Bundesrat Stenographisches Protokoll 618. Sitzung / Seite 94

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Während die italienische Öffentlichkeit gereizt reagierte, glaubte man in den Führungsgremien der Südtiroler Volkspartei darin eine Gefährdung der noch nicht abgeschlossenen Autonomieverwirklichung erkennen zu müssen. Mit der simplen Behauptung des Paketvaters Magnago, man könne nicht zweigleisig fahren, einerseits von Italien die Verwirklichung der Autonomie fordern und andererseits gleichzeitig die Anwendung des Selbstbestimmungsrechtes verlangen, versuchte die Führungsspitze der SVP, dem Seperationsgedanken entgegenzutreten.

Tatsächlich ist die Frage nicht so simpel, um sie mit einem solchen Satz beiseite schieben zu können. Ihre Wirkung verfehlte die Taktik der SVP aber nicht. Ein Teil der Selbstbestimmungsvertreter, im harmlosesten Fall als "Utopisten" betitelt, spaltete sich unter dem Druck Magnagos 1983 von der Partei ab und gründete eine eigene wahlwerbende Gruppe, die aber nur einen beschränkten Handlungsspielraum erreichte. De facto wurde damit aber die vielversprechende Selbstbestimmungsdiskussion noch im Jahre 1983 im Keim erstickt.

Die damalige Fehleinschätzung der Situation durch die SVP-Führung zeigt ihre Folgen bis zum heutigen Tag. Es wäre sinnvoll und angebracht gewesen, den Weg der Autonomieverwirklichung konsequent fortzusetzen, jedoch gleichzeitig einen grundsätzlichen Meinungsbildungsprozeß zur Südtirol-Frage und zum Selbstbestimmungsrecht in der SVP im besonderen und in der Südtiroler Gesellschaft im allgemeinen zu fördern.

Tatsächlich verhärteten sich die Fronten so weit, daß die Autonomiebefürworter und die Selbstbestimmungsbefürworter in der jeweilig anderen Seite den größten Widersacher sahen. Die Auseinandersetzung birgt seither tatsächlich die Symptome eines Bruderstreits um den besseren politischen Weg für die Volksgruppe.

Mit schuld an der Fehleinschätzung der damaligen SVP-Führung war die von den Selbstbestimmungsbefürwortern befürchtete und kritisierte Fehlinterpretation des Paketbeschlusses von 1969. Der von der Mehrheit der SVP 1969 gefaßte Beschluß, daß das Paket nur eine Übergangslösung sei, daß unter den damaligen Voraussetzungen kein besseres Verhandlungsergebnis möglich gewesen sei, trat nach 1972 immer mehr in den Hintergrund und wurde schließlich überhaupt vergessen.

Das Paket hingegen galt immer mehr als der Weisheit letzter Schluß und wurde damit von einer Übergangslösung immer mehr zur Endlösung in der Südtirol-Frage. Mahnend gegen diese Fehlinterpretation des Parteitagsbeschlusses von 1969 aufzutreten, wurde in den achtziger Jahren innerhalb der Südtiroler Volkspartei immer schwieriger.

In Österreich selbst lehnten die beiden großen Parteien SPÖ und ÖVP in Verbundenheit mit der Südtiroler Volkspartei die Selbstbestimmungsforderung ab. Jene Politiker in den Großparteien, die dennoch diese Forderung unterstützten, konnten sich allerdings aus verständlichen Gründen kaum für den damals vom Südtiroler Heimatbund vertretenen Freiheitsgedanken erwärmen.

Parallel zur aufkeimenden Selbstbestimmungsdiskussion fand aber noch eine zweite Entwicklung statt, die vielleicht noch stärker zur Veränderung der politischen Landschaft beitrug, die Radikalisierung der italienischen Volksgruppe nämlich.

Zu Beginn der achtziger Jahre wurden die Folgen des neuen Autonomiestatutes vor allem für die italienische Bevölkerung spürbar. Die erreichte Gerechtigkeit bei der Vergabe von öffentlichen Stellen und Sozialwohnungen sowie die amtliche Zweisprachigkeitspflicht wurden von den Italienern als spürbarer Verlust ihrer seit Jahrzehnten errichteten Privilegien empfunden. Konnten sie bis in die siebziger Jahre hinein als Bürger erster Klasse über fast 100 Prozent der öffentlichen Stellen und der Sozialwohnungen verfügen, wurde nun der italienischen Volksgruppe nur mehr ein ihrer tatsächlichen Stärke entsprechender Anteil zugewiesen. Weigerten sie sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, bis weit in die siebziger Jahre hinein, Deutsch zu lernen, waren sie nun zum Erwerb einer öffentlichen Stelle gezwungen, auch Deutsch zu beherrschen.

Aus dem Gefühl heraus, nur allzu bequeme Privilegien zu verlieren, entwickelte sich ein Protestpotential, das von fast allen italienischen Parteien provoziert und geschürt wurde. Die Folge war


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