Parlamentskorrespondenz Nr. 617 vom 25.05.2021

Zukunft Europas: Jugendliche als ExpertInnen für ihre Altersgruppe

Virtuelle Diskussion ZUKUNFT. JUGEND. EUROPA. im Bundesrat

Wien (PK) – Eine breite Palette an Ideen, Wünschen und Sorgen zur Zukunft Europas thematisierten heute in der virtuellen Diskussion des Bundesrats "ZUKUNFT. JUGEND. EUROPA." österreichische Jugendliche in ihren Statements. Im Vorfeld der Veranstaltung hatten die RednerInnen an einem digitalen Videobewerb teilgenommen, in dem sie aufgerufen waren, ihre Inputs zur Zukunft Europas in Videostatements zu teilen.

Den Auftakt zur Veranstaltung im Parlament in der Hofburg - in Kombination aus Videobeiträgen und Reden vor Ort - bildeten Grußbotschaften politischer VertreterInnen aus Österreich und Europa (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 616/2021).

Vorstellungen von der Zukunft Europas

Das Spektrum der vorgetragenen Themen der jungen Erwachsenen aus verschiedenen Bundesländern reichte von Dialog- und Partizipationsmöglichkeiten über Rechtsstaatlichkeit, Erasmus+ und eine "EU zum Angreifen" für Lehrlinge, Breitband und Digitalisierung bis hin zu einer nachhaltigen Forstwirtschaft, für die es ein europaweites Konzept und ein klares Bekenntnis zur Bewirtschaftung der Wälder für Rohstoff und Arbeitsplätze brauche.

Zur Klimakrise brauche es konkrete verbindliche Zwischenziele, forderte eine Teilnehmerin. Hier werde derzeit zu sehr "prokrastiniert". Außerdem sollten Jugendinteressen zur Priorität gemacht und nicht nur "gehört" werden, wurde von mehreren Seiten aufgeworfen. Jugendliche sollten an den Verhandlungstisch und von den EntscheidungsträgerInnen als ExpertInnen für ihre Altersgruppe wahrgenommen werden.

In Frage gestellt wurde das Einstimmigkeitsprinzip in der EU. Dieses blockiere und verhindere dringende Reformen, so die Bedenken. Selbst in einer Schulklasse mit 27 SchülerInnen sei eine Einigung aller nie möglich, warf eine Teilnehmerin auf.

Es brauche außerdem ein Förderungssystem, um Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen, lautete ein Anliegen. Als wichtiger Aspekt der EU gelte etwa die Reisefreiheit. Umgekehrt führe in ländlichen Regionen fehlendes Wissen zu einer EU-Skepsis.

Was die Digitalisierung betrifft, brauche es im Hinblick auf Daten, Technologien und Infrastruktur Rahmenbedingungen für Innovationen und neue Geschäftsideen. In der Bildung gelte es, über die Hardware hinaus in das Know-how dahinter zu investieren.

Aktuell sei etwa durch die Situation in der Pandemie das Vertrauen in die EU nicht am Höchststand, wie ein Teilnehmer aufwarf. Eine weitere Forderung einer Teilnehmerin lautete, es sollten keine EU-Gelder mehr an Mitgliedstaaten fließen, die ihr "Rechtsstaatsystem an die Wand fahren". Dafür gelte es, starken Journalismus zur langfristigen Erhaltung der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu fördern.

Kritik an der EU dürfe nicht jenen überlassen werden, die sie zerstören wollen, so ein weiterer Redner, der sich unter anderem für gemeinsame EU-Außengrenzen, mehr Selbstbewusstsein für die EU als drittgrößte Volkswirtschaft und für mehr Demokratie – etwa mit einer Direktwahl des Kommissionspräsidenten – aussprach. Eine weitere Teilnehmerin möchte etwa durch verstärkte Förderung außerschulischer Kinder- und Jugendorganisationen sowohl Jugendlichen im ländlichen Bereich die EU "schmackhaft" machen, andererseits jungen Menschen bessere Chancen ermöglichen, nach Europa zu kommen.

Mitglieder des Bundesrats im Dialog mit der Jugend

Zum Abschluss der Veranstaltungen hatten VertreterInnen der im Bundesrat vertretenen Parteien Gelegenheit zu Statements und zu Fragen an die Jugendlichen. Aus Sicht von Karl Bader, Vorsitzender der ÖVP-Bundesratsfraktion, ist es wichtig, das Vertrauen in die EU zu stärken, nachdem der Umgang mit der Pandemie Schwächen aufgezeigt habe. Er wollte wissen, wie die Jugend zum Einstimmigkeitsprinzip für wichtige EU-Entscheidungen stehen.

Elodie Arpa erachtete es als wichtig, dass die EU auf internationaler Ebene mit einer Stimme spreche. Das heiße für sie aber, dass einzelne Staaten wichtige Entscheidungen nicht blockieren dürften, denn das schädige auch das Vertrauen in die EU. Martin Brandstätter fügte hinzu, Mehrheitsentscheidungen seien ein demokratisches Prinzip, das auch für die EU gelten sollte. Ein Vetorecht werde im Sinne des Schutzes kleinerer Staaten in bestimmten Fragen aber weiterhin nötig sein.

Die Fraktionsvorsitzende der SPÖ im Bundesrat Korinna Schumann äußerte sich besorgt darüber, dass die Bedeutung der EU als Friedensprojekt gefährdet sei. Europa gerate durch große Wirtschaftsblöcke von außen und durch extremen Nationalismus im Inneren immer mehr unter Druck. Ihre Frage sei daher, wie ein gerechtes und soziales Europa entwickelt werden könne.

Alexandra Hilkenmeier vertrat den Standpunkt, ein gerechtes und soziales Europa müsse jedenfalls allen Menschen, die legal hier leben, die volle Teilnahme am gesellschaftlichen und politischen Leben ermöglichen, statt sie auszugrenzen. Struktureller Rassismus müsse klar angesprochen werden, darin war sich Larissa Lojic mit ihrer Vorrednerin einig. Nicht vergessen werden dürften die Jugendlichen, die nicht dieselben Möglichkeiten haben, sich öffentlich zu artikulieren, sagte Lojic.

Europa umfasse mehr als die Europäische Union, betonte FPÖ-Bundesrat Johannes Hübner mit Blick auf Großbritannien oder Ost- und Südosteuropa. Die Gestaltung der EU werfe auch viele Fragen auf, etwa die EU-Agrarpolitik, die die regionale Produktion unter Druck setze. In den Fragen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ortete Hübner einen grundlegenden Widerspruch zwischen der nationalen Selbstbestimmung und dem Anspruch der EU-Institutionen. Das Vetorecht sei daher ein wichtiges Element für die Bewahrung des demokratischen Prinzips.

Valentina Gutkas meinte, die Frage der Agrarproduktion sei zweifellos ein komplexes Thema, die EU-Landwirtschaftspolitik habe aber auch positive Effekte beim Schutz der regionalen landwirtschaftlichen Produktion.

Bundesrat Andreas Lackner (GRÜNE) sprach den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, Lohndumping und prekäre Arbeitsverhältnisse sowie die Wichtigkeit von Bildungsgerechtigkeit an. Nachdem "Fridays for Future" einen echten Paradigmenwechsel ausgelöst habe, sei Frage für ihn die Frage, wie die digitale Transformation der Wirtschaft und der Ausstieg aus fossilen Energieträgern gelingen könne. Elodie Arpa meinte dazu, die Ideen dazu lägen vor. Nun müssten Digitalisierung und Klimaschutz in allen Bereichen als Priorität gesehen und die vorhandenen Ideen umgesetzt werden.

Bundesrat Karl-Arthur Arlamovsky, der die NEOS im Bundesrat vertritt, wünschte sich ein "handlungsfähiges und mutiges Europa". Aus Sicht der NEOS sollten daher die Ergebnisse der EU-Zukunftskonferenz in eine europäische Volksabstimmung münden. Zudem sollte die Zukunftskonferenz zu einer Klimakonferenz werden. Statt des EU-Rates sollte ein EU-Parlament mit zwei Kammern zum EU-Gesetzgeber werden.

Larissa Lojic begrüßte die Idee einer Volksabstimmung, meinte aber auch, zuerst müsse die EU-Zukunftskonferenz größere Bekanntheit erreichen. Auch für Elodie Arpa ist eine größere Verbindlichkeit der Zukunftskonferenz wünschenswert. Die Frage der Nachhaltigkeit müsse in allen Bereichen mitbedacht werden, stimme sie Lojic zu.

Der Leiter der Vertretung der EU-Kommission in Österreich Martin Selmayr sagte, viele guten Ideen seien an diesem Vormittag präsentiert worden. Vieles von dem, was angesprochen worden sei, sei aber in erster Linie Angelegenheit der Nationalstaaten, etwa die Frage der offenen Grenzen. Als Resümee der Beiträge nehme er jedenfalls mit, dass die EU in vielen Fragen sehr viel mutiger handeln sollte.

Er sehe den Vormittag als Auftakt für weitere Gespräche über die Zukunft Europas, unterstrich Bundesratspräsident Christian Buchmann. Nichts sei mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen sei. Er empfinde es als ermutigend, dass alle TeilnehmerInnen die Themen Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Entwicklungschancen der Regionen angesprochen haben. "Europa ist eine Chance, nutzen wir sie!", schloss Buchmann.

Die Ergebnisse und Erkenntnisse der virtuellen Diskussionsveranstaltung werden als Beitrag des Bundesrats zum Zukunftsdialog der Europäischen Kommission übermittelt. Die Aufzeichnung der Veranstaltung ist in der Mediathek des Parlaments on Demand abrufbar. (Schluss) mbu/sox

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie auf der Website des Parlaments.


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