Bundesrat Stenographisches Protokoll 615. Sitzung / Seite 79

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kunftsorientierte Kompromisse erreichen, die uns dem Ziel einer effizienteren, ausbaufähigeren und sozial gerechteren Europäischen Union näherbringen.

Betrachtet man den vorliegenden Bericht des Vorsitzes über den Stand der Beratungen der Regierungskonferenz, so fällt auf, daß die 15 Mitgliedstaaten in wesentlichen Punkten noch weit von einer Einigung entfernt sind. Manchmal ist es enttäuschend, wenn zentralen Anliegen und Notwendigkeiten mehr oder weniger ausgewichen wird.

Das gilt vor allem für die Beschäftigungspolitik. Es wird zwar festgestellt, daß das derzeitige Ausmaß an Arbeitslosigkeit eines der gravierendsten Probleme sei, mit denen die Union und die Mitgliedstaaten zurzeit konfrontiert sind. Doch schon im nächsten Satz wird die Aufgabe der Lösungssuche den Mitgliedsstaaten und den Unternehmen zugeschoben.

Weiters wird betont, daß sich Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene nicht auf den Zeitplan und die Kriterien der Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion auswirken dürfen. – Ich habe das Gefühl, daß sich die Europäische Union selbst die Hände binden will, und zwar gerade in einem Bereich, der sich wie kein anderer dazu eignet, das Vertrauen der Unionsbürger in die Europäische Union zu stärken und wiederherzustellen.

Eine europäische Beschäftigungspolitik ist zu wichtig und das Problem der Arbeitslosigkeit ist zu drängend, als daß man die Lösungssuche in diesem Bereich nur den Mitgliedsstaaten und den Unternehmen überlassen dürfte. Subsidiarität darf nicht als Ausrede herangezogen werden. Die triste Beschäftigungslage in weiten Teilen der Union verlangt mehr Entschlossenheit. Ich hoffe, die österreichischen Vertreter bringen diese Entschlossenheit in die Verhandlungen und Beratungen ein. Wir brauchen ein ehrgeiziges Konzept, um den Erwartungen der Öffentlichkeit gerecht zu werden. Im Vertrag muß klar festgeschrieben werden, daß das Problem auf allen Ebenen, auch auf der Gemeinschaftsebene, angegangen werden muß. Wir müssen das Sozialprotokoll in den Vertrag aufnehmen. Vollbeschäftigung und hoher sozialer Schutz müssen als Ziele der Gemeinschaft definiert werden. Und es muß klar werden, daß die Beschäftigungspolitik ein wesentlicher Bestandteil der europäischen Wirtschaftspolitik ist. Dafür setzen wir Sozialdemokraten uns ein. Von den konservativen und liberalen Europapolitikern hört man in dieser Richtung leider nur sehr wenig. Sie scheinen das Problem Arbeitslosigkeit am liebsten zu verdrängen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als sozialdemokratische Frauenpolitikerin und als Mitglied des Ausschusses für die Rechte der Frau im Europäischen Parlament erwarte ich mir von der Regierungskonferenz 1996 in bezug auf die europäische Gleichstellungspolitik die Festschreibung der Gleichstellung in den europäischen Grundverträgen. Die Gleichbehandlung von Mann und Frau darf sich nicht wie bisher nur auf gleiches Entgelt für gleiche Arbeit beschränken. Damit wird die Gleichbehandlung zum Beispiel bei Beförderungen noch lange nicht gewährleistet.

Noch etwas möchte ich auch an dieser Stelle klar sagen: Es genügt nicht, nur das Sozialprotokoll der Europäischen Union etwas nachzubessern, wenn es dann in einem Mitgliedstaat keine Anwendung findet. Um der Gleichbehandlung in der Gemeinschaft zum Durchbruch zu verhelfen, bedarf es der Festschreibung in den Grundverträgen und klarer Vorgaben an die Mitgliedsstaaten in Form von Richtlinien. Der derzeitige Stand der Beratungen in diesem Bereich ist von diesem Ziel noch weit entfernt.

Abschließend möchte ich noch zu drei Punkten kurz Stellung nehmen.

Erstens: Die Beratungen des Rates, des entscheidenden Gremiums in der Europäischen Union, müssen mehr Öffentlichkeit haben. Im Europäischen Parlament werden sämtliche Plenarsitzungen und Ausschußsitzungen und auch viele Besprechungen öffentlich abgehalten. Ähnliches sollte für den Rat gelten, denn es geht nicht an, daß wesentliche Entscheidungen für die Gemeinschaft hinter verschlossenen Türen fallen. Es ist untragbar, daß für die Unionsbürger nicht nachvollziehbar ist, wie die Entscheidungsfindung abläuft. Nur durch mehr Öffentlichkeit ist eine demokratische Kontrolle des Rates möglich.


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