Bundesrat Stenographisches Protokoll 610. Sitzung / Seite 72

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Ein weiterer und von seinem Inhalt her sehr beachtlicher Schwerpunkt des Koalitionsübereinkommens ist die Beschäftigungs- und Standortsicherung, bei der es mit der Absicht der Entbürokratisierung einen wichtigen Berührungspunkt mit den Ländern gibt. Bei der Abgabe der Regierungserklärung im Nationalrat hat der Herr Bundeskanzler, über das Manuskript hinaus extemporierend, "die Länder und Gemeinden dringend eingeladen, es dem Bund gleichzutun und die Verwaltung zu reformieren und Verwaltungsverfahren zu beschleunigen." – Ende des Zitats.

Es sei nun dahingestellt, ob die Ministerialverwaltungen für die Länder und Gemeinden tatsächlich ein taugliches Vorbild werden. Der Bundesgesetzgeber ist es jedenfalls nicht. Denn die Verwaltungsverfahren dauern ja nicht so lange, weil die Landes- und Gemeindebeamten so langsam arbeiten, sondern weil ihnen mit den zu vollziehenden Gesetzen keine tauglichen Werkzeuge zur Verfügung stehen. So warten sie noch immer auf eine tiefgreifende Modernisierung der Verwaltungsverfahrensgesetze. Sie leiden darunter, daß die am meisten anzuwendenden Bundesgesetze, wie die Gewerbeordnung, das Wasserrechtsgesetz, das Forstgesetz und das Abfallwirtschaftsgesetz, nicht nur voll von Doppelgleisigkeiten, sondern auch von ganz unterschiedlichen Anordnungen für die Verwaltungsverfahren sind – ganz zu schweigen von den erheblichen Verzögerungen, die eine Aktenvorlage an ein Bundesministerium nach sich ziehen kann.

Eine wissenschaftliche Aufarbeitung dieses Themas an der Wirtschaftsuniversität hat kürzlich deutlich gezeigt, wo darüber hinaus wesentliche Hindernisse für die Beschleunigung der Verfahren liegen. In rund 30 Prozent der Verfahren werden mangelhafte Anträge gestellt, in 35 Prozent kommt es zu Einwendungen durch den bei den mündlichen Verhandlungen häufig gar nicht anwesenden Arbeitsinspektor, und in 44 Prozent kommt es zu Einwendungen durch die Nachbarn. Schließlich gibt es strukturelle Verzögerungen dadurch, daß die in immer größerer Zahl heranzuziehenden Sachverständigen nicht immer ausreichend und mit der gebotenen Schnelligkeit zur Verfügung stehen. Nicht zuletzt kommt die in spektakulären Fällen besonders lange Verfahrensdauer – bis zu mehreren Jahren – deshalb zustande, weil nach dem Gang durch alle Instanzen die Letztentscheidung vom Verwaltungsgerichtshof wegen der nicht mehr vertretbaren Überlastung zwangsläufig auf die lange Bank geschoben werden muß.

Daher kommt der Absicht des Koalitionsübereinkommens, in Verhandlungen mit den Ländern eine Einigung über die Einrichtung und Finanzierung von Landesverwaltungsgerichten zu finden, ganz große Bedeutung zu. – Ich füge dem die Notwendigkeit an: den individuellen Spielraum der Länder bei einer bürgernahen, kostengünstigen und beschleunigenden Festlegung von Behördenzuständigkeiten zu vergrößern. Das jetzt vorgegebene Korsett ist ja außerordentlich eng.

Einen dritten Schwerpunkt setzt die Bundesregierung mit unserer Teilnahme an der Weiterentwicklung der Europäischen Union. Wir konnten in der letzten Sitzung des Bundesrates dieses Thema anhand der Leitlinien für die Regierungskonferenz ausführlich diskutieren.

Es ist begrüßenswert, daß das Koalitionsübereinkommen über Vorschlag des Außenministers klarere Strukturen zur Vermeidung von Doppelgleisigkeiten festlegt und die Koordinierung der EU-Politik als Gemeinschaftsaufgabe stark in die Hand der gesamten Bundesregierung gelegt wird.

Erstaunlich und durchaus kritisch anzumerken ist allerdings, daß die Länder und Gemeinden mit ihren Anliegen in diesem ganzen Abschnitt keinerlei Erwähnung finden. Das verwundert umso mehr, als neben den Ländern beispielsweise auch der Städtebund zu Jahresbeginn unter Hinweis auf die Regierungsbildung nochmals dringend um die Berücksichtigung der bekannten Anliegen ersucht hatte.

Dieses Ausblenden der Länder und Gemeinden fällt nicht zuletzt deshalb ins Gewicht, weil es schon bei den Leitlinien für die Regierungskonferenz festzustellen war.

Ich möchte aber auch anerkennen, daß sich in unserer letzten Sitzung die Frau Staatssekretärin im Außenministerium klar dazu bekannt hatte, die Anliegen der Länder und Gemeinden auch zu jenen der Bundesregierung zu machen. Es wäre aber nicht schlecht gewesen, im Koalitions


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