit sei durch die Corona-Krise in bestimmten Bereichen deutlich verstärkt worden, unterstrich Markus Koza (Grüne). Die "Aktion Sprungbrett" enthalte viele der Maßnahmen, die die Opposition einfordere, und berücksichtige dabei die Erkenntnisse aus früheren Maßnahmen. Damit werde man treffsicher und zielgruppenorientiert vorgehen können und Menschen erreichen, die es am Arbeitsmarkt besonders schwer haben. Das Ziel, 50.000 Menschen aus der Langzeitarbeitslosigkeit in Beschäftigung zu bringen, sei ausgesprochen ambitioniert. Bedrana Ribo (Grüne) verwies auf den geplanten Corona-Bonus von 500 € für die Beschäftigten im Gesundheitsbereich. Zwar könne er nicht das abdecken, was die Gruppe während der Krise für uns alle getan habe, sei aber zumindest ein Symbol der Wertschätzung.

Die Bundesregierung agiere arbeitsmarktpolitisch nach dem Motto "Viel hilft viel", meinte Gerald Loacker (NEOS). Das sei aber der falsche Zugang. Der Rechnungshof habe mehrfach festgestellt, dass viele AMS-Maßnahmen nicht zielsicher sind. Die derzeitige Struktur der AMS-Leistungen fördere Langzeitarbeitslosigkeit sogar tendenziell, zeigte sich Loacker überzeugt. Henrike Brandstötter (NEOS) kritisierte den Zugang der Regierung zur Förderung von Frauen am Arbeitsmarkt gehe am eigentlichen Problem, der Teilzeitarbeit, vorbei. Frauen müssten diese vor allem deshalb in Anspruch nehmen, weil sie neben der Berufsarbeit den Großteil der unbezahlten Familienarbeit übernehmen. (Fortsetzung Nationalrat) sox

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.