Bundesrat Stenographisches Protokoll 614. Sitzung / Seite 73

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lassen darf, sondern diese Frage braucht das Gespräch von uns allen, aber auch die Verantwortlichkeit von uns allen.

Meine Damen und Herren! Ein weiterer Bereich in diesem Sozialgefüge, das meines Erachtens jetzt etwas rissig wird, bedeutet auch die Freisetzung von Arbeitnehmern, und hier insbesondere von Frauen und älteren Arbeitnehmern. Ich brauche jetzt, gerade was die Frauenarbeit anlangt, nicht ins Detail zu gehen – Frau Kollegin Crepaz und auch Frau Kollegin Haubner haben ausführlich darauf hingewiesen –, aber wir dürfen es nicht nur bei den Hinweisen lassen.

Gestern im Sozialausschuß hat die Frau Vorsitzende gesagt, eigentlich solle nicht der Wunsch bestehen, dieses Kapitel etwas deutlicher oder ausführlicher zu behandeln, sondern wir sollten danach trachten, dem entgegenzusteuern. Ich glaube, Frau Vorsitzende, dem ist nichts hinzuzufügen. Wir sollten gemeinsam alles tun, um dem entgegenzusteuern, damit wir kein eigenes Kapitel dafür brauchen. Nur stehen die Zeichen der Zeit tatsächlich so wie geschildert, daher muß diese Frage entsprechend ausführlich und konkret behandelt werden.

Ein weiterer Punkt: Der Leistungsdruck in den Betrieben steigt durch die personelle Einschränkung und Zunahme der Arbeit.

Weiters: Wir alle kennen die Diskussion um die Lohnnebenkosten beziehungsweise die Wettbewerbsfähigkeit. Dies führt zu einem ungeheuren Druck auf die Arbeitnehmer. Da geht es nicht mehr um Nullohnrunden, sondern auch um Reduzierung des Lohnniveaus, um den Arbeitsplatz behalten zu dürfen. Damit, meine Damen und Herren, ist eine Sache, die vor Jahren fast undenkbar war, heute einfach Realität. Leider!

Ein weiterer Punkt: In vielen Produktionssparten wird die Rute ins Fenster gestellt für eine Betriebsauslagerung, meist in ehemalige Ostblockländer, denn dort sind die Arbeitskräfte billiger. Die Frage ist allerdings, meine Damen und Herren: Ist das eine Lösung?

Man könnte noch eine beliebig Anzahl weiterer Punkte anführen.

Hohes Haus! Was ist passiert? Sind dies Ursachen oder Auswirkungen des EU-Beitrittes? Ich glaube nicht, daß man es sich so einfach machen kann und dies so einseitig erklären kann oder zuordnen darf. Vielmehr bin ich überzeugt davon, daß unser stark ausgebautes Sozialnetz viel zu starr in seinen Strukturen war und ist und deshalb einen notwendigen Umbau des Sozialsystems nicht zuließ.

Die letzten Jahrzehnte waren geprägt von steigendem Wirtschaftswachstum und steigendem durchschnittlichen Wohlstand. Wir haben aber nicht reagiert und wollten politisch nicht zur Kenntnis nehmen, daß sich im Hintergrund dieser Wohlstandsentwicklung ein fundamentaler Wandel unserer Gesellschaft vollzogen hat. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen haben sich grundlegend verändert und neu strukturiert. Diese allgemeine Verbesserung der Lebenssituation mit der sozialen Absicherung führte zu einem Verlassen der traditionellen Rahmenbedingungen unserer Gesellschaft. Das heißt, die bisherige Solidaritätsgemeinschaft, welche häufig auch in gesellschaftlichen Hilfeleistungsdiensten bestand, wurde in Frage gestellt oder als nicht mehr notwendig erachtet; denken wir dabei an die früher vielgepriesene Nachbarschaftshilfe, denken wir an Kinder- und Altenbetreuung und so weiter. Diese Hilfeleistungen waren in der kleinen überschaubaren Gemeinschaft nun meist nicht mehr notwendig, denn der Staat hat immer mehr Schutzaufgaben, Schutzfunktionen und Verantwortung für den einzelnen übernommen. Und dies, meine Damen und Herren, kostet Geld, kostet, glaube ich, viel Geld, und es stellt sich heute die Frage: Können wir es uns noch leisten?

Hohes Haus! Einen Bereich, der im Sozialbericht nicht direkt, sondern nur allgemein aufscheint, möchte ich hier noch etwas konkreter anschneiden, nämlich die neue Armut. Dabei geht es mir nicht um Prestige oder Lebensstandard bei Ausstattungsgütern wie Auto, Fernseher oder auch Urlaub, es geht mir vielmehr um die Familienarmut, deren Leidtragende meist die Kinder sind.

Es hat schon meine Kollegin Fischer auf diesen Bereich der Familie hingewiesen, aber ich möchte diesen Hinweis noch etwas verstärken. Familien mit Kindern, besonders jenen mit mehr


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