Parlamentskorrespondenz Nr. 589 vom 01.06.2022

Zukunft dezentraler Lebensräume: Expert:innendiskussion im Parlament

Parlamentarische Enquete des Bundesrats zu Strategien ländlicher Regionen

Wien (PK) – Im Rahmen der parlamentarischen Enquete des Bundesrats zum Thema "Zukunft dezentraler Lebensräume" gaben heute im Anschluss an die Eröffnung Expert:innen aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft Einblicke in Problemstellungen und Lösungsvorschläge zur Wohlstandssicherung abseits der Ballungszentren. Im ersten von zwei Panels referierten Harald Sonderegger, Landtagspräsident Vorarlbergs sowie Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil. Der Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) Gabriel Felbermayr analysierte Stärken und Schwächen der österreichischen Regionen. Die Enquete fand auf Einladung von Bundesratspräsidentin Christine Schwarz-Fuchs statt.

Situation der österreichischen Regionen: Vorarlberg und Burgenland

"Vorarlberg – die progressive Provinz" betitelte Harald Sonderegger, der Landtagspräsident Vorarlbergs sein Statement. Starke Länder seien eine notwendige Voraussetzung für ein starkes Österreich, hielt Sonderegger eingangs fest. Vorarlberg habe sich zu einer der wohlhabendsten Regionen Europas entwickelt. Ausschlaggebend dafür sei ein Erfolgsfaktor, der auch in Zukunft entscheidend bleiben werde, und zwar, dass jene Regionen resilienter seien, die einen starken produzierenden Sektor aufweisen. Dabei spreche er nicht nur von den "Flagschiffen", sondern sehr wohl auch vom Mittelstand und von den Handwerks- und Familienbetrieben. Wichtig seien auch eine gesunde Branchenvielfalt und das Entwickeln mehrerer Standbeine. So könne Vorarlberg heute als ein hoch diversifizierter Wirtschaftsstandort mit einem hohen Industrialisierungsgrad bezeichnet werden.

Neben den Chancen der Digitalisierung gelte es, hinsichtlich Energie in Zukunft noch nachhaltiger zu werden und mit Ressourcen noch effizienter umzugehen, so Sonderegger. Vorarlberg habe sich das Ziel der Energieautonomie bis 2050 gesetzt. Als Standortfaktoren nannte der Landtagspräsident Vorarlbergs neben dem Bildungssystem und fundierter Berufsausbildung auch die Themen Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie eine Weiterentwicklung der Rot-Weiß-Rot-Karte. Was die europäische Ebene betrifft, müssen aus seiner Sicht die Regionen die Antriebsmotoren für eine engere Zusammenarbeit mit der EU und den Mitgliedstaaten bilden.

Unter dem Titel "Unsere Initiativen für eine starke Region" führte Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil seine Positionen aus. Kritisch hinterfragte er, ob in Österreich das Grundprinzip der Subsidiarität gelebt werde und erinnerte an Diskussionen zur Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Er sprach sich dafür aus, Entscheidungen vor Ort zu treffen, bei denen die Bedürfnisse dort auch am besten wahrgenommen werden. Dafür Rahmenbedingungen herbeizuführen, gestalte sich oft schwierig. Auch die Finanzierung stelle einen wesentlichen Faktor dar. Beim Konsultationsmechanismus habe er den Eindruck, dass er zu totem Recht geworden sei, so Doskozil.

An praktischen Beispielen, vor welchen Herausforderungen man im Burgenland stehe, nannte er etwa die Strukturen der Spitalsfinanzierung bzw. das Modell zur Bezahlung von Spitalsärzt:innen. Zu Letzterem müsse die Antwort sein, Spitalsärzt:innen insofern ordentlich zu bezahlen, dass es keine Notwendigkeit mehr gibt, dass sie auf die Sonderklasse spezielle Rücksicht nehmen. Die Behandlung von Sonderklassepatient:innen macht Doskozil zufolge einen hohen Gehaltsanteil bei den Ärzt:innen aus und das befördere wiederum eine Zweiklassenmedizin. Dieses Modell zu verändern, sei aber nur möglich, wenn die Kompetenz und Verantwortlichkeit bei den Ländern liege, was im Burgenland nicht der Fall sei. Für den Pflegebereich kritisierte Doskozil unter anderem, dass die Effektivität der mobilen Hauskrankenpflege laut Rechnungshof nur etwas über 50% liege. Er führte das auf die Finanzierungssystematik zurück, die auf Stundenbasis basiere. Im Burgenland werde nun ein Modell mit 68 Pflegestützpunkten entstehen und die Verrechnung auf Vollzeitäquivalente umgestellt, wodurch man pro Stützpunkt zehn Mitarbeiter:innen beschäftigen könne. Was die steigenden Grundstückspreise betrifft, kündigte Doskozil an, im Burgenland dafür Höchstpreise festsetzen zu wollen.

Felbermayr: Lebensräume oft über mehrere administrative Einheiten hinweg

Gabriel Felbermayr vom WIFO ging auf die Stärken und Schwächen der österreichischen Regionen ein. Lebensräume seien oft nicht deckungsgleich mit administrativen Einheiten und würden auch mit Teilgebieten in anderen Staaten überlappen, warf Felbermayr auf. Gerade in diesen Grenzbereichen würden oft Unterinvestitionen stattfinden, sprach er sich für eine bessere Koordination in diesen Räumen aus. Mit dem Föderalismus gebe es in Österreich wichtige Instrumente. Es stelle sich allerdings die Frage, ob diese modern genug und den Dingen gewachsen seien.

Die Stärken und Schwächen stellen sich dem WIFO-Experten zufolge je nach Rahmenbedingungen unterschiedlich dar. So sei es den Industrieregionen in der Corona-Krise gut gegangen, das ändere sich aber in Zeiten von Lieferengpässen und hohen Energiepreisen. Was Energieproduktionsstandorte betrifft, gelte es, auch die Wertschöpfung dorthin zu bringen, wo der Strom günstig hergestellt werden kann, um so auch teure Transportkosten zu vermeiden. Um einer Abwanderung der Jungen, insbesondere der Frauen, gegenzusteuern, brauche es unter anderem einen starken Ausbau der digitalen Infrastruktur. Zur Verkehrsanbindung meinte Felbermayr, der öffentliche Verkehr sei nicht alles, auch die Straßenanbindung müsse passen. Insgesamt hob er die Diversifizierung der Branchen je nach Region in Österreich positiv hervor, von Industrie über Landwirtschaft bis Tourismus, zu der es aber Ausgleichsmaßnahmen brauche. Im Bereich des Ausbaus erneuerbarer Energien gelte es für ihn, jetzt "alle Schleusen zu öffnen".

In der anschließenden Debatte zu diesem Panel meldeten sich seitens der ÖVP die Bundesräte Martin Preineder und Bernhard Hirczy, die Nationalratsabgeordneten Martina Diesner-Wais und Joachim Schnabel sowie die Landtagsabgeordneten Silvia Karelly und Christoph Thoma zu Wort. Mehrfach wurde der Bedarf an Breitbandverbindungen im ländlichen Raum angesprochen, aber auch auf die Themen Verkehr, Energie, Bildung und Frauenförderung Bezug genommen.

Europaabgeordneter Georg Mayer (FPÖ) kritisierte, dass die Politik auf EU-Ebene in eine völlig falsche Richtung gehe. Die Unterschiedlichkeit sei die Kraft Europas und Österreichs, die Infrastruktur der Schlüssel für die Regionen.

Ein Vertreter der Europäischen Kommission, Hatto Käfer, verwies demgegenüber auf konkrete Projekte der EU. Seit ihrer Gründung sei der Europäischen Union Regionalität und Agrarpolitik ein wichtiges Anliegen. Auch Europaabgeordneter Hannes Heide (SPÖ) betonte, die EU lege Wert auf die Entwicklung des ländlichen Raums. Über die Verwendung der Mittel brauche es aber aus seiner Sicht mehr Transparenz. Bundesrätin Andrea Kahofer (SPÖ) sprach sich im Sinne des WIFO-Experten dafür aus, Regionen auch unabhängig von den administrativen Grenzen zu betrachten.

Die Enquete wurde live in der Mediathek des Parlaments übertragen und ist dort als Video-on-Demand abrufbar. (Fortsetzung Enquete Bundesrat) mbu

HINWEIS: Der Rechts-, Legislativ- und Wissenschaftliche Dienst der Parlamentsdirektion hat zum Thema der Enquete ein Fachdossier erstellt. Fotos von dieser Enquete finden Sie auf der Website des Parlaments.


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