Bundesrat Stenographisches Protokoll 608. Sitzung / Seite 18

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Das deutet schon darauf hin, daß wir – glaube ich – ein bißchen selbstkritisch sagen müssen, daß wir manches durchgehen lassen, an dem wir nachher dann verständlicherweise Kritik üben und mit dem wir Kritik ernten. Ich glaube, ein solch kritischer Maßstab darf allerdings nicht in den Hintergrund rücken, daß wir dessenungeachtet in vielfacher Weise eine Art vorbeugende Wirkung entfalten, die nicht konfliktaustragend ist, indem man einen Beschluß beeinsprucht oder ihm nicht zustimmt und dann zurückverweist, sondern indem man sich von vornherein bemüht, Bedenken zeitgerecht einzubringen, und Konflikte, die sich aus diesem Spannungsverhältnis der beiden Kammern ergäben, gar nicht erst eintreten zu lassen.

Ich halte das an sich für eine sehr vernünftige Vorgangsweise. Sie hat nur für uns den optischen Nachteil, daß solche Konfliktvermeidung natürlich häufig nicht sichtbar und daher dem Bundesrat in der Öffentlichkeit auch nicht zugeschrieben wird.

In der häufig verwendeten Bezeichnung "Länderkammer" für den Bundesrat wird dem Bundesrat eine ganz spezifische Funktion zugeschrieben. Diese wird daraus abgeleitet – in der Bundesverfassung selbst ist das der einzige Anknüpfungspunkt –, daß die Mitglieder des Bundesrates von den Ländern, konkret von den Landtagen, entsandt werden. Der Bundesrat ist in dieser Hinsicht also nach dem Gedanken des Staatsvertretungsorgans angelegt, wenngleich das auch nicht ausdrücklich ausgesprochen und ausgeführt ist wie so manches, was als Ergebnis eines historischen Kompromisses diesbezüglich in die Bundesverfassung eingeflossen ist. Der Verfassungsgesetzgeber hat also bewußt differenziert und von einer bloßen Wiederholung der Kreationsvorgänge des Nationalrates – der Volksvertretung Nationalrat – abgesehen, die zudem angesichts der Befugnisse des Bundesrates und der häufig festzustellenden Gleichartigkeit der Beschlüsse die Frage von dessen Notwendigkeit aufwerfen würde, würde man konsequent zu Ende argumentieren.

Wir sollten auch nicht davon ausgehen, daß nur der Bundesrat und die Bundesräte Länderinteressen vertreten würden. Das tut natürlich auch der Nationalrat, denn auch in die Beschlüsse des Nationalrates fließen Erwägungen, die für die Länder sprechen, mit ein.

Der Nationalrat agiert also keineswegs abgehoben von den Ländern, weder in seiner Gesamtheit, noch tun dies die einzelnen Abgeordneten.

Wie die Gliedstaaten in einem Bundesstaat ihren Bestand sichern können und auf die dem Bund übertragene Gesetzgebungskompetenz im Sinne des Verfassungsgesetzgebers einwirken können, ist in Bundesstaaten auf verschiedene Art und Weise geregelt. In der Schweiz geschieht das nur auf den ersten Blick im Rahmen des Ständerates, der zwar durchwegs von der Bevölkerung gewählt wird, aber ohne jeglichen Parteienproporz. In der Schweiz ist es tatsächlich eine reine Personenwahl, die in gar nicht so seltenen Fällen dazu führt, daß beispielsweise beide Ständeräte eines Kantons derselben Partei angehören, etwas, was nach unseren Wahlmodalitäten und Vorstellungen ganz offenkundig nicht ins Auge gefaßt ist und auch nicht in der Bundesverfassung ins Auge gefaßt war. Das ist also ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt der Zusammensetzung des Schweizer Ständerates durch Volkswahl.

Die Schweizer Kantone sind in ihrem Bestand allerdings auf eine weitaus wirkungsvollere Art und Weise gesichert, indem nämlich Verfassungsänderungen jeglicher Art, auch wenn sie den Bestand der Kantone gar nicht tangieren, einer Volksabstimmung zu unterziehen sind, wobei nicht nur die Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung erforderlich ist, sondern auch die Mehrheit der Kantone. Damit haben die Schweizer Kantone eine ausgesprochen starke Bestandsgarantie, die zudem noch von dem Grundsatz der völligen Gleichwertigkeit der Kantone beim Zustandekommen dieses sogenannten Ständemehrs getragen ist.

In der Bundesrepublik Deutschland – um den zweiten bundesstaatlichen Nachbarstaat ins Auge zu fassen – ist die Interessenvertretung der Länder ihnen selbst übertragen, zwar auch im Wege eines Organs, das den Namen "Bundesrat" trägt, das aber ausschließlich aus Mitgliedern der Landesregierungen unter Federführung des jeweiligen Ministerpräsidenten gebildet wird. In der Bundesrepublik Deutschland nehmen die Länder ihre Interessenvertretung in der Bundesgesetzgebung selbst wahr, und zwar mit Organen, die zudem noch dem Landtag bei der


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