Bundesrat Stenographisches Protokoll 617. Sitzung / Seite 49

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Nichts ist in Bosnien-Herzegowina wichtiger, als den Menschen Arbeit zu geben. Wenn die Staatengemeinschaft das nicht schafft, wird das Abkommen von Dayton früher oder später nicht zum Ziel führen. Meine Einschätzung ist – und ich bin mir jetzt sehr wohl dessen bewußt, daß das sehr hart und vielleicht auch überzeichnet klingen mag, was ich sage, aber es ist wirklich meine Einschätzung des Problems –: Wird nicht rasch und effizient geholfen, kann es dazu kommen, daß wir am Balkan die Neuauflage des Palästinenserproblems erleben.

Wenn man die Zerstörungen sieht, dann kann man das unendliche Leid, die Angst und die Verzweiflung der Menschen erahnen. Wir können es nicht mitfühlen, vor allem nicht Menschen in meinem Alter, die den Horror des Krieges in Österreich nicht erlebt oder nicht bewußt erlebt haben. Die Folgen werden noch lange wirken, denn nicht alle können verzeihen oder vergessen. Daher nochmals: Die Hilfe muß rasch und vor allen Dingen bedingungslos kommen. Warum betone ich "bedingungslos" so: Diese Notwendigkeit ist mir anhand zweier Beobachtungen bewußt geworden: Einerseits sieht man, wie groß und schön die iranische Botschaft in Sarajewo ist, und andererseits, daß in dieser ehemals sehr weltoffenen Stadt viele Frauen das Kopftuch tragen. Natürlich ist dies nicht die einzige Erklärung, denn in schlimmen Zeiten wenden sich die Menschen Religionen zu, aber es kann auch heißen – und ich fürchte, daß es das auch heißt –: Wenn es hilft, rascher zu Fensterglas, zu Lebensmitteln oder zu anderen lebensnotwendigen Dingen zu kommen, akzeptiert man Bedingungen der Spender, die eigentlich entwürdigend sind und die letztlich auch zu weiteren Spannungen und vor allen Dingen zu Mißtrauen führen.

Weiters konnte ich bei dieser Wahl beobachten, daß kaum jemand die Möglichkeit in Anspruch genommen hat, die Demarkationslinie zu überschreiten – trotz starker IFOR-Präsenz. Die Gefahr der Teilung des Landes schätze ich daher nach wie vor sehr hoch ein, und die Verlängerung des IFOR-Mandats war eine kluge Entscheidung, die aber sicherlich noch einige Male wiederholt werden muß.

Ich sage es hier noch einmal: Das wirksamste Mittel, neue ethnische Konflikte zu vermeiden, ist garantiert die Wiederaufbauhilfe, mit der man die Menschen mit menschenwürdigen Behausungen und Arbeitsstätten versorgen kann.

An dieser Stelle, glaube ich, muß ich auch an alle appellieren, nicht leichtfertig und aus Unkenntnis der Realität zu sagen, die Flüchtlinge sollen zurückgehen und ihr Land aufbauen, so wie wir unser Land aufgebaut haben. Denn wohin sollen sie gehen? – Dorthin, von wo sie vertrieben wurden, wo ihre Angehörigen niedergemetzelt, ihre Häuser verwüstet wurden und ihre armseligen Felder vermint sind? Oder sollen sie in die Städte gehen, wo für die, die dort überlebt haben, die Fenster ohne Glas sind, das Gas für Kochzwecke über Gartenschläuche durch Granateneinschußlöcher in die Wohnungen geleitet wird, wo es nur stundenweise Wasser und Strom gibt, von Heizmöglichkeiten für den Winter gar nicht zu reden, wo die Produktionsstätten demoliert sind, die Schulen und Kindergärten verwüstet, die Krankenhäuser zerbombt und die Parks Friedhöfe wurden?

Meine Damen und Herren! Helfen, helfen, helfen – das ist das Gebot, durchaus noch für lange Zeit. Daß das auch Hilfe zur Selbsthilfe sein muß, versteht sich, glaube ich, von selbst. Ideen gibt es genug, jede Kleinlichkeit würde letztendlich den Friedensprozeß verzögern, daher ist Kleinlichkeit bei der Hilfe abzulehnen.

Gestatten Sie mir aber noch ein wirklich bewunderndes Lob für unsere IFOR-Soldaten. Ich hatte die Gelegenheit, sie zu besuchen, und kann Ihnen sagen, daß sie die an sie gestellten Aufgaben hervorragend erfüllen, aber sie tun darüber hinaus noch viel mehr. Sie sind keine bessere Spedition, wie es schon manchmal zu hören war, sondern Botschafter des Friedens. Sie bauen Straßen und Brücken, und etwas, was mich besonders berührt hat und worauf wir, glaube ich, sehr stolz sein können, ist, daß sie in ihrer Freizeit eine Schule in Visoko wieder aufbauen. (Beifall bei SPÖ und ÖVP.)

Zur Zeit meines Besuches war diese Schule knapp vor der Eröffnung, und ich bin mir sicher, heute ist dort schon Kinderlachen zu hören. So, meine Damen und Herren, wird Frieden geschaffen und auch erhalten.


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