Bundesrat Stenographisches Protokoll 609. Sitzung / Seite 40

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Erstens: Artikel 119 beschränkt sich auf die Sicherung gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit. Er kann aber in Fragen der Beförderung nicht als Rechtsgrundlage herangezogen werden.

Zweitens: Die erwähnte Richtlinie zielt einerseits auf die Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ab, andererseits schließt sie jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts aus, und sie betont, daß sie den Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit durch Beseitigung der tatsächlich bestehenden Ungleichheiten, die die Chancen der Frauen beeinträchtigen, nicht entgegensteht.

Drittens: Das Sozialprotokoll ist dem EU-Vertrag nur angeschlossen. Im Protokoll heißt es, daß Mitgliedstaaten nicht daran gehindert werden, zur Erleichterung der Berufstätigkeit der Frauen oder zur Verhinderung von Benachteiligungen spezifische Vergünstigungen beizubehalten oder zu beschließen. Doch der Europäische Gerichtshof muß dieses Protokoll zur Beurteilung nicht heranziehen.

Gerade das kam ja im vergangenen Jahr im Fall Kalanke zum Tragen. In der Entscheidung des EuGH heißt es, daß ein nationales Gesetz, das bei einer Beförderung den Frauen automatisch den Vorrang erteilt, nicht mit dem EU-Recht vereinbar sei. Eine solche Regelung bewirke eine Diskriminierung der Männer aufgrund des Geschlechts, was wiederum die bereits erwähnte Richtlinie verbietet.

Als sozialdemokratische Frauenpolitikerin erwarte ich mir von der Regierungskonferenz 1996 einiges in bezug auf die europäische Gleichstellungspolitik, einerseits eine Änderung der Richtlinie, und andererseits muß die Gleichstellungspolitik sowie die Möglichkeit von positiven Maßnahmen zugunsten von Frauen im neuen EU-Vertrag festgeschrieben werden.

Ein Mitglied der Reflexionsgruppe hat mir bereits versichert, daß das Thema auf der Regierungskonferenz 1996 behandelt werden soll. Auch Bundeskanzler Franz Vranitzky sicherte mir volle Unterstützung zu. Er hat zu meiner Freude darauf hingewiesen, daß er auch seine skandinavischen Kolleginnen und Kollegen auf das Problem aufmerksam gemacht hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns muß klar sein, daß die Beschäftigungs-, die Sozial- und die Frauenpolitik natürlich nicht die einzigen Themen der bevorstehenden Regierungskonferenz 1996 sind. Bei der Regierungskonferenz geht es um eine umfassende Bewertung der Maastricht-Verträge, der rechtlichen Grundlagen und der zukünftigen Gestaltung der Europäischen Union.

Vor allem die anstehende Osterweiterung stellt die EU vor große institutionelle und finanzielle Herausforderungen. Die reichen Länder der EU – dazu gehört nun einmal Österreich – müssen zu beträchtlichen finanziellen Beiträgen bereit sein, um die mittel- und osteuropäischen Länder zunächst an den Binnenmarkt heranzuführen, damit in späterer Folge an eine Vollmitgliedschaft der Länder Mittel- und Osteuropas gedacht werden kann. – Diese Heranführung wird nicht gerade dadurch erleichtert, daß in den nächsten Jahren von der EU auch der Wiederaufbau Exjugoslawiens mitfinanziert werden muß.

Die umfassenden Vorgaben und die Tatsache, daß zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten in vielen Punkten keine Übereinstimmung herrscht, lassen darauf schließen, daß europäische Lösungen für die anstehenden Probleme bis weit in das Jahr 1997 verhandelt werden.

An dieser Stelle möchte ich betonen, wie wichtig es für die Interessen und Anliegen der Österreicherinnen und Österreicher ist, daß wir als voll- und gleichberechtigtes Mitglied an der Regierungskonferenz 1996 teilnehmen. Gerade die Tatsache, daß in weiten Bereichen der Meinungsbildungsprozeß unter den Mitgliedern noch nicht abgeschlossen ist, und gerade die Tatsache, daß noch nicht alle Weichen für die Zukunft Europas gestellt worden sind, bieten unseren Vertretern bei der Regierungskonferenz 1996 große Möglichkeiten.


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