Bundesrat Stenographisches Protokoll 615. Sitzung / Seite 71

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Um das Ziel Vollbeschäftigung in Europa wieder zu erreichen, gilt es vor allem, die politisch Verantwortlichen in Europa – den Rat, das Parlament, aber auch den Ausschuß der Regionen, die Kommission und die nationalen Regierungen – noch mehr als bisher zu mobilisieren, um die hohe Arbeitslosigkeit in Europa gemeinsam abzubauen.

Der Beschäftigungspakt, den ich eingangs erwähnt habe, soll weder ein neues Weißbuch noch ein auf europäischer Ebene ausgehandelter Gesetzestext werden. Es sollen damit auch nicht die Ziele der Wirtschafts- und Währungsunion verändert werden, und es ist nicht daran gedacht, die Gemeinschaftsausgaben zu erhöhen. Es sollen vielmehr raschest die Vorschläge der Kommission zur Umschichtung von Ausgaben innerhalb der Haushalte für wachstums- und beschäftigungsintensivere Bereiche umgesetzt werden, wie zum Beispiel für transnationale Verkehrsnetze, wie das die ehemalige Bundesrätin und jetzige Europaparlamentarierin, Kollegin Schierhuber, vor wenigen Tagen gemacht hat.

Liebe Kollegen! Ich möchte aber auch auf das Argument der Kollegin Dr. Riess-Passer eingehen, die im Vorbeigehen eine Anmerkung zu Semperit, zu Conti in Traiskirchen gemacht hat und das mit der Europäischen Union in Verbindung bringen wollte. Ich glaube, daß das ein ganz billiger und falscher Versuch gewesen ist und den F-Darstellungen entspricht. Das hat ihr sicherlich ihr Parteivorsitzender oder ihr Führer Haider erzählt, der am Mittwoch auf ein Sprüngerl bei der Portierloge der Firma Semperit-Conti in Traiskirchen vorbeigeschaut und dort versucht hat, sich ein blaues Federl für seinen Hut abzuholen. (Bundesrat Dr. Tremmel: Sie haben sicherlich keine Fehler begangen! Sie haben die Leute nur verraten!)

Dieser Versuch ist leider mißlungen, lieber Herr Kollege! Es ist für uns unerträglich, und es ist für uns eine Provokation, wie sich dieses deutsches Multiunternehmen Conti seit Monaten im Werk Traiskirchen gebärdet. Es führt uns vor Augen, daß es stimmt, daß Kapital nicht die geringste Moral und kein Gewissen hat. Es führt uns vor Augen, daß sich gierig ungehemmtes Profitstreben über bestehende Verträge und über gemachte Zusagen hinwegsetzt. (Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.)

Es ist nicht mehr so, wie es bisher landläufig üblich gewesen ist, daß Multis nur dann so reagieren würden, wenn keine Gewinne oder Erträge mehr gemacht werden. Nein! Auch dann, wenn einem Multi ein Betrieb fast geschenkt wird, wenn er vom Staat Subventionen in Milliardenhöhe erhält, wenn er Tausende hochmotivierte, qualifizierte und produktivste Arbeiter und Angestellte als Mitarbeiter in einem Betrieb vorfindet, in dem die Grenzen der Flexibilität seit Jahren voll ausgeschöpft wurden – Vierschichtbetrieb, Samstagarbeit und Sonntagarbeit –, ist das alles nicht genug, meine Damen und Herren! Mit dem Ertrag von Hunderten Millionen Schilling aus pünktlich und reichlich bezahlten Dividenden kauft man einen neuen Standort – nur 200 Kilometer von Traiskirchen entfernt.

Ein Jahr davor verlagert man, vielmehr stiehlt man – entgegen allen Abmachungen und Vereinbarungen – die Entwicklungsabteilung. Das in Österreich noch entwickelte neue Produkt darf nicht mehr in Traiskirchen produziert werden.

Und das ist noch nicht alles! Man mutet den Arbeitnehmern von Semperit in Traiskirchen auch noch zu – trotz Erarbeitung eines Sparpaketes in der Höhe von 370 Millionen Schilling –, daß sie die Maschinen, die durch ihren Fleiß und aus Subventionsmitteln des Staates angeschafft worden sind, noch selbst abmontieren und zum Abtransport an den neuen Standort verladen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! So kann es nicht weitergehen! Es ist an der Zeit, sich mit den Arbeitnehmern in Traiskirchen und mit der Bevölkerung in dieser Region zu solidarisieren.

Es gibt Bemühungen der Bundesregierung und des Niederösterreichischen Landtages, hier etwas im Interesse der Menschen zu unternehmen und sehr konsequente Verhandlungen zu führen. Sollte es kein Einlenken geben, kein gesicherter Weiterbestand möglich sein, so sind neben den Maßnahmen der Belegschaft auch Maßnahmen der Konsumenten – bei einem 50prozentigen Marktanteil von Conti beim Reifenverkauf in Österreich wäre das sicherlich wirksam – von der Politik zu unterstützen.


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