Bundesrat Stenographisches Protokoll 612. Sitzung / Seite 78

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gegenüber. Als Beispiel sei lediglich die endgültige Festschreibung der Behördenorganisation im Sicherheitswesen durch die B-VG-Novelle 1991, in der der ganze Bereich des Sicherheitswesens endgültig an den Bund abgegeben wurde, genannt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Föderalismus ist für mich eng mit dem Prinzip der Subsidiarität verbunden. Das Subsidiaritätsprinzip wurde bekanntlich erstmals im Jahre 1931 vom Papst Pius XI in seiner Sozialenzyklika "Quadrogesimo anno" definiert. – Das Subsidiaritätsprinzip ist ein Maßstab dafür, welche Aufgaben von welcher staatlichen Ebene sinnvollerweise wahrgenommen werden sollen. Demnach sollen Aufgaben von der niedrigen auf die höheren Ebenen nur dann übertragen werden, wenn dies zur Erfüllung der Aufgaben absolut und unbedingt notwendig ist.

Anders ausgedrückt: Eine höhere Ebene darf nicht Aufgaben an sich ziehen, die eine niedrigere Ebene selbständig oder mit Hilfe der höheren Ebene besorgen kann. Erst wenn dies überhaupt nicht möglich ist, soll die Aufgabe an die höhere Ebene abgegeben werden.

Das Subsidiaritätsprinzip ist also, meine sehr geehrten Damen und Herren, ein Instrument, mit dem die Ziele des Föderalismus letztendlich verwirklicht werden können. Die einzige ausdrückliche Beschreibung des Subsidiaritätsprinzips in einem Rechtstext findet sich interessanter- und bemerkenswerter Weise im Artikel 3b des EU-Vertrages von Maastricht. Dort steht nämlich geschrieben: "In den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, wird die Gemeinschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht bezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedsstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfanges oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können." – Interessant ist, daß diese einzige Formulierung des Subsidiaritätsprinzips wirklich im Vertrag von Maastricht zu finden ist.

Meine Damen und Herren! Wir registrieren heute eine ganze Reihe von Beweggründen in der Politik, sich stärker dem Subsidiaritätsprinzip zuzuwenden. – Erstens ist das Bemühen nach gesamtwirtschaftlicher Optimierung zu nennen. Sowohl in der Wirtschaft als auch im staatlichen Bereich gibt es eine natürliche Grenze der Problemlösungskapazität großer zentral gelenkter Einheiten. Dezentralisierung von Entscheidungsbefugnissen, Führung durch Ziele, eigenverantwortliche Budgetierung in Profit-Centers, gruppenbetonte Strukturierung, arbeitsteilige Prozesse und vieles andere mehr haben sich nicht zuletzt mit Hilfe neuer Möglichkeiten der Informationsverarbeitung im Wirtschaftsleben schon lange durchgesetzt und werden zunehmend auch in der öffentlichen Verwaltung als notwendige Reformansätze gesehen.

Zum zweiten sind wir mit einer Minderung staatlicher Leistungsfähigkeit konfrontiert. Das können wir gerade auch im Zusammenhang mit unseren finanziellen Möglichkeiten heute sehr eindeutig feststellen. Nicht mehr alles, was man in den Jahren des unaufhaltsam scheinenden wirtschaftlichen Aufschwungs von größeren Einheiten mit der Verheißung größerer finanzieller Leistungsfähigkeit an sich gezogen hat, kann von jenen heute auch tatsächlich noch geleistet werden.

Zum dritten wirkt die Subsidiarität der Entfremdung der Bürger vom politischen Geschehen entgegen. Transparenz der Entscheidungen als Voraussetzung für Einflußnahme darauf, kurze Entscheidungswege und Rückkoppelung der Verantwortung sind umso leichter möglich, als die Entscheidungsebene so nah als möglich beim Bürger ist. Womit es – wie Max Frisch es einmal formuliert hat – möglich ist, sich "wieder stärker in seine eigenen Angelegenheiten mischen zu können".

Subsidiarität und Föderalismus sind die Grundsätze für ein Europa der Zukunft, meine Damen und Herren, wenn es wirklich ein Europa mit Zukunft werden soll. Denn nur in einem föderalistischen Europa werden wir das Ziel der Einheit unter Bewahrung der Vielfalt erreichen, werden die Entscheidungen sachgerechter und bürgernäher werden. Das künftige gemeinsame europäische Haus wird daher nur dann Bestand haben, wenn es nach den Architekturprinzipien des Föderalismus und der Subsidiarität gebaut wird: Gemeinden, Länder, Regionen und autonome


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