Bundesrat Stenographisches Protokoll 616. Sitzung / Seite 78

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13.55

Bundesrat Mag. Dieter Langer (Freiheitliche, Wien): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Wir haben eine Reihe von Novellen und Gesetzesänderungen vor uns, und unter der ersten von diesen Novellen steht der Kurztitel "Sozialrechts-Änderungsgesetz". Meine Damen und Herren! Die vorliegenden Gesetzesänderungen verdienen diesen Untertitel im wahrsten Sinne des Wortes: Es wird das Sozialrecht dadurch in ein Belastungsrecht geändert.

Was soll an einer Erhöhung der Rezeptgebühr um 20 Prozent, an der Einführung einer Krankenscheingebühr und an der Erhöhung der Beiträge zur Krankenversicherung für die Pensionisten sozial sein? – Es ist nicht sozial! Aber wenn Sie es sich unbedingt auf Ihre Fahnen heften wollen, dann gebe ich gerne zu: Das ist sozialdemokratisch und christlich-sozial. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Es ist das eine weitere Fortsetzung in der bisher schon endlosen Geschichte der großen Koalition, die man mit der großen Überschrift "Marx und Murks" bezeichnen muß. Die große Koalition ist angetreten, die großen Probleme Österreichs zu lösen, tatsächlich hat sie aber nichts gelöst, sondern treibt Österreich in das Guinness-Buch der negativen Rekorde: in die höchste Arbeitslosigkeit, in die größte Staatsverschuldung, in einen Pleitenrekord und zu den höchsten Lohnnebenkosten Europas nach 1945. – So weit ist es also nach zehnjähriger Regierungstätigkeit der großen Koalition gekommen. Die Loch-auf-Loch-zu-Politik hat Methode bekommen, und sagen Sie nicht, Sie hätten die Entwicklung nicht vorher absehen können.

Das ist der größte Vorwurf, der Ihnen zu machen ist: Die Entwicklungen waren absehbar, sie waren zu erkennen – Sie haben es aber verabsäumt, rechtzeitig tätig zu werden, und zum Teil sind Sie untätig geblieben! Das nenne ich einen fahrlässigen Umgang mit dem Vertrauen, mit dem Sie die österreichische Bevölkerung ausgestattet hat.

Doch wie haben Sie dieses Vertrauen erlangt? – Sie haben der österreichischen Bevölkerung vor Wahlen Dinge versprochen, die nachher nicht eingehalten wurden. Diesbezüglich gibt es eine lange Liste, und diese beginnt mit der 1 000-S-Haushaltsersparnis nach dem EU-Beitritt, abgegeben durch Brigitte Ederer, geht weiter mit dem Versprechen, keine Steuer zu erhöhen, abgegeben vor den Nationalratswahlen 1994, bis zur schriftlichen Zusage des Herrn Bundeskanzlers, die Leistungen an die Pensionisten nicht zu schmälern – ein persönlicher Brief, ein persönliches Versprechen! Was ist also das Versprechen des österreichischen Bundeskanzlers Dr. Vranitzky wert? – Nach den Maßnahmen des Belastungspakets, wonach jetzt schon die Sistierung der Freibetragsbescheide für manche Pensionisten erhebliche Auszahlungsminderungen hervorrufen, kommt nun eine weitere Verringerung der Leistungen durch Erhöhung der Beiträge, sprich: Abzug von der Auszahlungssumme. Es nützt nichts, wenn Sie sagen: Das sind ja nur 0,25 Prozent!, denn es bedeutet eben eine Leistungsminderung.

Versprochen ist versprochen! Und nichts schmerzt mehr als das gebrochene Versprechen. – Die Abrechnung dafür werden Sie, die große Koalition, bei den nächsten Wahlen erhalten!

Es knistert schon im Gebälk, wenn Sie die neuesten Umfrageergebnisse ansehen, und das hat offenbar auch Bürgermeister Häupl schon erkannt, nur der Wiener VP-Chef Görg nicht, denn er findet nichts dabei. Bürgermeister Häupl hat sich mit seinen Kollegen im Parteivorstand der Sozialdemokratischen Partei gegen diese Regelung ausgesprochen. Vranitzky hat ihn halt ausrutschen lassen – und das schon das zweite Mal innerhalb von ein paar Monaten, das erste Mal mit dem Autobahn-Pickerl.

Häupl bezeichnet das Paket als unausgewogen und ungeeignet. Der Protest Häupls ist vordergründig, weil die Wiener Wahlen bevorstehen, doch er hat recht: Unausgewogen und unsozial ist es in der Tat, und es ist auch ungeeignet, die wahren und wirklichen Probleme der Sozialversicherung zu lösen. Es ist nur wieder ein Beweis – und das ist besonders ärgerlich – für die Unfähigkeit der Regierung, strukturelle Lösungen für die gravierenden Probleme in Österreich anzubieten.


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