Bundesrat Stenographisches Protokoll 609. Sitzung / Seite 15

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Aber Subsidiarität kann nicht bedeuten, daß wir das Projekt europäischer Vereinheitlichung preisgeben. Es kann nicht bedeuten, daß die Union darauf verzichtet, sich auch neue Bereiche zu erschließen, wenn das im Interesse der Bürger erforderlich ist.

In unserem eigenen Land – Beispiel Finanzausgleich – leben wir existentiell davon, daß reiche Regionen dieses Landes etwas abgeben, um anderen bei ihrer Entwicklung zu helfen. Unser Steuerrecht lebt davon, daß Menschen, die mehr Einkommen haben als andere, über den Weg der Steuer etwas abgeben, um anderen das Überleben zu ermöglichen. Das ließe sich nicht aufrechterhalten, wenn wir es in kleine Zellen unterteilen, hier brauchen wir einen globalen Zuschnitt. Diesen globalen Zuschnitt brauchen wir in vielen Bereichen auch in Europa. Wir werden daher Subsidiarität nicht so definieren können, daß wir sagen, wir wollen das Spektrum an Aufgaben der Europäischen Union reduzieren, aber wir werden darauf drängen, daß das, was wir innerstaatlich Rahmengesetzgebung nennen – die Möglichkeit, eine große Skizze vorzugeben und diese dann auf lokaler oder regionaler Ebene auszufüllen –, in der europäischen Politik eine größere Rolle zu spielen beginnt.

Dabei spielt insbesondere die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik eine schwierige und, wie wir wissen, auch innerstaatlich durchaus umstrittene Rolle. Die Haltung oder teilweise auch Nicht-Haltung der EU gegenüber einer verheerenden Entwicklung auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien hat die Schwächen der Europäischen Union auf diesem Feld in dramatischer Weise akzentuiert. Es ist keine Frage, daß wir ein höheres Maß an gemeinschaftlichem Auftreten der Union nach außen brauchen, daß die Union dafür Instrumente braucht.

Die Idee der Planungszelle, die die Europäische Union gewissermaßen auch ein wenig unabhängig vom diplomatischen Dienst des jeweiligen Präsidentenstaates machen soll, ist eine gute Idee. Das ist ein erster Schritt, aber es muß uns schon klar sein, auch im wohlverstandenen eigenen Interesse, daß das nicht die Übertragung der außenpolitischen Kompetenz von den Mitgliedsstaaten an die Union sein kann und darf. Aber Abstimmung, Vereinheitlichung, entschlossenes und gemeinsames Auftreten nach außen sollte für die Europäische Union charakteristisch werden. Ich möchte jedoch mit großem Nachdruck sagen, daß es schon einzelne Mitgliedsstaaten im besonderen Maße sind, die es so schwierig machen, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.

Ich habe im Europäischen Parlament – das ist nur eine Randglosse, die nicht zum Kernthema gehört – das zweifelhafte Vergnügen, miterleben zu dürfen, wie der wirtschaftlich vermutlich am besten entwickelte Staat unter den potentiellen Mitgliedern, Slowenien, von einem Mitgliedsland, das eine gemeinsame Grenze mit Slowenien hat und nicht Österreich ist, auf Armlänge gehalten wird unter zum Teil absurden Vorgaben, Vorwürfen und Vorwänden, und es ist schmerzlich, feststellen zu müssen, daß keine wirkliche Eingriffsmöglichkeit besteht. Es gibt allenfalls die Möglichkeit zu vermitteln, Vorschläge zu machen, ein entsprechendes Klima zu schaffen. Das schmerzt, ich sage es ehrlich, und es gibt andere Beispiele hiefür, die mir nicht so nahegehen. Ich meine, daß innerhalb der Europäischen Union, zwischen den Mitgliedstaaten der Union, ein gemeinsames Verständnis davon entwickelt werden muß, was legitim ist, um verständliche nationale Anliegen in diesen Gemeinschaftsprozeß einzubringen.

Es ist keine Frage, daß eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik auch über die Instrumente verfügen muß, um in humanitären Hilfsaktionen all das tun zu können, was wir in unserer Entschließung aufzählen, um rasch reagieren zu können. Dazu gehört eine operationale Kapazität. Sie gilt es, aufzubauen.

Es ist auch keine Frage, daß die Europäische Union in hohem Maße dazu legitimiert ist, zum Kernpunkt dessen zu werden, was wir immer ein "europäisches Sicherheitssystem" nennen. Aber ich glaube, daß es nicht der richtige Weg wäre, gewissermaßen die Europäische Union selbst zu einem Militärblock zu entwickeln, sie – gestützt auf einer Politik der wirtschaftlichen und militärischen Stärke – zum Dominator des Kontinents zu machen. Ein europäisches Sicherheitssystem muß, wenn es funktionieren soll, über die Grenzen der EU hinausreichen, es muß ein mehrstufiges System, das die zu Unrecht beiseite geschobene OSZE miteinschließt, geben, in dem die EU eine zentrale und wichtige, aber nicht die alleinige Rolle spielt.


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