Parlamentskorrespondenz Nr. 179 vom 26.02.2022

Untersuchungsausschuss: Fachgespräch zum Thema Schutz der Persönlichkeitsrechte

RechtsexpertInnen erörtern Grundrechtsfragen im System der parlamentarischen Aufklärung

Wien (PK) - Zum Thema "Beschuldigtenrechte unter Druck - rechtliche und politische Aufklärung im Gleichschritt" hat Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka zu einem Fachgespräch mit RechtsexpertInnen in das Parlament in der Hofburg eingeladen. Im Hinblick auf den parlamentarischen Untersuchungsausschuss stand dabei die Frage im Zentrum, ob das System zur parlamentarischen Aufklärung und Kontrolle einen wirksamen Grundrechtsschutz gewährleistet. So finden etwa immer wieder Unterlagen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind, ungeschwärzt den Weg in die Medien, was laufende Ermittlungen gefährden und später stattfindende Strafverfahren beeinflussen könne.

In seinen Eröffnungsworten sprach Nationalratspräsident Sobotka von einer intensiven Diskussion zu diesem Thema, die den Untersuchungsausschuss begleite. Er sei als Vorsitzender auch dafür verantwortlich, darauf zu achten, dass die Grund- und Persönlichkeitsrechte gewahrt werden. Durch die digitalen Möglichkeiten sei vieles ins Wanken gekommen. Mit der heutigen Diskussion sei es ihm ein Anliegen, eine möglichst breite Meinungsvielfalt zu sammeln und in den parlamentarischen Diskussionsprozess einzuspeisen. Wenn Betroffene, deren Rechte missachtet werden, einmal in der Öffentlichkeit stehen, sei der Schaden bereits angerichtet, so der Nationalratspräsident.

RechtsexpertInnen über Rechtsrahmen, Rollen und Rechtsmittel

Entsprechend der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs darf der Schutz der Grund- und Menschenrechte bei der Übermittlung der Daten nicht in die Abwägung des vorlagepflichtigen Organs einfließen. Alles, das für die politische Aufklärung "abstrakt" relevant sein könnte, ist zu liefern.

Eingangsstatements zu diesem Thema kamen von Katharina Pabel, Institut für Europarecht und Internationales Recht der WU Wien, von Robert Kert, Institut für Österreichisches und Europäisches Wirtschaftsstrafrecht der WU Wien sowie von Eckart Ratz, Präsident des Obersten Gerichtshofs i. R..

Katharina Pabel erörterte die rechtlichen Rahmenbedingungen von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen. Es gehe um Geltendmachung von politischer Verantwortung - durch das Minderheitsrecht zur Einsetzung von Untersuchungsausschüssen verfüge die Opposition über ein starkes Kontrollmittel, das gelegentlich als das schärfste Schwert der Opposition bezeichnet wird. Die rechtlichen Grundlagen für das U-Ausschuss-Verfahren erachte sie grundsätzlich für tauglich, aber es gebe auch ein Spannungsverhältnis, das auf politischen Gegensätzen beruhe und nicht durch einen rechtlichen Rahmen aufgelöst werden könne.

Robert Kert schloss sich Pabel etwa in dem Punkt an, dass Schwierigkeiten aus seiner Sicht eher an der praktischen Handhabung wie der Befragungskultur liegen, als an den rechtlichen Regelungen selbst. Auch er betonte wie Pabel, ein Untersuchungsausschuss sei kein Strafverfahren, wo am Ende mit einem Urteil gegebenenfalls die Unschuldsvermutung aufgehoben werde. Es gelte im U-Ausschuss-Verfahren jedenfalls darauf zu achten, dass die Unschuldsvermutung aufrecht bleibe. Im U-Ausschuss gebe es auch keine "Beschuldigten", sondern Auskunftspersonen, so Kert. Das öffentliche Interesse und den Schutz der betroffenen Person gelte es abzuwägen. Entscheidend ist aus seiner Sicht auch, dass es keinen Zwang und keine Pflicht zur Selbstbelastung geben darf.

Für Eckart Ratz ist die Situation unter anderem eine Frage der rechtlich vorgegebenen Rollen. So müsse ein Abgeordneter der Minderheit "Skandal" schreien; die Objekte dieses berechtigten Skandalschreis haben als betroffene Personen aber auch ein Grundrecht auf eine effektive Beschwerde. Ratz meinte allerdings, dass die Beschwerde im Nachhinein offensichtlich nicht effektiv sei. Der VfGH hat bei den Verfahren zu den Untersuchungsausschüssen die Grundrechte bewusst nicht geschützt, sondern nur die öffentlichen Ansprüche des Parlaments und der öffentlichen Organe bewertet. Der VfGH habe sich als Organgericht nur auf den Organstreit bezogen und es etwa der Gerichtsbarkeit überlassen, nicht zu viel vorzulegen. Man könne somit unter Umständen von einem Organversagen der ordentlichen Gerichtsbarkeit sprechen.

Podiumsdiskussion ortet Regelungsbedarf bei der Sicherung von Grundrechten

An der anschließenden Podiumsdiskussion samt Fragerunde nahmen zusätzlich zu den EingangsreferentInnen auch Bettina Knoetzl, Vizepräsidentin der Rechtsanwaltskammer Wien sowie Georg Eisenberger vom Institut für Öffentliches Recht und Politikwissenschaft der Universität Graz teil. In der Diskussion wurde von den TeilnehmerInnen am Podium wie im Publik mehrfach die Parallelität von Strafverfahren und Untersuchungsausschüssen angesprochen und die Frage gestellt, ob diese sinnvoll oder doch eher störend sei und wo Verbesserungsbedarf bestehe. In diesem Zusammenhang wurde von einigen DiskutantInnen Handlungsbedarf des Gesetzgebers geortet, um den Grundrechtsschutz sicherzustellen. Dabei wurde vor allem die Frage erhoben, wie mit elektronischen Daten umzugehen sei, etwa mit Chats.

Auf der anderen Seite wurde auch eine Aufgabe der politischen Kultur gesehen. Diese müsse darauf gerichtet sein, mediale "Eskalation" rund um Untersuchungsausschüsse zu vermeiden. Auch die beteiligten Abgeordneten seien gefordert, dafür zu sorgen, dass Untersuchungsausschüsse möglichst objektiv arbeiten können.

Aus Sicht von Georg Eisenberg muss die Pflicht des Untersuchungsausschusses zur Wahrheitsfindung im Vordergrund stehen. Er befürchte, dass diese bei der derzeitigen Art der Befragung im Ausschuss oft in den Hintergrund trete. Live-Übertragungen der Ausschüsse sah er deshalb kritisch, da diese die Tendenz zu medienwirksamen Inszenierungen noch verstärken würden. Aus seiner Sicht müsse auf eine angemessene Geheimhaltungsstufe von übermittelten Akten aus Strafverfahren geachtet werden, damit nicht alles, was in den Untersuchungsausschuss gelange, sofort den Weg in die Medien finde. Auch er bekräftigte, dass es aus seiner anwaltlichen Sicht keinen Rechtsschutz für Persönlichkeitsrechtsverletzungen im U-Ausschuss gibt.

Bettina Knoetzl betonte, es gebe für einen Untersuchungsausschuss immer die Spannung zwischen dem Interesse der Wahrheitsfindung und dem Interesse der Wahrung der Grundrechte. Grundsätzlich müsse das Grundprinzip für faire Verfahren auch im Untersuchungsausschuss gelten, dass niemand sich selbst beschuldigen müsse. Untersuchungsausschüsse sollten kein Ersatz-Strafverfahren werden. Das Interesse der politischen Aufklärung müsse aber ebenfalls gewahrt bleiben und sichergestellt werden. Am Ende des Tages seien wir in einem Rechtsstaat und sogar im Strafverfahren würden Persönlichkeitsrechte höher gestellt als die Wahrheitsfindung, wie sich bei Beweisverwertungsverboten zeige. Dieses Grundverständnis fehle einfach in Untersuchungsausschüssen. Eine Nachkontrolle ohne aufschiebende Wirkung stellt auch aus ihrer Sicht keinesfalls einen effektiven Rechtsschutz dar.

Katharina Pabel griff die Frage auf, ob die derzeitige Form der Fragestellung in Untersuchungsausschüssen tatsächlich in erster Linie der Wahrheitsfindung dient. In diesem Sinne sei zu überlegen, ab welchem Zeitpunkt es sinnvoll sei, die Öffentlichkeit über Ergebnisse des Ausschusses zu informieren. Einer Live-Übertragung von Sitzungen des Ausschusses stand sie skeptisch gegenüber. Die Diskussion über die Nachschärfung der Menschenrechte im Umgang mit gespeicherten elektronischen Daten werde derzeit intensiv geführt, es sei jedenfalls unumgänglich, sich ihr zu stellen.

Der Wirtschaftsstrafrechtler Robert Kert meinte, grundsätzlich gelte, dass für das Strafverfahren irrelevante Sachverhalte von der Staatsanwaltschaft nicht aufbewahrt oder weitergegeben werden dürfen. Für Untersuchungsausschüsse seien aber oft andere Sachverhalte interessant als für Strafverfahren. Ein Problem sehe er darin, dass derzeit die Übermittlung und Auswertung von Chats noch sehr ungeregelt sei. Aus seiner Sicht wäre diese wie die Telefonüberwachung zu sehen. Wichtig wäre jedenfalls, dass dem Prinzip der Geheimhaltung des Vorverfahrens entsprochen wird. Er bekräftigte noch einmal, dass es nicht sinnvoll sei, parlamentarische Untersuchungsausschüsse erst nach Abschluss von Strafverfahren zuzulassen, sondern einen Weg zu finden, wie die dargestellten Probleme gelöst werden können.

Der emeritierte Höchstrichter Eckart Ratz meinte, ein Grundproblem bestehe darin, dass die Staatsanwaltschaft von Untersuchungsausschüssen immer wieder aufgefordert werde, Sachverhalte weiterzugeben, die außerhalb ihrer Kompetenz in der Strafermittlung liegen. Aus seiner Sicht werde hier das Problem der Wahrung der Checks und Balances im Rechtsystem berührt. Was die Frage des Grundrechtsschutzes bei der Auswertung von elektronischen Daten betreffe, so gebe es bereits gesetzliche Regelungen, sie müssten jedoch angewendet werden. Ratz riet zu Vorsicht dabei, diese Frage zu rasch durch neue Gesetze regeln zu wollen. Offene Fragen solle man zuerst an den Obersten Gerichtshof herantragen. Dort sei die Kompetenz vorhanden, darüber zu entscheiden.

Parlamentsdirektor Dossi: Zahlreiche Anregungen für Weiterentwicklung der Untersuchungsausschüsse

Parlamentsdirektor Harald Dossi hielt in seinen Abschlussworten fest, dass die Parlamentsdirektion sich als Unterstützerin der Gesetzgebung und damit der parlamentarischen Kontrollfunktion verstehe. Sie fühle sich dabei dem Schutz der Persönlichkeitsrechte und des Datenschutzes verpflichtet und setze diesen in ihrer Arbeit um. Die Diskussion habe erkennen lassen, dass Probleme des Persönlichkeitsschutzes nicht nur vor Untersuchungsausschüssen, sondern offenbar auch in Strafverfahren bestehen. Grundsätzlich sei die Reform der Untersuchungsausschüsse an einer Verrechtlichung des Verfahrens ausgerichtet gewesen. Der Diskussion habe er entnehmen können, dass die aktuelle Verfahrensordnung daher grundsätzlich eine gute Grundlage darstelle, um Persönlichkeitsrechte zu schützen. Ein Großteil der besprochenen Probleme finde sich im Bereich der Strafverfahren. Eine große Herausforderung besteht aus Sicht von Dossi darin, die Reformen weiterzuführen, was aber während eines laufenden Untersuchungsausschusses schwer möglich sei. Die Problemanalyse liege auf dem Tisch und man werde sich den Fragen stellen müssen. Dazu brauche man jedoch einen breiten politischen Konsens. Abschließend folgte noch der Hinweis auf eine weiterführende Veranstaltung zur Frage der Anwendbarkeit der Datenschutzgrundverordnung auf den Bereich der Gesetzgebung am 3. März 2022 im österreichischen Parlament.

Die Veranstaltung wurde auch als Livestream in der Mediathek des Parlaments unter www.parlament.gv.at/aktuelles/mediathek übertragen und ist dort on demand abrufbar (Schluss) mbu/sox