Parlamentskorrespondenz Nr. 361 vom 07.04.2022

Demokratiewerkstatt: Auftakt des Themenschwerpunkts zu Volksgruppen in Österreich

Zeitzeugin Katja Sturm-Schnabl im Gespräch mit SchülerInnen aus Wien

Wien (PK) – Zum Auftakt des Themenschwerpunkts "Volksgruppen in Österreich" war heute die Kärntner Slowenin Katja Sturm-Schnabl zum Austausch mit SchülerInnen der BRG Lessinggasse in Wien zu Gast in der Demokratiewerkstatt des Parlaments. Im Zentrum des Gesprächs mit den Jugendlichen standen die persönlichen Erfahrungen Sturm-Schnabls während und nach der Zeit des Nationalsozialismus sowie ihre Einschätzung zur aktuellen Situation der Volksgruppe. Um den Jugendlichen die wechselvolle Geschichte der anerkannten Volksgruppen in Österreich möglichst authentisch zu vermitteln, sollen in den nächsten Monaten weitere ZeitzeugInnen in die Demokratiewerkstatt eingeladen werden.

Sturm-Schnabl: Wir haben zu spüren bekommen, dass wir als Kärntner Slowenen nicht hierhergehören

"Meine eigene Deportation in das Arbeitslager mit sechs Jahren brach wie ein Unwetter über mich herein. Es war ein dramatischer Moment und der Zeitpunkt, wo ich begriff, dass ich einer Minderheit angehöre und mich mein Vater nicht mehr beschützen kann", betonte Katja Sturm-Schnabl bei der Schilderung ihrer Lebensgeschichte. Aber bereits vor der Deportation sei die Übermacht und Willkür der NationalsozialistInnen spürbar gewesen, antwortete Sturm-Schnabl auf die Frage einer Schülerin nach den Veränderungen durch die Machtübernahme im Jahr 1938. So seien etwa die Kulturinstitutionen der Kärntner Slowenen sowie die slowenische Sprache verboten worden.

Nach der Befreiung 1945 habe sie zuerst eine Jubelstimmung verspürt und bei der Rückkehr nach Kärnten große Erwartungen gehabt. "Wir haben aber zu spüren bekommen, dass wir als Kärntner Slowenen nicht hierhergehören", es sei keine Rede von Gleichberechtigung gewesen, so Sturm-Schnabl auf die Frage, ob die Diskriminierungen nach 1945 weitergegangen seien. Vor allem im Beamtenstab habe "der Geist des Nationalsozialismus" weitergelebt. Die Schulzeit sei ein "Spießrutenlauf" gewesen, dort sei sie wieder ein "Lagerkind" gewesen, "da viele LehrerInnen noch von der Nazi-Zeit indoktriniert gewesen sind" und den Übergang in ein "freies Österreich" noch nicht geschafft hätten.

Auf die Fragen der SchülerInnen zum Kärntner Ortstafelstreit, antwortete die Zeitzeugin, dass dieser ein "provoziertes Problem" gewesen sei. Sie habe dafür kein Verständnis gehabt, da es überall in Europa zweisprachige Ortstafeln gegeben habe. Die mediale Berichterstattung habe jedoch auf das Problem österreichweit aufmerksam gemacht. Seit der Beilegung des Ortstafelstreits sieht Sturm-Schnabl jedoch den Konsens in Kärnten im Vordergrund. Vor allem der EU-Beitritt Sloweniens habe viel zur positiven Entwicklung des Bilds der Kärntner Slowenen beigetragen. Sturm-Schnabl sprach in diesem Zusammenhang von einem Aufblühen der slowenischen Kulturvereine.

Die SchülerInnen fragten auch nach den Wünschen Sturm-Schnabls an die heutige Demokratie. "Ich wünsche mir das, was sich jeder wünscht, nämlich Transparenz und Vielfältigkeit. Es braucht den demokratischen Staat, der die Demokratie beschützt". Mit den Angeboten der Demokratiewerkstatt leiste das Parlament selbst dazu auch einen wertvollen Beitrag, so die Zeitzeugin.

Zur Biographie von Katja Sturm-Schnabl

Die Sprachwissenschaftlerin und Literaturhistorikerin Katja Sturm-Schnabl, geboren 1936, wurde mit ihrer Familie im April 1942 von ihrem Hof nordöstlich von Klagenfurt deportiert. Es folgten dreieinhalb Jahre Lagerhaft in Deutschland. Von den insgesamt vier Geschwistern der Familie starb eine Schwester achtjährig während der Haft. Nach dem Besuch der Volksschule und des humanistischen Gymnasiums in Klagenfurt studierte Sturm-Schnabl Slawistik, Russisch, Kunstgeschichte und Byzantinistik. Von 1973 bis 1984 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin der Kommission für Byzantinistik an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Von 1984 bis 2016 unterrichtete Sturm-Schnabl südslawische Literatur- und Kulturgeschichte am Institut für Slawistik der Universität Wien und war Mitglied zahlreicher Kurien sowie der Gleichstellungskommission. (Schluss) med

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie auf der Website des Parlaments.