Parlamentskorrespondenz Nr. 1005 vom 22.09.2021

Aufgabenbereich des österreichischen Wissenschaftsrats hat sich in den letzten Jahren erweitert

Beratungsgremium der Bundesregierung im Wissenschaftsbereich hat seinen Tätigkeitsbericht für 2018, 2019 und 2020 vorgelegt

Wien (PK) – Der österreichische Wissenschaftsrat (ÖWR) versteht sich als unabhängiges und sachkundiges Beratungsorgan der Bundesregierung, das wichtige Expertise zur Optimierung und zielgerichteten Weiterentwicklung des österreichischen Wissenschafts- und Hochschulsystems zur Verfügung stellt. Im vergangenen Jahrzehnt habe sich der Umfang seiner Aufgaben stark erweitert, stellt der ÖWR in seinem Tätigkeitsbericht für die Jahre 2018 bis 2020 fest (III-419 d.B.). Insgesamt hat der Wissenschaftsrat im Zeitraum 2018 bis 2020 sechs umfangreiche Empfehlungen und Stellungnahmen zu Fragen des Wissenschaftsstandorts vorgelegt. Außerdem hat der ÖWR im Berichtszeitraum seinen Tätigkeitsbericht für die Periode 2015 bis 2017 vorgelegt sowie gemeinsam mit dem FWF (Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung) eine Studie zur Standortbestimmung der Bildungsforschung in Österreich erstellt.

Österreichische Forschungsförderungslandschaft braucht Zusammenführung von Strukturen

Das kontinuierliche Monitoring der Forschungsförderung in Österreich zeige eine unübersichtliche Forschungsförderungslandschaft, gezeichnet von administrativer Überfrachtung, hält der ÖWR fest. Mangelnde Transparenz der Finanzierungsleistungen erschwere klare Schlüsse über die Geldflüsse, was zu einer Schwächung des gesamten Forschungssystems beitrage. Der Wissenschaftsrat hat daher drei zentrale Empfehlungen ausgesprochen. Zum einen hält er eine Entflechtung der Mehrfachstrukturen durch eine organisatorisch sinnvolle, komplementär gestaltete Zusammenführung von Förderinstitutionen für notwendig. Weiters empfiehlt er die Einführung einer Dokumentationspflicht der Geldflüsse aller Fördereinrichtungen, insbesondere der Finanzierungen durch Bund und Länder. Weiters soll eine regelmäßige externe Evaluierung der Forschungsförderungsinstitutionen hinsichtlich der Einhaltung wissenschaftlicher Standards erfolgen.

Exzellenzprogramm für Österreich soll attraktiven Wissenschaftsstandort sichern

Zur Stärkung des Wissenschafts- und Wirtschaftsstandortes Österreich spricht sich der Wissenschaftsrat für die Umsetzung eines Exzellenzprogramms aus, dessen Ziel der "beharrliche Ausbau der Stellung Österreichs als attraktiver Wissenschaftsstandort für exzellente Köpfe und innovative Forschung und der damit verbundenen Rahmenbedingungen" sein müsse. Die unumstrittene Voraussetzung hierfür ist für den ÖWR ein umfassendes politisches Bekenntnis zum Ausbau der grundlagenorientierten Forschung und Formen der langfristigen, ausschließlich wettbewerbsbasierten Förderung.

Der Wissenschaftsrat empfiehlt die Einrichtung von zwei unabhängigen Förderlinien: "Exzellenzcluster" und "Zukunftsprofessuren". Die für Spitzenforschung nötigen Rahmenbedingungen müssten zudem über eine begleitende Förderlinie "Forschungsinfrastruktur" verbessert werden, betont das Gremium. Die Effekte der Förderlinien seien dabei ständig zu reflektieren und nötigenfalls Änderungen vorzunehmen. Der Finanzierungsrahmen der drei Förderlinien wird vom ÖWR bei rund 100 Mio. € angesetzt, unabhängig von und zusätzlich zu bestehenden budgetären Vereinbarungen.

Weiterentwicklung der Kunstuniversitäten: Stärken wahren und Relevanz stärken

Vor dem Hintergrund des gesamtösterreichischen Entwicklungsplans der Universitäten, der Erhöhung des Universitätsbudgets und der Einführung eines neuen Finanzierungsmodells setzte sich eine interne Arbeitsgruppe des ÖWR zum Ziel, die Stärken und Potentiale der Kunstuniversitäten aufzuzeigen sowie ihre Rolle im Wissenschaftssystem zu bewerten. Die dabei ausgesprochenen Empfehlungen richten sich an die politischen EntscheidungsträgerInnen und an die Kunstuniversitäten selbst. Bei expliziter Anerkennung bestehender Stärken empfiehlt der ÖWR die Erhöhung der Relevanz und der Exzellenz und Innovation in der Forschung und Lehre. Ausstattung und Infrastruktur der Kunstuniversitäten müssten erhalten und ausgebaut werden. Neben der Förderung von Talenten und von Forschungsexpertisen wird den Universitäten der Ausbau der Kooperationen und des Dialogs empfohlen. Von den politischen EntscheidungsträgerInnen wird insbesondere der Ausbau finanzieller Mittel eingefordert, um unter anderem bereits bestehende Forschungsförderungsprogramme besser ausstatten zu können.

Wissenschaftsrat befürwortet einheitliches Beratungsgremium

Das Vorhaben einer Zusammenlegung der derzeit bestehenden Beratungsgremien Wissenschaftsrat, des Rats für Forschung und Technologieentwicklung (FTE) und des ERA Council Forums wird vom ÖWR in einer Stellungnahme und Empfehlung ausdrücklich unterstützt. Eine Bündelung der Expertisen ermögliche eine effiziente und ausgeweitete Beratung der gesamten Bundesregierung und deren sämtliche mit Wissenschafts- und Innovationspolitik befassten Organe. Die thematische Ausrichtung des mehrjährigen Arbeitsprogramms sollte in Abstimmung mit der FTI-Strategie und im Dialog mit der Bundesregierung festgelegt werden. Die Stellungnahme und Empfehlung adressiert die mögliche Rechtsform des neuen Rates als juristische Person des öffentlichen Rechts, die Bestellung der rund 16 Mitglieder, deren Qualifizierungsprofil und Zusammensetzung bis hin zu deren möglicher Arbeitsweise, unterstützt durch die ausdifferenzierte Expertise des wissenschaftlichen Personals der Geschäftsstelle, wobei stets auf die Unabhängigkeit des neuen Gremiums verwiesen wird.

Bewertung der Leistungsvereinbarungen 2019 bis 2021 zeigt Verbesserungsbedarf

Seit 2006 nimmt der Österreichische Wissenschaftsrat Stellung zu den Leistungsvereinbarungen zwischen dem Bund und den Universitäten. Neben einer genauen Analyse von insgesamt 22 Leistungsvereinbarungen mit Universitäten habe man erstmals das direkte Gespräch mit den RektorInnen bei einem Gesprächsforum gesucht, ergänzt durch Einzelgespräche, berichtet der ÖWR. Was die Funktion der Leistungsvereinbarung als Steuerungsinstrument und den Prozess der Erzielung der Vereinbarungen betrifft, sieht der ÖWR den Bedarf der Optimierung der Kommunikation zwischen Ministerium und den Universitäten in der Verhandlungsphase und in den Leistungsvereinbarungen selbst. Der ÖWR empfiehlt unter anderem die verstärkte Förderung von Abstimmungen und Kooperationen zwischen den Einrichtungen, insbesondere im Bereich der Lehre. Neben der Erhöhung der prüfungsaktiven Studierenden müsse auch der finanzielle Ausbau der österreichischen Förderlandschaft, vor allem in der Grundlagenforschung, ein vorrangiges Ziel sein.

Potenziale und Grenzen bibliometrischer Methoden

Der Wissenschaftsrat setzt sich kontinuierlich mit den Entwicklungen auf den Gebieten der Steuerung und Evaluation von Wissenschaft auseinander. 2020 richtete er den Fokus auf die Bibliometrie, die Anwendung mathematischer und statistischer Methoden zur Bewertung von Forschung und Forschungsleistung. Unter dem Titel "Vom Messen und gemessen werden" beurteilte der ÖWR den Stellenwert der bibliometrischen Methode in der Evaluation der Leistungen von wissenschaftlichen Disziplinen. Neben der Erkundung der Datenquellen und der zentralen metrischen Impact-Indikatoren richtet der ÖWR seinen Blick auch auf die derzeitige Einbettung der Bibliometrie an österreichischen und internationalen Universitäten, um den derzeitigen Stellenwert der Methodik zu erheben.

Der ÖWR spricht sich in seiner Stellungnahme dahingehend für eine kritische, aber dennoch offene Auseinandersetzung mit der Methodik der Bibliometrie aus. Nur ein gutes Verständnis disziplinärer Besonderheiten und die Einbeziehung von ExpertInnen des jeweiligen Feldes erlaube es, einen größtmöglichen Nutzen bibliometrischer Evaluierungen zu erzielen. Insgesamt sieht der ÖWR weitreichende Möglichkeiten der Bibliometrie, insbesondere zur Potenzialanalyse von Forschungsleistung, emergenten Feldern und Netzwerken sowie zur Unterstützung institutioneller Selbstreflexion. Der ÖWR empfiehlt die gemeinschaftliche Nutzung und Weiterentwicklung der Methodik, der Datengrundlagen und der Indikatoren an den österreichischen Universitäten. Ziel solle ein unabhängiges, nationales Kompetenzzentrum sein.

Bildungsforschung schöpft Potenziale noch nicht aus

In Zusammenarbeit mit dem FWF wurde der Wissenschaftsrat von der Innovationsstiftung für Bildung beauftragt, die Datengrundlage für die Standortbestimmung der Bildungsforschung in Österreich zu erheben. Dies erfolgte in Form einer detaillierten Interviewstudie, einer Online-Umfrage und einer von CWTS Leiden durchgeführte bibliometrischen Analyse. Ein internationales ExpertInnenpanel erarbeitete aus dieser Datengrundlage die Stärken der österreichischen Bildungsforschung insbesondere in den Bereichen der Bildungspsychologie, Lehr- und Lerntechnologien, Dyslexie, Phoniatrie, Lehrerinnen- und Lehrerbildung und Didaktik. Ebenso wurden methodische Stärken hervorgehoben. Schwächen der Bildungsforschung wurden bei der Drittmitteleinwerbung geortet. Die Empfehlungen des Panels sind auf die Entwicklung zielgerichteter Förderprogramme mit Anreizwirkung ausgerichtet, um die Rolle der Bildungsforschung in einer evidenz-basierten Steuerung und Entwicklung des Bildungssektors in Österreich aufzuwerten. (Schluss) sox