Bundesrat Stenographisches Protokoll 612. Sitzung / Seite 77

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rates, in dieser so wichtigen Frage unserer Bezirksgerichte die Interessen der Bundesländer keinesfalls preiszugeben. Ich trete selbstverständlich als Landeshauptmann von Salzburg für die Erhaltung unserer Bezirksgerichte Abtenau, St. Gilgen und Taxenbach ein. Ich persönlich halte nichts von Zentralisierung und von Ballung von Gerichtsfunktionen, etwa in Bezirkshauptorten. Mir schiene, Herr Bundesminister, eine sinnvolle Abrundung der Funktionen vorhandener Standpunkte zweckmäßiger zu sein. Man sollte doch überlegen, wie die Servicefunktion kleiner Bezirksgerichte ausgebaut und sie mit zusätzlichen Aufgaben in der Bürgerberatung betraut werden können.

Es ergibt sich aus meinem Selbstverständnis sowie aus meiner Funktion als Landeshauptmann von Salzburg, daß ich mich heute bei Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren im Bundesrat, mit Fragen des Föderalismus beschäftigen möchte, dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, daß die Bundesstaatsreform leider noch immer nicht beschlossen ist.

Welchen Föderalismus finden wir in Österreich vor dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung derzeit vor? – Erlauben Sie mir dazu ein paar Bemerkungen als Historiker. – Der Begriff "Föderalismus" bedeutet, daß sich kleine politische Einheiten unter Wahrung ihrer Selbständigkeit zu größeren politischen Einheiten zusammenschließen. Als politisches Ordnungsprinzip zielt der Föderalismus darauf ab, eine gewisse Einheit mit einer gewissen Vielfalt zu verbinden.

Der Verfassungsgesetzgeber des Jahres 1920 stellte im Artikel 2 der Bundesverfassung programmatisch fest, daß Österreich aus neun selbständigen Bundesländern gebildet wurde. Die Bedeutung der Länder für die Gründung der Republik unterstrich selbst Staatskanzler Dr. Karl Renner in der Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung 1918 mit den Worten: "Die Grundlage unserer staatlichen Tätigkeit sind die Länder und Kreise, die im freien Entschluß ihren Beitritt zum Staat Österreich vollzogen haben."

Schon die Verhandlungen betreffend einer Bundesverfassung in den Jahren 1918 bis 1920 waren geprägt durch den Gegensatz zwischen zentralistischen und föderalistischen Tendenzen, in denen sich zentralistische Tendenzen eher durchgesetzt haben. Die Bundesstaatlichkeit ist, etwa im Vergleich zu Deutschland oder im besonderen auch zur Schweiz, bekanntlich in Österreich relativ schwach ausgeprägt. Die Verteilung der Staatsaufgaben zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zeigt einen halbherzigen Kompromiß zugunsten des Zentralismus und zu Lasten der Bundesstaatlichkeit und legt offen, wo das tatsächliche Zentrum der Macht in Österreich liegt. Nicht nur, daß die Länder die mit Abstand geringsten Gesetzgebungszuständigkeiten haben, auch die Vollziehung der Bundesaufgaben in den Ländern durch eigene Bundesbehörden ist in Österreich besonders stark ausgeprägt.

Eine politische Analyse des Zustandes des Föderalismus ergibt, daß der Föderalismus in Österreich weit älter ist als die Verankerung des Bundesstaates in unserem Bundes-Verfassungsgesetz. Unsere Bundesländer – ich verweise ganz besonders auf mein Bundesland Salzburg – haben trotz relativer Kleinheit eine weit zurückreichende Entwicklung, waren durch Jahrhunderte mit Selbständigkeiten ausgestattet und hatten eigene demokratische Modelle. Auch die heutige Situation ist durch ein starkes Landesbewußtsein der einzelnen Bundesländer gekennzeichnet.

Die Bundeslastigkeit wird zusätzlich noch durch das Finanzverfassungsgesetz und durch den darauf beruhenden Finanzausgleich untermauert. Der Anteil des Bundes an den gesamten Staatsausgaben in Österreich ist trotz allem, Herr Finanzminister, doppelt so hoch wie in der Schweiz. Der Finanzausgleich kann vom Bund letztlich einseitig festgelegt werden, da der einstimmig beschlossene Antrag des Bundesrates, daß der Finanzausgleich zum Schutz der Länder seiner Zustimmung bedürfen soll, nach wie vor leider unerledigt ist.

Seitens der österreichischen Bundesländer wurde seit 1964 mit mehreren Forderungsprogrammen – meine Vorgänger und Sie sind Zeuge davon – weitgehend ergebnislos versucht, eine ausgeglichene Kompetenzverteilung herzustellen. Fortschritten, wie zum Beispiel dem Zustimmungsrecht des Bundesrates bei Verfassungsänderungen, der Möglichkeit, mit Nachbarstaaten Staatsverträge abzuschließen, oder der Verländerung der Wohnbauförderung stehen auf der anderen vielfältige neue Eingriffe in Länderzuständigkeiten und auch in die Länderfinanzen


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