Parlamentskorrespondenz Nr. 892 vom 14.07.2022

Pflegereform: Bundesrat erhebt gegen Nationalratsbeschlüsse keinen Einspruch

Länder erhalten für die nächsten Jahre neue Zweckzuschüsse in der Höhe von insgesamt 795 Mio. €

Wien (PK) – Das vom Nationalrat vergangene Woche beschlossene Gesetzespaket zur Pflegereform ist endgültig auf Schiene. Der Bundesrat sprach sich heute teils einstimmig, teils mehrheitlich dafür aus, gegen die vier von den Koalitionsparteien initiierten Gesetzesvorlagen keinen Einspruch zu erheben. Damit sind nun, was die Verteilung der vom Bund bereitgestellten frischen Mittel in der Höhe von insgesamt 795 Mio. € betrifft, die Länder am Zug. Zweckgewidmet sind die Gelder zum einen für Gehaltserhöhungen für Pflege- und Betreuungspersonal, zum anderen sollen damit monatliche Ausbildungszuschüsse in der Höhe von 600 € mitfinanziert werden. Skeptisch äußerte sich vor allem die SPÖ: Ihrer Meinung nach sind die befristeten Zweckzuschüsse sind nachhaltig.

Ebenfalls den Bundesrat passiert hat ein Abkommen über soziale Sicherheit mit Brasilien : Wie bei ähnlichen Sozialabkommen mit anderen Ländern sollen dadurch u.a. Erwerbszeiten im jeweils anderen Land bei der Berechnung von Pensionsansprüchen berücksichtigt und Doppelversicherungen für in beiden Ländern arbeitende bzw. wohnende Personen vermieden werden.

Pflegepersonal soll höhere Gehälter bekommen

Konkret bringt das Pflegereform-Paket unter anderem eine Ausweitung der Befugnisse von Pflegeassistent:innen und Pflegefachassistent:innen, etwa was das An- und Abschließen von Infusionen und die Durchführung von Injektionen betrifft. Zudem werden mit einer Novelle zum Bundespflegegeldgesetz verschiedene Verbesserungen vorgenommen. Das betrifft etwa die Nichtanrechnung der erhöhten Familienbeihilfe beim Pflegegeld und die Erhöhung des Demenz-Zuschlags von 25 auf 45 Stunden. Für – steuer- und abgabenfreie – Ausbildungszuschüsse stellt der Bund 225 Mio. €, für Gehaltserhöhungen 570 Mio. € zur Verfügung. Letztere sollen dabei nicht nur Pflegepersonal, sondern auch Heimhelfer:innen und Behindertenbetreuer:innen zugutekommen.

ÖVP und Grüne heben großes Volumen des Pakets hervor

Sowohl die beiden ÖVP-Bundesräte Karlheinz Kornhäusl (NÖ) und Ernest Schwindsackl (St) als auch die oberösterreichische Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger von den Grünen zeigten sich über das vorliegende Paket erfreut. Die Herausforderungen im Bereich der Pflege seien groß, sagte Kornhäusl, umso wichtiger sei es, rasch Maßnahmen zu setzen. Zumal "der letzte große Wurf" im Pflegebereich, die Einführung des Pflegegelds, 30 Jahre zurückliege. "Wir brauchen uns nicht zu verstecken", bekräftigte der ÖVP-Bundesrat, das vorliegende Paket könne sich sehen lassen.

Insgesamt hat die Regierung laut Kornhäusl 20 Maßnahmen mit einem Gesamtumfang von 1 Mrd. € in Aussicht genommen, wobei er auch auf noch ausstehende Punkte wie eine zusätzliche Urlaubswoche für Pflegpersonal ab dem 43. Lebensjahr, die Einführung einer Pflegelehre und das geplante Pflegestipendium für Berufsumsteiger:innen in der Höhe von 1.400 € verwies. Der vorgesehene Zweckzuschuss von 570 Mio. € für Gehaltserhöhungen entspricht ihm zufolge einem 15. Monatsgehalt.

Grünen-Bundesrätin Hauschildt-Buschberger betonte, dass mit dem vorliegenden Paket wichtige Weichen gestellt würden, um den "Pflegenotstand" zu beseitigen. Weitere Schritte würden folgen, versicherte sie. Sie sieht allerdings auch die Bundesländer in der Pflicht. Als Ziel sowohl der Ausbildungsbeiträge als auch der vorgesehenen Gehaltserhöhungen nannte Hauschildt-Buschberger, dass sich mehr Menschen für den Pflegeberuf entscheiden.

FPÖ hält Paket für unzureichend, stimmt aber zu

Auch die FPÖ erteilte dem Gesetzespaket ihre Zustimmung. Es handle sich zwar um keine Reform, sondern nur um ein "Reförmchen", sagte die Salzburger Bundesrätin Marlies Steiner-Wieser, es sei aber anzuerkennen, dass die Regierung endlich "in die Gänge" komme und nicht nur ankündige, sondern auch handle. Schon unter der FPÖ-Sozialministerin Beate Hartinger-Klein sei ein fertiges Reformpaket vorgelegen, hielt Steiner-Wieser fest, dieses sei aber leider "ziemlich abgespeckt worden".

Um den Forderungen der FPÖ nach weiteren Maßnahmen Nachdruck zu verleihen, brachte Steiner-Wieser einen Entschließungsantrag ein, der bei der Abstimmung jedoch keine Mehrheit fand. So drängen die Freiheitlichen darauf, einen Pflegescheck einzuführen, Pflegeberufe steuerlich zu entlasten, eine Pflegelehre nach Schweizer Vorbild zu verankern und die Pflegegeldeinstufung an reale Bedürfnisse anzupassen. Zudem sind ihnen eine 50-prozentige Erhöhung des Pflegegelds bei häuslicher Betreuung pflegebedürftiger Personen ab Stufe 3, unterjährige Anpassungen des Pflegegelds bei hoher Inflation und die Schaffung eines Rechtsanspruchs auf Übergangspflege nach einer Akutbehandlung im Krankenhaus ein Anliegen.

Ergänzend forderte Steiner-Wieser außerdem eine Erhöhung des Zuschusses für die 24-Stunden-Betreuung und eine Überarbeitung des geplanten Pflegebonus. Es könne nicht sein, dass von 800.000 pflegenden Angehörigen in Österreich lediglich 24.000 den Pflegebonus erhalten werden, kritisierte sie. Das wären "läppische drei Prozent".

SPÖ unterstützt lediglich Änderung des Bundespflegegeldgesetzes

Auch die SPÖ wertete das vorliegende Gesetzespaket als unzureichend. Um dem erwarteten großen Pflegekräftemangel zu begegnen, brauche es eine Strukturreform im Bereich der Pflege, betonte die niederösterreichische Bundesrätin Andrea Kahofer. "Halbherzige Schnellschüsse" und "aufsteigende Versuchsballons" seien zu wenig. Schließlich brauche man bis zum Jahr 2030 76.000 neue Menschen in diesem Berufsfeld. Die Maßnahmen, die jetzt gesetzt werden, müssten "die richtigen" sein, man habe keine Zeit mehr für "Experimente".

Konkret hinterfragte Kahofer etwa die zusätzlichen Befugnisse für Pflegeassistent:innen und Pflegefachassistent:innen. Sie bezweifelt, dass die Betroffenen mit der erweiterten Verantwortung tatsächlich einverstanden sind, und befürchtet, dass dadurch einige Pflegekräfte aus dem Beruf gedrängt werden. Schließlich würde ihre Ausbildung nur ein respektive zwei Jahre dauern, während diplomiertes Personal eine fünfjährige Ausbildung absolviere.

Kahofer gab darüber hinaus zu bedenken, dass die 600 € Ausbildungsgeld nur bis zum Jahr 2025 gesichert seien. Damit gehe sich ein Diplom nicht aus. Zudem sei der Betrag zu niedrig, um wettbewerbsfähig gegenüber anderen Berufsausbildungen zu sein. Ähnliches gelte für die vorgesehenen Gehaltserhöhungen, die laut Kahofer nicht geeignet sind, um den "Lohngap" zu schließen. Auch politische Wertschätzung gegenüber Pflegeberufen und die Einbeziehung des mobilen Bereichs in die Reform vermisst sie. Lediglich den Änderungen im Bundespflegegeldgesetz stimmte die SPÖ zu.

Rauch: Gesetzespaket wurde nachgeschärft

Sozialminister Johannes Rauch machte geltend, dass das Gesetzespaket in Folge des Begutachtungsverfahrens nachgeschärft worden sei. Insgesamt nehme der Bund für die nächsten zwei Jahre 1 Mrd. € in die Hand, um die Situation im Bereich der Pflege zu verbessern, bekräftigte er. Es sei ihm auch wichtig gewesen, bereits vor dem Sommer erste Beschlüsse zu fassen. Von der Nichtanrechnung der erhöhten Familienbeihilfe auf das Pflegegeld werden ihm zufolge etwa 45.000 Personen mit einer monatlichen Entlastung von 60 € profitieren. Geplant ist laut Rauch überdies, Pensionist:innen in den Angehörigenbonus mit einzubeziehen – der Beschluss dazu soll im Herbst fallen.

Rauch versicherte den Bundesrät:Innen außerdem, dass er beim Thema "dranbleiben" werde, um weitere Verbesserungen zu erwirken. So sei das Ministerium in Bezug auf die 24-Stunden-Betreuung in einem intensiven Austausch mit den Betroffenen. Auch bezüglich der Befugnisse von Pflegepersonal stellte er weitere Schritte in Aussicht, wobei er in diesem Zusammenhang auf Widerstände "bestimmter Standesvertretungen" verwies. (Fortsetzung Bundesrat) gs

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.


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